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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Möglichkeiten und Notwendigkeiten der auswärtigen Politik Deutschlands

seepolitik zu scheiden. Der Dreibund ist eine Allianz zur Abwehr feind¬
licher Angriffe in ganz bestimmten Fällen. Schutz gewährt er dem Deutschen
Reiche nur in gewissen Verwicklungen, die sich im wesentlichen auf dem
Kontinente vollziehen. Wenn Deutschland einen Krieg mit zwei Fronten nach
Osten und Westen zu bestehn haben sollte, so wird seine Landmacht durch
die Armeen von Österreich-Ungarn und Italien eine gewaltige Verstärkung er¬
fahren. Zur See aber wird es auf die eigne Kraft angewiesen sein; denn die
Flotte des Donaureichs fällt kaum mehr ins Gewicht, und die italienische
Marine wird durch einen Teil der französischen festgelegt werden. So hat
die deutsche Flotte allein dann die weitgespannten Küsten der Ost- und der
Nordsee gegen die russischen und französischen Panzer und Kreuzer zu schützen
vor Landungen, Beschießungen, Blockade und Verkehrsunterbindung. Unsre
Flotte wird sich aber selbst nach Ablauf des Flottengesetzes kaum an Stärke
mit der russischen, geschweige denn mit der französisch-russischen Kriegsmarine
messen können. Also selbst für den Fall eines ganz überwiegend zu Lande ge¬
führten Kriegs wird Deutschland die Schwäche seiner Rüstung zur See teuer
büßen müssen. Sogar wenn die Entscheidung auf dem Boden des alten Europa
ausgekämpft wird, muß im Zukunftskriege der Flotte eine unendlich viel
wichtigere Rolle zufallen als bisher, wo die Festlandsmächte eben kaum über
eine nennenswerte Seemacht verfügten oder diese, wie 1870 bei deu Franzosen,
im Kriegsfalle nicht in aktivnsfühigem Zustande war.

Allein bei der Flotte aber liegt die Entscheidung in einem Kriege mit
England oder den Vereinigten Staaten oder Japan. Denn es ist ganz un¬
möglich, vor der Vernichtung der feindlichen Marine und vor der Erlangung un-
angefochtner Seeherrschaft den Krieg durch Landungstruppen in Feindesland zu
tragen. Und die Seeherrschaft ist weder durch einen Aufl-ro as ocmr8ö, so
lästig er dem Handel auch werden mag, noch durch listige Handstreiche zu er¬
ringen, sondern allein in offner Schlacht durch die Wucht der Machtmittel,
die sich in Geschütz und Panzer konzentrieren.

Indessen die Betrachtung von Kriegsmöglichkeiten mag auf sich beruhen
bleiben. Unsre Rüstungen zu Lande und zu Wasser sollen ja nicht dem An¬
griff, sondern der Verteidigung dienen, und wir machen die Verteidigung des¬
halb fo stark, daß andre Staaten vor dem Angriff znrückschenen. Auch hier
wird demnach, angesichts der gewaltigen Vermehrung der Kriegsmarine in den
Großmächten England, Nußland, Frankreich, Amerika, der deutschen Flotte
eine ganz andre Bedeutung im Interesse der Währung des Friedens zukommen
als bisher. Tritt Deutschland mit einer bedeutenden Seegeltung in die Welt¬
politik an, so werden die großen Seemächte mit ihm rechnen müssen; seine
Bündmsfühigkeit in den entscheidenden Wcltaktionen wächst, nicht die Land¬
armee, sondern die Flotte läßt in überseeischen Konflikten ein Bündnis mit
dem Dentschen Reiche den übrigen Weltmächten begehrenswert erscheinen.


Möglichkeiten und Notwendigkeiten der auswärtigen Politik Deutschlands

seepolitik zu scheiden. Der Dreibund ist eine Allianz zur Abwehr feind¬
licher Angriffe in ganz bestimmten Fällen. Schutz gewährt er dem Deutschen
Reiche nur in gewissen Verwicklungen, die sich im wesentlichen auf dem
Kontinente vollziehen. Wenn Deutschland einen Krieg mit zwei Fronten nach
Osten und Westen zu bestehn haben sollte, so wird seine Landmacht durch
die Armeen von Österreich-Ungarn und Italien eine gewaltige Verstärkung er¬
fahren. Zur See aber wird es auf die eigne Kraft angewiesen sein; denn die
Flotte des Donaureichs fällt kaum mehr ins Gewicht, und die italienische
Marine wird durch einen Teil der französischen festgelegt werden. So hat
die deutsche Flotte allein dann die weitgespannten Küsten der Ost- und der
Nordsee gegen die russischen und französischen Panzer und Kreuzer zu schützen
vor Landungen, Beschießungen, Blockade und Verkehrsunterbindung. Unsre
Flotte wird sich aber selbst nach Ablauf des Flottengesetzes kaum an Stärke
mit der russischen, geschweige denn mit der französisch-russischen Kriegsmarine
messen können. Also selbst für den Fall eines ganz überwiegend zu Lande ge¬
führten Kriegs wird Deutschland die Schwäche seiner Rüstung zur See teuer
büßen müssen. Sogar wenn die Entscheidung auf dem Boden des alten Europa
ausgekämpft wird, muß im Zukunftskriege der Flotte eine unendlich viel
wichtigere Rolle zufallen als bisher, wo die Festlandsmächte eben kaum über
eine nennenswerte Seemacht verfügten oder diese, wie 1870 bei deu Franzosen,
im Kriegsfalle nicht in aktivnsfühigem Zustande war.

Allein bei der Flotte aber liegt die Entscheidung in einem Kriege mit
England oder den Vereinigten Staaten oder Japan. Denn es ist ganz un¬
möglich, vor der Vernichtung der feindlichen Marine und vor der Erlangung un-
angefochtner Seeherrschaft den Krieg durch Landungstruppen in Feindesland zu
tragen. Und die Seeherrschaft ist weder durch einen Aufl-ro as ocmr8ö, so
lästig er dem Handel auch werden mag, noch durch listige Handstreiche zu er¬
ringen, sondern allein in offner Schlacht durch die Wucht der Machtmittel,
die sich in Geschütz und Panzer konzentrieren.

Indessen die Betrachtung von Kriegsmöglichkeiten mag auf sich beruhen
bleiben. Unsre Rüstungen zu Lande und zu Wasser sollen ja nicht dem An¬
griff, sondern der Verteidigung dienen, und wir machen die Verteidigung des¬
halb fo stark, daß andre Staaten vor dem Angriff znrückschenen. Auch hier
wird demnach, angesichts der gewaltigen Vermehrung der Kriegsmarine in den
Großmächten England, Nußland, Frankreich, Amerika, der deutschen Flotte
eine ganz andre Bedeutung im Interesse der Währung des Friedens zukommen
als bisher. Tritt Deutschland mit einer bedeutenden Seegeltung in die Welt¬
politik an, so werden die großen Seemächte mit ihm rechnen müssen; seine
Bündmsfühigkeit in den entscheidenden Wcltaktionen wächst, nicht die Land¬
armee, sondern die Flotte läßt in überseeischen Konflikten ein Bündnis mit
dem Dentschen Reiche den übrigen Weltmächten begehrenswert erscheinen.


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[0014] Möglichkeiten und Notwendigkeiten der auswärtigen Politik Deutschlands seepolitik zu scheiden. Der Dreibund ist eine Allianz zur Abwehr feind¬ licher Angriffe in ganz bestimmten Fällen. Schutz gewährt er dem Deutschen Reiche nur in gewissen Verwicklungen, die sich im wesentlichen auf dem Kontinente vollziehen. Wenn Deutschland einen Krieg mit zwei Fronten nach Osten und Westen zu bestehn haben sollte, so wird seine Landmacht durch die Armeen von Österreich-Ungarn und Italien eine gewaltige Verstärkung er¬ fahren. Zur See aber wird es auf die eigne Kraft angewiesen sein; denn die Flotte des Donaureichs fällt kaum mehr ins Gewicht, und die italienische Marine wird durch einen Teil der französischen festgelegt werden. So hat die deutsche Flotte allein dann die weitgespannten Küsten der Ost- und der Nordsee gegen die russischen und französischen Panzer und Kreuzer zu schützen vor Landungen, Beschießungen, Blockade und Verkehrsunterbindung. Unsre Flotte wird sich aber selbst nach Ablauf des Flottengesetzes kaum an Stärke mit der russischen, geschweige denn mit der französisch-russischen Kriegsmarine messen können. Also selbst für den Fall eines ganz überwiegend zu Lande ge¬ führten Kriegs wird Deutschland die Schwäche seiner Rüstung zur See teuer büßen müssen. Sogar wenn die Entscheidung auf dem Boden des alten Europa ausgekämpft wird, muß im Zukunftskriege der Flotte eine unendlich viel wichtigere Rolle zufallen als bisher, wo die Festlandsmächte eben kaum über eine nennenswerte Seemacht verfügten oder diese, wie 1870 bei deu Franzosen, im Kriegsfalle nicht in aktivnsfühigem Zustande war. Allein bei der Flotte aber liegt die Entscheidung in einem Kriege mit England oder den Vereinigten Staaten oder Japan. Denn es ist ganz un¬ möglich, vor der Vernichtung der feindlichen Marine und vor der Erlangung un- angefochtner Seeherrschaft den Krieg durch Landungstruppen in Feindesland zu tragen. Und die Seeherrschaft ist weder durch einen Aufl-ro as ocmr8ö, so lästig er dem Handel auch werden mag, noch durch listige Handstreiche zu er¬ ringen, sondern allein in offner Schlacht durch die Wucht der Machtmittel, die sich in Geschütz und Panzer konzentrieren. Indessen die Betrachtung von Kriegsmöglichkeiten mag auf sich beruhen bleiben. Unsre Rüstungen zu Lande und zu Wasser sollen ja nicht dem An¬ griff, sondern der Verteidigung dienen, und wir machen die Verteidigung des¬ halb fo stark, daß andre Staaten vor dem Angriff znrückschenen. Auch hier wird demnach, angesichts der gewaltigen Vermehrung der Kriegsmarine in den Großmächten England, Nußland, Frankreich, Amerika, der deutschen Flotte eine ganz andre Bedeutung im Interesse der Währung des Friedens zukommen als bisher. Tritt Deutschland mit einer bedeutenden Seegeltung in die Welt¬ politik an, so werden die großen Seemächte mit ihm rechnen müssen; seine Bündmsfühigkeit in den entscheidenden Wcltaktionen wächst, nicht die Land¬ armee, sondern die Flotte läßt in überseeischen Konflikten ein Bündnis mit dem Dentschen Reiche den übrigen Weltmächten begehrenswert erscheinen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/14>, abgerufen am 15.01.2025.