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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Angelsachsen und Deutsche in Südamerika

kannten Schlagwort der Monroe-Doktrin: "Amerika für die Amerikaner" die
Deutung untergeschoben: "Amerika für die Icmkees," und schon liegt ein Fall
vor, wo das Recht der Bevormundung der südamerikanischen Staaten durch
die Union von einer europäischen Macht im Prinzip anerkannt wurde. Es ist
dies der Streitfall zwischen England und Venezuela wegen eines Gebietsstreifens
an der Grenze von Britisch-Guayana, der durch den Machtspruch des Präsi¬
denten Cleveland zu Gunsten Englands entschieden wurde. Die Nativisten
Brasiliens sahen sich damals veranlaßt, zum Dank für die drohende Votschaft,
die Cleveland gegen England erließ, und mit der es ihm gelang, den süd¬
amerikanischen Schwärmern sür die Unabhängigkeit Amerikas von Europa
Sand in die Augen zu streuen, den Nationalkongreß in Rio de Janeiro zu
einer Glückwunschdepesche an den Kongreß der nordamerikanischen Union zu
bestimmen, ohne zu bedenken, daß sie damit einem Vorgang zujubelten, wonach
noch einmal Brasilien dasselbe Los wie der kreolischen Nachbarrepublik be¬
reitet werden kann.

In ähnlicher Bedeutung kennzeichnet ein Vorfall aus neuster Zeit die
Sachlage, der, sonst in der Presse kaum beachtet, in der in Porto Alegre er¬
scheinenden "Deutschen Zeitung" von deren Berichterstatter in Buenos Aires
näher beleuchtet worden ist. Am ersten März dieses Jahres fand in Montevideo
wieder einmal eine Präsidentenwahl statt, die sich in einer so geordneten Weise
vollzog, wie man dies in dem klassischen Lande der heißblütigen Gauchos wohl
kaum je erlebt hat. Auch die Bildung des den verschiedensten Parteien ent-
nommnen Ministeriums machte keine Schwierigkeiten, und der Amtsantritt des
neuen Präsidenten Cuestas gestaltete sich zu einem wahren Volksfeste. Jeder, der
es mit dem vielgeplagten uruguayischen Völklein gut meinte, mußte seine Freude
an diesen Dingen haben. Nicht so die argentinische Presse, die sich vielmehr
über die Klärung der bisherigen Wirrsale äußerst unzufrieden zeigte und sogar
unter der Blume zu einer neuen Revolution hetzte. Nun ist ja die Begehrlich¬
keit, mit der Argentinien die schöne Nachbarrepublik am Laplata betrachtet,
schon längst kein Geheimnis mehr. Die Herrschaft über diesen ganzen, für die
Schiffahrt so wichtigen Strom und damit die Wegnahme der uruguayischen
Häfen schwebt der argentinischen Politik schon lange als lockendes Ziel vor.

Dieser Herzenswunsch Argentiniens allein konnte aber die ungewöhnlich
gereizte Sprache der Blätter nicht rechtfertigen, als sich auf einmal zeigte, wer
eigentlich der Hauptschuldige in der Sache war. Der nordamerikanische Ge¬
sandte in Montevideo sandte nämlich an Cuestas ein beglückwünschendes
Schreiben, worin er in unzweideutiger Weise seiner Genugthuung darüber Aus¬
druck gab, daß es trotz der revolutionären Umtriebe gelungen sei, endlich den
Frieden zu befestigen. Bei dieser Gelegenheit traten die nahen Beziehungen
des neuen Präsidenten zur Union zu Tage, und man erinnerte sich, daß er
schon früher, als der Krieg zwischen Argentinien und Chile für unvermeidlich


Angelsachsen und Deutsche in Südamerika

kannten Schlagwort der Monroe-Doktrin: „Amerika für die Amerikaner" die
Deutung untergeschoben: „Amerika für die Icmkees," und schon liegt ein Fall
vor, wo das Recht der Bevormundung der südamerikanischen Staaten durch
die Union von einer europäischen Macht im Prinzip anerkannt wurde. Es ist
dies der Streitfall zwischen England und Venezuela wegen eines Gebietsstreifens
an der Grenze von Britisch-Guayana, der durch den Machtspruch des Präsi¬
denten Cleveland zu Gunsten Englands entschieden wurde. Die Nativisten
Brasiliens sahen sich damals veranlaßt, zum Dank für die drohende Votschaft,
die Cleveland gegen England erließ, und mit der es ihm gelang, den süd¬
amerikanischen Schwärmern sür die Unabhängigkeit Amerikas von Europa
Sand in die Augen zu streuen, den Nationalkongreß in Rio de Janeiro zu
einer Glückwunschdepesche an den Kongreß der nordamerikanischen Union zu
bestimmen, ohne zu bedenken, daß sie damit einem Vorgang zujubelten, wonach
noch einmal Brasilien dasselbe Los wie der kreolischen Nachbarrepublik be¬
reitet werden kann.

In ähnlicher Bedeutung kennzeichnet ein Vorfall aus neuster Zeit die
Sachlage, der, sonst in der Presse kaum beachtet, in der in Porto Alegre er¬
scheinenden „Deutschen Zeitung" von deren Berichterstatter in Buenos Aires
näher beleuchtet worden ist. Am ersten März dieses Jahres fand in Montevideo
wieder einmal eine Präsidentenwahl statt, die sich in einer so geordneten Weise
vollzog, wie man dies in dem klassischen Lande der heißblütigen Gauchos wohl
kaum je erlebt hat. Auch die Bildung des den verschiedensten Parteien ent-
nommnen Ministeriums machte keine Schwierigkeiten, und der Amtsantritt des
neuen Präsidenten Cuestas gestaltete sich zu einem wahren Volksfeste. Jeder, der
es mit dem vielgeplagten uruguayischen Völklein gut meinte, mußte seine Freude
an diesen Dingen haben. Nicht so die argentinische Presse, die sich vielmehr
über die Klärung der bisherigen Wirrsale äußerst unzufrieden zeigte und sogar
unter der Blume zu einer neuen Revolution hetzte. Nun ist ja die Begehrlich¬
keit, mit der Argentinien die schöne Nachbarrepublik am Laplata betrachtet,
schon längst kein Geheimnis mehr. Die Herrschaft über diesen ganzen, für die
Schiffahrt so wichtigen Strom und damit die Wegnahme der uruguayischen
Häfen schwebt der argentinischen Politik schon lange als lockendes Ziel vor.

Dieser Herzenswunsch Argentiniens allein konnte aber die ungewöhnlich
gereizte Sprache der Blätter nicht rechtfertigen, als sich auf einmal zeigte, wer
eigentlich der Hauptschuldige in der Sache war. Der nordamerikanische Ge¬
sandte in Montevideo sandte nämlich an Cuestas ein beglückwünschendes
Schreiben, worin er in unzweideutiger Weise seiner Genugthuung darüber Aus¬
druck gab, daß es trotz der revolutionären Umtriebe gelungen sei, endlich den
Frieden zu befestigen. Bei dieser Gelegenheit traten die nahen Beziehungen
des neuen Präsidenten zur Union zu Tage, und man erinnerte sich, daß er
schon früher, als der Krieg zwischen Argentinien und Chile für unvermeidlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/154>, abgerufen am 15.01.2025.