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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Line Lrichlingsfahrt nach den Abruzzen und nach Apulien

straße getreten, die im allgemeinen gut zu befahren ist; man kann sich freilich
ab und zu auf unangenehme Überraschungen gefaßt machen, denn bei Straßen¬
ausbesserungen schüttet man in Apulien ebenso wie bei Neuanlagen nur die
geschlagner Steine auf dem Damme auf und überläßt es den Fuhrwerken,
allmählich eine brauchbare Fahrrinne herzustellen, sodaß man sich das Ver¬
gnügen einer Wagenfahrt unter solchen Umständen leicht ausmalen kann.

Wir nahmen unsern Weg über Corato, einen dürftigen Ort von etwa
30000 Einwohnern, der mit dem Schlosse neuerdings gleichfalls durch eine
brauchbare Landstraße verbunden ist. Noch ganz ergriffen von den Eindrücken,
die Castel del Monte in uns hervorgerufen hatte, wurden wir auf der Weiter¬
fahrt von Corato aufs neue durch ungeahnte Bilder überrascht. Die alt¬
berühmte Hafenstadt Trani war unser Ziel. Zu ihr führt von Corato aus
eine schnurgerade etwa 14 Kilometer lauge Straße, die sich fortgesetzt senkt,
da Corato 253 Meter über dem Meere liegt. Unser Pferdchen brauchte sich
also gar nicht sehr anzustrengen, um unsern Sciarrabä in schnellste Bewegung
zu bringen. Durch die Geschwindigkeit der Fahrt verdichtete sich aber die uns
umgebende Landschaft zur traumhaft verwöhnen, märchenhaften Erscheinung.
Der tiefblaue Himmel, die südliche Vegetation, der weiße Kalkstaub, der sich
infolge zufälliger langer Trockenheit rechts und links auf die Weingärten. Bäume
und vereinzelten Villen gleich dicken Mehlmassen gelegt hatte, und in der Ferne
die flachgedeckten Häuser der Stadt mit dem herrlich blauenden Meere als Hinter¬
grund-- das alles versetzte unsre Gedanken abermals, wie bei Foggia, mitten
in den Orient: eine europäische Landschaft konnte man dies nicht mehr nennen.
Auch im übrigen ist es mir aufgefallen, um wieviel südlicher dem Charakter nach
Apulien ist, als die fast in demselben Breitengrade liegende römische Landschaft.
Die öffentliche Ungeniertheit ist viel größer, nackte Kinder sieht man z. B. in
Corato ohne weiteres ihre Notdurft auf der Straße verrichten, und die ganze
Bevölkerung macht einen viel wildern Eindruck als die wohlzivilisierte Ein¬
wohnerschaft der ladinischen Gefilde.

Tram sticht von dem Durchschnitt der apulischen Städte wesentlich ab,
es gilt als der feinste und kultivierteste Ort, als die geistige Hauptstadt des
Landes. Es verdient die Aufmerksamkeit der Deutschen nach zwei Richtungen.
Seine mittelalterlichen Bauten sind entschieden sehenswert. Das jetzt als Ge¬
fängnis verwandte und vielfach umgebaute Kastell ist angeblich von demselben
Baumeister errichtet wie Castel del Monte. Die Fassade" der romanischen
Kirchen San Giacomo, San Francesco und Ognissanti sind reich an merk¬
würdigen Bildhauerarbeiten aller Art, der Palast der venezianischen Dogen, der
jetzt einem klerikalen Seminar als Behausung dient, ist ein gutes Beispiel
gotischer Profcmkunst, der schönste Schmuck der Stadt aber ist der Dom, der sich
unmittelbar über dem Meere erhebt. Vor der prächtigen Westfassade dehnt sich
eine weite Plattform aus, auf der sich der Wanderer wie festgebannt fühlt:


Line Lrichlingsfahrt nach den Abruzzen und nach Apulien

straße getreten, die im allgemeinen gut zu befahren ist; man kann sich freilich
ab und zu auf unangenehme Überraschungen gefaßt machen, denn bei Straßen¬
ausbesserungen schüttet man in Apulien ebenso wie bei Neuanlagen nur die
geschlagner Steine auf dem Damme auf und überläßt es den Fuhrwerken,
allmählich eine brauchbare Fahrrinne herzustellen, sodaß man sich das Ver¬
gnügen einer Wagenfahrt unter solchen Umständen leicht ausmalen kann.

Wir nahmen unsern Weg über Corato, einen dürftigen Ort von etwa
30000 Einwohnern, der mit dem Schlosse neuerdings gleichfalls durch eine
brauchbare Landstraße verbunden ist. Noch ganz ergriffen von den Eindrücken,
die Castel del Monte in uns hervorgerufen hatte, wurden wir auf der Weiter¬
fahrt von Corato aufs neue durch ungeahnte Bilder überrascht. Die alt¬
berühmte Hafenstadt Trani war unser Ziel. Zu ihr führt von Corato aus
eine schnurgerade etwa 14 Kilometer lauge Straße, die sich fortgesetzt senkt,
da Corato 253 Meter über dem Meere liegt. Unser Pferdchen brauchte sich
also gar nicht sehr anzustrengen, um unsern Sciarrabä in schnellste Bewegung
zu bringen. Durch die Geschwindigkeit der Fahrt verdichtete sich aber die uns
umgebende Landschaft zur traumhaft verwöhnen, märchenhaften Erscheinung.
Der tiefblaue Himmel, die südliche Vegetation, der weiße Kalkstaub, der sich
infolge zufälliger langer Trockenheit rechts und links auf die Weingärten. Bäume
und vereinzelten Villen gleich dicken Mehlmassen gelegt hatte, und in der Ferne
die flachgedeckten Häuser der Stadt mit dem herrlich blauenden Meere als Hinter¬
grund— das alles versetzte unsre Gedanken abermals, wie bei Foggia, mitten
in den Orient: eine europäische Landschaft konnte man dies nicht mehr nennen.
Auch im übrigen ist es mir aufgefallen, um wieviel südlicher dem Charakter nach
Apulien ist, als die fast in demselben Breitengrade liegende römische Landschaft.
Die öffentliche Ungeniertheit ist viel größer, nackte Kinder sieht man z. B. in
Corato ohne weiteres ihre Notdurft auf der Straße verrichten, und die ganze
Bevölkerung macht einen viel wildern Eindruck als die wohlzivilisierte Ein¬
wohnerschaft der ladinischen Gefilde.

Tram sticht von dem Durchschnitt der apulischen Städte wesentlich ab,
es gilt als der feinste und kultivierteste Ort, als die geistige Hauptstadt des
Landes. Es verdient die Aufmerksamkeit der Deutschen nach zwei Richtungen.
Seine mittelalterlichen Bauten sind entschieden sehenswert. Das jetzt als Ge¬
fängnis verwandte und vielfach umgebaute Kastell ist angeblich von demselben
Baumeister errichtet wie Castel del Monte. Die Fassade» der romanischen
Kirchen San Giacomo, San Francesco und Ognissanti sind reich an merk¬
würdigen Bildhauerarbeiten aller Art, der Palast der venezianischen Dogen, der
jetzt einem klerikalen Seminar als Behausung dient, ist ein gutes Beispiel
gotischer Profcmkunst, der schönste Schmuck der Stadt aber ist der Dom, der sich
unmittelbar über dem Meere erhebt. Vor der prächtigen Westfassade dehnt sich
eine weite Plattform aus, auf der sich der Wanderer wie festgebannt fühlt:


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[0124] Line Lrichlingsfahrt nach den Abruzzen und nach Apulien straße getreten, die im allgemeinen gut zu befahren ist; man kann sich freilich ab und zu auf unangenehme Überraschungen gefaßt machen, denn bei Straßen¬ ausbesserungen schüttet man in Apulien ebenso wie bei Neuanlagen nur die geschlagner Steine auf dem Damme auf und überläßt es den Fuhrwerken, allmählich eine brauchbare Fahrrinne herzustellen, sodaß man sich das Ver¬ gnügen einer Wagenfahrt unter solchen Umständen leicht ausmalen kann. Wir nahmen unsern Weg über Corato, einen dürftigen Ort von etwa 30000 Einwohnern, der mit dem Schlosse neuerdings gleichfalls durch eine brauchbare Landstraße verbunden ist. Noch ganz ergriffen von den Eindrücken, die Castel del Monte in uns hervorgerufen hatte, wurden wir auf der Weiter¬ fahrt von Corato aufs neue durch ungeahnte Bilder überrascht. Die alt¬ berühmte Hafenstadt Trani war unser Ziel. Zu ihr führt von Corato aus eine schnurgerade etwa 14 Kilometer lauge Straße, die sich fortgesetzt senkt, da Corato 253 Meter über dem Meere liegt. Unser Pferdchen brauchte sich also gar nicht sehr anzustrengen, um unsern Sciarrabä in schnellste Bewegung zu bringen. Durch die Geschwindigkeit der Fahrt verdichtete sich aber die uns umgebende Landschaft zur traumhaft verwöhnen, märchenhaften Erscheinung. Der tiefblaue Himmel, die südliche Vegetation, der weiße Kalkstaub, der sich infolge zufälliger langer Trockenheit rechts und links auf die Weingärten. Bäume und vereinzelten Villen gleich dicken Mehlmassen gelegt hatte, und in der Ferne die flachgedeckten Häuser der Stadt mit dem herrlich blauenden Meere als Hinter¬ grund— das alles versetzte unsre Gedanken abermals, wie bei Foggia, mitten in den Orient: eine europäische Landschaft konnte man dies nicht mehr nennen. Auch im übrigen ist es mir aufgefallen, um wieviel südlicher dem Charakter nach Apulien ist, als die fast in demselben Breitengrade liegende römische Landschaft. Die öffentliche Ungeniertheit ist viel größer, nackte Kinder sieht man z. B. in Corato ohne weiteres ihre Notdurft auf der Straße verrichten, und die ganze Bevölkerung macht einen viel wildern Eindruck als die wohlzivilisierte Ein¬ wohnerschaft der ladinischen Gefilde. Tram sticht von dem Durchschnitt der apulischen Städte wesentlich ab, es gilt als der feinste und kultivierteste Ort, als die geistige Hauptstadt des Landes. Es verdient die Aufmerksamkeit der Deutschen nach zwei Richtungen. Seine mittelalterlichen Bauten sind entschieden sehenswert. Das jetzt als Ge¬ fängnis verwandte und vielfach umgebaute Kastell ist angeblich von demselben Baumeister errichtet wie Castel del Monte. Die Fassade» der romanischen Kirchen San Giacomo, San Francesco und Ognissanti sind reich an merk¬ würdigen Bildhauerarbeiten aller Art, der Palast der venezianischen Dogen, der jetzt einem klerikalen Seminar als Behausung dient, ist ein gutes Beispiel gotischer Profcmkunst, der schönste Schmuck der Stadt aber ist der Dom, der sich unmittelbar über dem Meere erhebt. Vor der prächtigen Westfassade dehnt sich eine weite Plattform aus, auf der sich der Wanderer wie festgebannt fühlt:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/124>, abgerufen am 15.01.2025.