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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Möglichkeiten und Notwendigkeiten der auswärtigen Politik Deutschlands

mit welchen Riesenschritten ist in diesen paar Jahren die Entwicklung der
Dinge seitdem allen Erwartungen vorausgeeilt, die sich selbst die kühnsten
Politiker damals kaum im stillen zu gestehn wagten- Die Aufteilung Afrikas
vom Kap bis Kairo, vom Niger bis zum Sambesi, die Zerlegung Chinas in
Interessensphären der europäische" Großmächte, die Verschärfung des englisch¬
russischen Gegensatzes in Asien, Amerika als ostasiatische Macht, Japan als
Marinestaat, die Probleme, die die Inselgruppen des Stillen Ozeans bergen,
der Kampf um die Märkte in Asien, Afrika, Südamerika -- an allen diesen
Vorgängen, die endlose Zukunftsperspektiven eröffnen, ist Deutschland jetzt
schon beteiligt und muß es beteiligt bleiben, wenn es einen Platz an der
Sonne haben will! Die Möglichkeiten werden hier zu Notwendigkeiten.

Des großen Florentiners Wort, daß die Staaten durch dieselben Mittel
erhalten werden, mit denen sie gegründet worden sind, werden wir auch jeder¬
zeit für Deutschland im Auge behalten müssen. Blut und Eisen haben die
deutschen Stämme zusammengeschweißt, auf dem Schlachtfelde ist das Reich
gegründet, in Wehr und Waffen hat das Reich seitdem den Frieden geschirmt.
Aber es ist doch eine ganz äußerliche, rein mechanische Doktrin, wenn angesichts
der neuen Aufgaben, vor die unsre Politik gestellt ist, die Behauptung wieder¬
holt wird, wir müßten auch in Zukunft die alten Wege gehn. Wenn man
sich hierbei auf den Fürsten Bismarck beruft und immer wieder die Staats¬
kunst dieses Heros gegen die jetzige Leitung der Geschäfte ausspielt, so verfällt
man dabei -- solange es gutgläubig und wohlmeinend geschieht -- in einen
Irrtum und in ein Mißverständnis. Das war ja gerade die geniale Eigen¬
tümlichkeit des ersten Reichskanzlers, daß er zwar das Ziel jederzeit fest und
unverrückt im Auge behielt, daß er sich aber in den Mitteln immer den Um¬
ständen anschmiegte. Niemand war weniger doktrinär als er, niemand reicher
in dem Finden von Wegen, niemand auch entschlossener in ihrer Wahl. Es
ist daher ein Irrtum, wenn schlechtweg die Fortsetzung der Bismarckischen
Politik als Allheilmittel für unsre auswärtigen Beziehungen angepriesen wird
in dem Sinne, als wenn es sich um einfache Weiterführung eines einmal ein¬
geschlagnen Kurses handle. Ein Mißverstehen der Verhältnisse aber liegt inso¬
fern vor, als die neuen, der Reichspolitik erwachsenen Aufgaben gerade
Probleme enthalten, denen der Fürst Bismarck bei ihrem Heraufdämmern in
den letzten Jahren kühl oder ablehnend gegenüberstand. Ja, wenn wir noch
die Wahl hätten, ob wir bloß europäische Politik oder Weltpolitik treiben
wollten! Aber wir werden -- ob mit oder gegen unsre Wünsche ^ durch
den Zwang eherner Notwendigkeiten in die Bahnen der internationalen Welt¬
politik hineingerissen, wir haben gar nicht mehr die Möglichkeit, uns auf das
Festland zu bescheiden. Fürst Bismarck aber war der staatsmünnische Be¬
herrscher Europas, hier hat er seine unsterblichen Triumphe errungen, hier
hat er auch seine Grenzen gefunden. Auch der größte Sohn des Jahrhunderts


Möglichkeiten und Notwendigkeiten der auswärtigen Politik Deutschlands

mit welchen Riesenschritten ist in diesen paar Jahren die Entwicklung der
Dinge seitdem allen Erwartungen vorausgeeilt, die sich selbst die kühnsten
Politiker damals kaum im stillen zu gestehn wagten- Die Aufteilung Afrikas
vom Kap bis Kairo, vom Niger bis zum Sambesi, die Zerlegung Chinas in
Interessensphären der europäische» Großmächte, die Verschärfung des englisch¬
russischen Gegensatzes in Asien, Amerika als ostasiatische Macht, Japan als
Marinestaat, die Probleme, die die Inselgruppen des Stillen Ozeans bergen,
der Kampf um die Märkte in Asien, Afrika, Südamerika — an allen diesen
Vorgängen, die endlose Zukunftsperspektiven eröffnen, ist Deutschland jetzt
schon beteiligt und muß es beteiligt bleiben, wenn es einen Platz an der
Sonne haben will! Die Möglichkeiten werden hier zu Notwendigkeiten.

Des großen Florentiners Wort, daß die Staaten durch dieselben Mittel
erhalten werden, mit denen sie gegründet worden sind, werden wir auch jeder¬
zeit für Deutschland im Auge behalten müssen. Blut und Eisen haben die
deutschen Stämme zusammengeschweißt, auf dem Schlachtfelde ist das Reich
gegründet, in Wehr und Waffen hat das Reich seitdem den Frieden geschirmt.
Aber es ist doch eine ganz äußerliche, rein mechanische Doktrin, wenn angesichts
der neuen Aufgaben, vor die unsre Politik gestellt ist, die Behauptung wieder¬
holt wird, wir müßten auch in Zukunft die alten Wege gehn. Wenn man
sich hierbei auf den Fürsten Bismarck beruft und immer wieder die Staats¬
kunst dieses Heros gegen die jetzige Leitung der Geschäfte ausspielt, so verfällt
man dabei — solange es gutgläubig und wohlmeinend geschieht — in einen
Irrtum und in ein Mißverständnis. Das war ja gerade die geniale Eigen¬
tümlichkeit des ersten Reichskanzlers, daß er zwar das Ziel jederzeit fest und
unverrückt im Auge behielt, daß er sich aber in den Mitteln immer den Um¬
ständen anschmiegte. Niemand war weniger doktrinär als er, niemand reicher
in dem Finden von Wegen, niemand auch entschlossener in ihrer Wahl. Es
ist daher ein Irrtum, wenn schlechtweg die Fortsetzung der Bismarckischen
Politik als Allheilmittel für unsre auswärtigen Beziehungen angepriesen wird
in dem Sinne, als wenn es sich um einfache Weiterführung eines einmal ein¬
geschlagnen Kurses handle. Ein Mißverstehen der Verhältnisse aber liegt inso¬
fern vor, als die neuen, der Reichspolitik erwachsenen Aufgaben gerade
Probleme enthalten, denen der Fürst Bismarck bei ihrem Heraufdämmern in
den letzten Jahren kühl oder ablehnend gegenüberstand. Ja, wenn wir noch
die Wahl hätten, ob wir bloß europäische Politik oder Weltpolitik treiben
wollten! Aber wir werden — ob mit oder gegen unsre Wünsche ^ durch
den Zwang eherner Notwendigkeiten in die Bahnen der internationalen Welt¬
politik hineingerissen, wir haben gar nicht mehr die Möglichkeit, uns auf das
Festland zu bescheiden. Fürst Bismarck aber war der staatsmünnische Be¬
herrscher Europas, hier hat er seine unsterblichen Triumphe errungen, hier
hat er auch seine Grenzen gefunden. Auch der größte Sohn des Jahrhunderts


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/12>, abgerufen am 15.01.2025.