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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Line Frühlingsfahrt nach den Abruzzen und nach Apulien

in der Tiefe schlagen die brandenden Wogen an das Gestein, jenseit der weiten
Wassermenge, die eine Gewitterwolke uns in diesem Augenblicke wie eine tief¬
schwarze, grausige, unheilverkündende Masse erscheinen ließ, wird Manfredonia,
die Stadt des Hohenstausenkönigs Manfred, mit ihren weißen Häusern sichtbar,
hinter ihr erhebt sich der schöngeformte Monte Gargäno; ein geschlossenes
Landschaftsbild von ungewöhnlicher Schönheit, das durch die romanischen
braunpatinierten Steinskulpturen und die über 700 Jahre alten Bronzethüren
der Kathedrale eine außerordentlich wirksame Flankierung erhält. Bei der
Besichtigung des Innern erführe der Wanderer, der die deutsche Kunstlitteratur
kennt, eine kleine wissenschaftliche Überraschung. Gestützt auf das große im
Jahre 1860 erschienene Werk von Schultz, Denkmäler der Kunst des Mittel¬
alters in Süditalien, erzählen unsre besten und beliebtesten kunstgeschichtlichen
Handbücher, daß. die größte aller Krypten die zu Trani sei, da sie nicht wie
sonst dem Umfange des Chors entspreche, sondern sich unter der ganzen Länge
der Kathedrale erstrecke. Thatsächlich ist an dieser angeblichen, seltsamen Ab¬
weichung von der Regel kein wahres Wort. Die Krypta ist keineswegs be¬
sonders groß; außer ihr aber sind einige Fuß tiefer, durch eine Mauer ge¬
schieden, die Reste des alten, dem sechsten oder siebenten Jahrhundert an¬
gehörenden Dombaus vorhanden, auf denen im zwölften Jahrhunderte die
jetzige Kathedrale errichtet ist, und die uns deshalb heute wie eine Unterkirche
oder Krypta anmuten, es in Wahrheit aber nicht sind. Auf den deutschen
Hochschulen wird man deshalb fortan bei der Besprechung des mittelalter¬
lichen Kirchenbaus dem Dome zu Trani keine Sonderstellung mehr einräumen
dürfen.

Neben seiner kunstwissenschaftlicher, auf der Vergangenheit beruhenden
Bedeutung hat Trani für uns eine moderne wirtschaftliche Wichtigkeit. Seit
einigen Jahren hat sich hier und in den benachbarten apulischen Häfen ein
lebhafter Wein- und Ölhandel entwickelt, der besonders von deutschen und
schweizerischen Kaufleuten gepflegt wird. Der von ihnen erzielte Gewinn ist
recht groß. Es ist das freilich kein Wunder, wenn mau den gewaltigen Umfang
der apulischen Weinkultur beachtet. Der Großkaufmann bezahlt für den Liter
besten Weins nicht mehr als 28 Centesimi (etwa 22 Pfennige), oft aber
wesentlich weniger, und der Wein kann um so vorteilhafter in Deutschland
und Ungarn verwertet werden, als er äußerst tanninhaltig ist und sich zum
Verschneiden der einfachern nordischen Gewächse bei etwas Zuckerzusatz besonders
gut eignet. An Ort und Stelle ist freilich dieser cipulische Wein der aller-
unzuträglichste, den ich in Italien (Venedig mit seinem sauern Weine aus¬
genommen) jemals getrunken habe; sein Tannin zieht Mund und Kehle in
höchst unangenehmer Weise zusammen, sein Geschmack machte sich noch bemerkbar,
als wir längst Apulien verlassen hatten. Von der Größe des Umsatzes aber
gewinnt man schon auf den Bahnhöfen eine Vorstellung, wo uns zahlreiche


Line Frühlingsfahrt nach den Abruzzen und nach Apulien

in der Tiefe schlagen die brandenden Wogen an das Gestein, jenseit der weiten
Wassermenge, die eine Gewitterwolke uns in diesem Augenblicke wie eine tief¬
schwarze, grausige, unheilverkündende Masse erscheinen ließ, wird Manfredonia,
die Stadt des Hohenstausenkönigs Manfred, mit ihren weißen Häusern sichtbar,
hinter ihr erhebt sich der schöngeformte Monte Gargäno; ein geschlossenes
Landschaftsbild von ungewöhnlicher Schönheit, das durch die romanischen
braunpatinierten Steinskulpturen und die über 700 Jahre alten Bronzethüren
der Kathedrale eine außerordentlich wirksame Flankierung erhält. Bei der
Besichtigung des Innern erführe der Wanderer, der die deutsche Kunstlitteratur
kennt, eine kleine wissenschaftliche Überraschung. Gestützt auf das große im
Jahre 1860 erschienene Werk von Schultz, Denkmäler der Kunst des Mittel¬
alters in Süditalien, erzählen unsre besten und beliebtesten kunstgeschichtlichen
Handbücher, daß. die größte aller Krypten die zu Trani sei, da sie nicht wie
sonst dem Umfange des Chors entspreche, sondern sich unter der ganzen Länge
der Kathedrale erstrecke. Thatsächlich ist an dieser angeblichen, seltsamen Ab¬
weichung von der Regel kein wahres Wort. Die Krypta ist keineswegs be¬
sonders groß; außer ihr aber sind einige Fuß tiefer, durch eine Mauer ge¬
schieden, die Reste des alten, dem sechsten oder siebenten Jahrhundert an¬
gehörenden Dombaus vorhanden, auf denen im zwölften Jahrhunderte die
jetzige Kathedrale errichtet ist, und die uns deshalb heute wie eine Unterkirche
oder Krypta anmuten, es in Wahrheit aber nicht sind. Auf den deutschen
Hochschulen wird man deshalb fortan bei der Besprechung des mittelalter¬
lichen Kirchenbaus dem Dome zu Trani keine Sonderstellung mehr einräumen
dürfen.

Neben seiner kunstwissenschaftlicher, auf der Vergangenheit beruhenden
Bedeutung hat Trani für uns eine moderne wirtschaftliche Wichtigkeit. Seit
einigen Jahren hat sich hier und in den benachbarten apulischen Häfen ein
lebhafter Wein- und Ölhandel entwickelt, der besonders von deutschen und
schweizerischen Kaufleuten gepflegt wird. Der von ihnen erzielte Gewinn ist
recht groß. Es ist das freilich kein Wunder, wenn mau den gewaltigen Umfang
der apulischen Weinkultur beachtet. Der Großkaufmann bezahlt für den Liter
besten Weins nicht mehr als 28 Centesimi (etwa 22 Pfennige), oft aber
wesentlich weniger, und der Wein kann um so vorteilhafter in Deutschland
und Ungarn verwertet werden, als er äußerst tanninhaltig ist und sich zum
Verschneiden der einfachern nordischen Gewächse bei etwas Zuckerzusatz besonders
gut eignet. An Ort und Stelle ist freilich dieser cipulische Wein der aller-
unzuträglichste, den ich in Italien (Venedig mit seinem sauern Weine aus¬
genommen) jemals getrunken habe; sein Tannin zieht Mund und Kehle in
höchst unangenehmer Weise zusammen, sein Geschmack machte sich noch bemerkbar,
als wir längst Apulien verlassen hatten. Von der Größe des Umsatzes aber
gewinnt man schon auf den Bahnhöfen eine Vorstellung, wo uns zahlreiche


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[0125] Line Frühlingsfahrt nach den Abruzzen und nach Apulien in der Tiefe schlagen die brandenden Wogen an das Gestein, jenseit der weiten Wassermenge, die eine Gewitterwolke uns in diesem Augenblicke wie eine tief¬ schwarze, grausige, unheilverkündende Masse erscheinen ließ, wird Manfredonia, die Stadt des Hohenstausenkönigs Manfred, mit ihren weißen Häusern sichtbar, hinter ihr erhebt sich der schöngeformte Monte Gargäno; ein geschlossenes Landschaftsbild von ungewöhnlicher Schönheit, das durch die romanischen braunpatinierten Steinskulpturen und die über 700 Jahre alten Bronzethüren der Kathedrale eine außerordentlich wirksame Flankierung erhält. Bei der Besichtigung des Innern erführe der Wanderer, der die deutsche Kunstlitteratur kennt, eine kleine wissenschaftliche Überraschung. Gestützt auf das große im Jahre 1860 erschienene Werk von Schultz, Denkmäler der Kunst des Mittel¬ alters in Süditalien, erzählen unsre besten und beliebtesten kunstgeschichtlichen Handbücher, daß. die größte aller Krypten die zu Trani sei, da sie nicht wie sonst dem Umfange des Chors entspreche, sondern sich unter der ganzen Länge der Kathedrale erstrecke. Thatsächlich ist an dieser angeblichen, seltsamen Ab¬ weichung von der Regel kein wahres Wort. Die Krypta ist keineswegs be¬ sonders groß; außer ihr aber sind einige Fuß tiefer, durch eine Mauer ge¬ schieden, die Reste des alten, dem sechsten oder siebenten Jahrhundert an¬ gehörenden Dombaus vorhanden, auf denen im zwölften Jahrhunderte die jetzige Kathedrale errichtet ist, und die uns deshalb heute wie eine Unterkirche oder Krypta anmuten, es in Wahrheit aber nicht sind. Auf den deutschen Hochschulen wird man deshalb fortan bei der Besprechung des mittelalter¬ lichen Kirchenbaus dem Dome zu Trani keine Sonderstellung mehr einräumen dürfen. Neben seiner kunstwissenschaftlicher, auf der Vergangenheit beruhenden Bedeutung hat Trani für uns eine moderne wirtschaftliche Wichtigkeit. Seit einigen Jahren hat sich hier und in den benachbarten apulischen Häfen ein lebhafter Wein- und Ölhandel entwickelt, der besonders von deutschen und schweizerischen Kaufleuten gepflegt wird. Der von ihnen erzielte Gewinn ist recht groß. Es ist das freilich kein Wunder, wenn mau den gewaltigen Umfang der apulischen Weinkultur beachtet. Der Großkaufmann bezahlt für den Liter besten Weins nicht mehr als 28 Centesimi (etwa 22 Pfennige), oft aber wesentlich weniger, und der Wein kann um so vorteilhafter in Deutschland und Ungarn verwertet werden, als er äußerst tanninhaltig ist und sich zum Verschneiden der einfachern nordischen Gewächse bei etwas Zuckerzusatz besonders gut eignet. An Ort und Stelle ist freilich dieser cipulische Wein der aller- unzuträglichste, den ich in Italien (Venedig mit seinem sauern Weine aus¬ genommen) jemals getrunken habe; sein Tannin zieht Mund und Kehle in höchst unangenehmer Weise zusammen, sein Geschmack machte sich noch bemerkbar, als wir längst Apulien verlassen hatten. Von der Größe des Umsatzes aber gewinnt man schon auf den Bahnhöfen eine Vorstellung, wo uns zahlreiche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/125>, abgerufen am 15.01.2025.