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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Der Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage

einen verstärkten Gebrauch von dem Kvcilitivnsrecht gemacht, sondern die Unter¬
nehmer! Sie haben in weitgehendem Maße sich dieses Recht zu nutze gemacht
und es nach jeder Richtung hin angewandt. Ich bin ja selbst Arbeitgeber,
stehe ja mitten drin im Gewerbebetrieb, ich habe selbst soziale Kämpfe durch¬
gemacht und muß also doch wissen, was im gewerblichen Leben vorgeht; ich
habe daher auch ein größeres Recht, über derartige Fragen zu sprechen, als
die Mitglieder der verbündeten Regierungen, wie die Mitglieder des Neichs-
amts des Innern, weil sie eben keine Gelegenheit gehabt haben, die Dinge in
der Praxis, aus der Nähe kennen zu lernen." Rösicke weiß aber ganz genau,
daß viele hundert liberale, wohlwollende, arbeiterfreundliche Großarbeitgeber,
die weit entfernt sind, nach Herrn von Stumms Pfeife zu tanzen, ganz anders
über die Sache denken, und daß sie genau ebenso viel von ihr verstehen
wie er. Hat er ein Privileg auf das "Ohr" der verbündeten Regierungen?
Glaubt er sich ein Monopol für alle Zeiten und für alle Fragen ersessen
zu haben in der Periode, wo er die Unfehlbarkeit in Sachen der Arbeiter¬
unfallversicherung für sich in Anspruch nahm, und das Selbstlob in den
von ihm vertretenen Unternehmerverbänden alle Nefvrmforderungen der Ar¬
beiterschaft niederschrie, in der er im Reichstage aussprach: Wir Unternehmer
sind mit der Verwaltung zufrieden, und das genügt -- obwohl doch das, was
verwaltet wurde und unter der schlechten Wirtschaft litt, wohlerworbne Rechte
der Arbeiter waren? In Heft 32 der Grenzboten vom Jahre 1896 ist darüber
ausführlicher gesprochen worden. Rösicke weiß auch ganz genau, wie es mit
der Entwicklung der Koalitionen der Arbeitgeber steht; daß sie ausgesprochen den
Charakter der Notwehr an sich tragen, daß ihre Härten zumeist Folgen ihrer
Schwäche sind. Er weiß, daß sie in friedlichen Zeiten nur zu leicht zerfallen,
viel leichter als die von politischen Parteien inspirierten und protegierten Ar¬
beiterkoalitionen, und daß im Streitfall die Konkurrenzintercsscn der Arbeitgeber,
der Unterschied zwischen groß und klein, arm und reich unter ihnen die
unerläßliche Einmütigkeit herzustellen und zu erhalten viel schwerer machen, als
es ist, die Arbeiter sür den Streik soweit nnter einen Hut zu bringen, daß dem
Gegenpart ruinöse Verluste drohen. Das hat er im Berliner Brauerstreik am
eignen Leibe erfahren. Und vor allem sollte er doch wissen, daß -- selbst wenn
sich der Traum einer friedlichen Lösung der sozialen Kämpfe durch die beiderseitige
Kampforganisation in der Zukunft einmal verwirklichen könnte -- zunächst in
der viele Jahre langen Übergangszeit die zunehmenden Rüstungen der Parteien
den Kampf nur um so erbitterter und gewaltthätige Friedensstörungen nur
um so wahrscheinlicher machen müssen. Die verbündeten Regierungen thun
sehr wohl daran, ihr Ohr nicht den Urteilen so befangner Einzelner zu leihen,
weder dem Herrn Rösicke noch dem Herrn von Stumm.

Wenn Rösicke sich darüber beschwerte, daß der Zentralverband deutscher
Industrieller, dessen Einseitigkeiten den Regierungen genau so bekannt sind


Der Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage

einen verstärkten Gebrauch von dem Kvcilitivnsrecht gemacht, sondern die Unter¬
nehmer! Sie haben in weitgehendem Maße sich dieses Recht zu nutze gemacht
und es nach jeder Richtung hin angewandt. Ich bin ja selbst Arbeitgeber,
stehe ja mitten drin im Gewerbebetrieb, ich habe selbst soziale Kämpfe durch¬
gemacht und muß also doch wissen, was im gewerblichen Leben vorgeht; ich
habe daher auch ein größeres Recht, über derartige Fragen zu sprechen, als
die Mitglieder der verbündeten Regierungen, wie die Mitglieder des Neichs-
amts des Innern, weil sie eben keine Gelegenheit gehabt haben, die Dinge in
der Praxis, aus der Nähe kennen zu lernen." Rösicke weiß aber ganz genau,
daß viele hundert liberale, wohlwollende, arbeiterfreundliche Großarbeitgeber,
die weit entfernt sind, nach Herrn von Stumms Pfeife zu tanzen, ganz anders
über die Sache denken, und daß sie genau ebenso viel von ihr verstehen
wie er. Hat er ein Privileg auf das „Ohr" der verbündeten Regierungen?
Glaubt er sich ein Monopol für alle Zeiten und für alle Fragen ersessen
zu haben in der Periode, wo er die Unfehlbarkeit in Sachen der Arbeiter¬
unfallversicherung für sich in Anspruch nahm, und das Selbstlob in den
von ihm vertretenen Unternehmerverbänden alle Nefvrmforderungen der Ar¬
beiterschaft niederschrie, in der er im Reichstage aussprach: Wir Unternehmer
sind mit der Verwaltung zufrieden, und das genügt — obwohl doch das, was
verwaltet wurde und unter der schlechten Wirtschaft litt, wohlerworbne Rechte
der Arbeiter waren? In Heft 32 der Grenzboten vom Jahre 1896 ist darüber
ausführlicher gesprochen worden. Rösicke weiß auch ganz genau, wie es mit
der Entwicklung der Koalitionen der Arbeitgeber steht; daß sie ausgesprochen den
Charakter der Notwehr an sich tragen, daß ihre Härten zumeist Folgen ihrer
Schwäche sind. Er weiß, daß sie in friedlichen Zeiten nur zu leicht zerfallen,
viel leichter als die von politischen Parteien inspirierten und protegierten Ar¬
beiterkoalitionen, und daß im Streitfall die Konkurrenzintercsscn der Arbeitgeber,
der Unterschied zwischen groß und klein, arm und reich unter ihnen die
unerläßliche Einmütigkeit herzustellen und zu erhalten viel schwerer machen, als
es ist, die Arbeiter sür den Streik soweit nnter einen Hut zu bringen, daß dem
Gegenpart ruinöse Verluste drohen. Das hat er im Berliner Brauerstreik am
eignen Leibe erfahren. Und vor allem sollte er doch wissen, daß — selbst wenn
sich der Traum einer friedlichen Lösung der sozialen Kämpfe durch die beiderseitige
Kampforganisation in der Zukunft einmal verwirklichen könnte — zunächst in
der viele Jahre langen Übergangszeit die zunehmenden Rüstungen der Parteien
den Kampf nur um so erbitterter und gewaltthätige Friedensstörungen nur
um so wahrscheinlicher machen müssen. Die verbündeten Regierungen thun
sehr wohl daran, ihr Ohr nicht den Urteilen so befangner Einzelner zu leihen,
weder dem Herrn Rösicke noch dem Herrn von Stumm.

Wenn Rösicke sich darüber beschwerte, daß der Zentralverband deutscher
Industrieller, dessen Einseitigkeiten den Regierungen genau so bekannt sind


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[0116] Der Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage einen verstärkten Gebrauch von dem Kvcilitivnsrecht gemacht, sondern die Unter¬ nehmer! Sie haben in weitgehendem Maße sich dieses Recht zu nutze gemacht und es nach jeder Richtung hin angewandt. Ich bin ja selbst Arbeitgeber, stehe ja mitten drin im Gewerbebetrieb, ich habe selbst soziale Kämpfe durch¬ gemacht und muß also doch wissen, was im gewerblichen Leben vorgeht; ich habe daher auch ein größeres Recht, über derartige Fragen zu sprechen, als die Mitglieder der verbündeten Regierungen, wie die Mitglieder des Neichs- amts des Innern, weil sie eben keine Gelegenheit gehabt haben, die Dinge in der Praxis, aus der Nähe kennen zu lernen." Rösicke weiß aber ganz genau, daß viele hundert liberale, wohlwollende, arbeiterfreundliche Großarbeitgeber, die weit entfernt sind, nach Herrn von Stumms Pfeife zu tanzen, ganz anders über die Sache denken, und daß sie genau ebenso viel von ihr verstehen wie er. Hat er ein Privileg auf das „Ohr" der verbündeten Regierungen? Glaubt er sich ein Monopol für alle Zeiten und für alle Fragen ersessen zu haben in der Periode, wo er die Unfehlbarkeit in Sachen der Arbeiter¬ unfallversicherung für sich in Anspruch nahm, und das Selbstlob in den von ihm vertretenen Unternehmerverbänden alle Nefvrmforderungen der Ar¬ beiterschaft niederschrie, in der er im Reichstage aussprach: Wir Unternehmer sind mit der Verwaltung zufrieden, und das genügt — obwohl doch das, was verwaltet wurde und unter der schlechten Wirtschaft litt, wohlerworbne Rechte der Arbeiter waren? In Heft 32 der Grenzboten vom Jahre 1896 ist darüber ausführlicher gesprochen worden. Rösicke weiß auch ganz genau, wie es mit der Entwicklung der Koalitionen der Arbeitgeber steht; daß sie ausgesprochen den Charakter der Notwehr an sich tragen, daß ihre Härten zumeist Folgen ihrer Schwäche sind. Er weiß, daß sie in friedlichen Zeiten nur zu leicht zerfallen, viel leichter als die von politischen Parteien inspirierten und protegierten Ar¬ beiterkoalitionen, und daß im Streitfall die Konkurrenzintercsscn der Arbeitgeber, der Unterschied zwischen groß und klein, arm und reich unter ihnen die unerläßliche Einmütigkeit herzustellen und zu erhalten viel schwerer machen, als es ist, die Arbeiter sür den Streik soweit nnter einen Hut zu bringen, daß dem Gegenpart ruinöse Verluste drohen. Das hat er im Berliner Brauerstreik am eignen Leibe erfahren. Und vor allem sollte er doch wissen, daß — selbst wenn sich der Traum einer friedlichen Lösung der sozialen Kämpfe durch die beiderseitige Kampforganisation in der Zukunft einmal verwirklichen könnte — zunächst in der viele Jahre langen Übergangszeit die zunehmenden Rüstungen der Parteien den Kampf nur um so erbitterter und gewaltthätige Friedensstörungen nur um so wahrscheinlicher machen müssen. Die verbündeten Regierungen thun sehr wohl daran, ihr Ohr nicht den Urteilen so befangner Einzelner zu leihen, weder dem Herrn Rösicke noch dem Herrn von Stumm. Wenn Rösicke sich darüber beschwerte, daß der Zentralverband deutscher Industrieller, dessen Einseitigkeiten den Regierungen genau so bekannt sind

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/116>, abgerufen am 15.01.2025.