Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Der Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage wundernswerter Skrupellosigkeit dem gegenüber, was man sonst Wahrheit Der Abgeordnete Rösicke hat den Eindruck des Widerspruchs zwischen der Womit sucht der Abgeordnete diesen krassen Widerspruch in seiner eignen Der Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage wundernswerter Skrupellosigkeit dem gegenüber, was man sonst Wahrheit Der Abgeordnete Rösicke hat den Eindruck des Widerspruchs zwischen der Womit sucht der Abgeordnete diesen krassen Widerspruch in seiner eignen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0115" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231285"/> <fw type="header" place="top"> Der Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage</fw><lb/> <p xml:id="ID_326" prev="#ID_325"> wundernswerter Skrupellosigkeit dem gegenüber, was man sonst Wahrheit<lb/> nennt, bemüht war, bei den Arbeitern und überhaupt bei der Masse des<lb/> deutschen Volkes mit einer direkt gegen den Kaiser gerichteten Spitze die<lb/> Meinung zu erwecken, daß in der That hier ein Grund zu tiefgehender Er¬<lb/> bitterung vorliege? Sollte ihn die Teilnahme seines Anhangs und seines<lb/> Organs an dieser Agitation nicht peinlich berührt haben? Die staatsmännische<lb/> Einsicht und die politische Erfahrung, die einem Minister Freiherrn von Ver-<lb/> lepsch zu eigen war, geht doch nicht über Nacht verloren, felbst wenn man unter<lb/> die Fronde gerät.</p><lb/> <p xml:id="ID_327"> Der Abgeordnete Rösicke hat den Eindruck des Widerspruchs zwischen der<lb/> Überzeugung — denn so muß man doch sagen — des Herrn von Vcrlepsch<lb/> vom Jahre 1891 und der von den Seinen inszenierten Entrüstungskomödie<lb/> von 1899 noch dadurch abzuschwächen versucht, daß er behauptete, Herr von<lb/> Berlepsch sei es damals „namentlich" auf die Strafbarkeit der öffentlichen<lb/> Aufforderung zum Kontraktbruch angekommen, und zwar unter dem frischen<lb/> Eindruck des Bergarbeiterstreiks von 1889. Er zitierte dabei eine Rede des<lb/> Ministers vom 6. Mai 1891. Aber diese Rede ist doch für jedermann ebenso<lb/> leicht nachzuschlagen wie die vom 21. April. Daran nicht zu denken, war sehr<lb/> unvorsichtig von dem Abgeordneten Rösicke, zumal wenn man die Entrüstung<lb/> so übertreibt, wie er. Er, ein Teilhaber der Firma Berlepsch, Rottenburg und<lb/> Genossen, hat übrigens jetzt im Reichstage, was so recht bezeichnend sür die<lb/> Verworrenheit der Lage ist, zugleich im Namen der „Freisinnigen Vereinigung"<lb/> gesprochen, d. h. jenes kleinen Rehes des orthodoxen Manchestcrtums der<lb/> Herren Nickert, Varth, Vrömel usw. Er erklärte den Gesetzentwurf für einen<lb/> Schlag ins Gesicht für den Reichstag, für den ersten Schritt zur Untergrabung<lb/> der Koalitionsfreiheit. Er übersteige alle Befürchtungen, die er und andre in<lb/> dieser Beziehung jemals gehabt hätten. Er, Rösicke, würde sich schämen, dem<lb/> deutscheu Reichstag angehört zu haben, wenn jemals dieses oder ein ähnliches<lb/> Gesetz angenommen würde. Und dabei hat derselbe Abgeordnete Rösicke am<lb/> 21. April 1891 erklärt, daß ein Zwang zum Streiken gegen Arbeitswillige in<lb/> ausgedehntesten Maße stattgefunden habe, sei offenkundig, und er verstehe, „daß<lb/> die daraus sich ergebenden Verhältnisse eine genügende Veranlassung für die<lb/> Negierung, der das Wohl der gesamten Bürgerschaft am Herzen liegt, bieten<lb/> können, verschärfte Maßregeln in diesen Gesetzentwurf aufzunehmen, um eine<lb/> größere Sicherheit gegen den Terrorismus, der in der Arbeiterschaft zum Teil<lb/> geübt worden ist, herbeizuführen."</p><lb/> <p xml:id="ID_328" next="#ID_329"> Womit sucht der Abgeordnete diesen krassen Widerspruch in seiner eignen<lb/> Haltung zu erklären? Er sagt über seine Erklärung von 1891 am 21. Juni<lb/> d. I. wörtlich: „Ich verstehe das jetzige Vorgehen der verbündeten Regierungen<lb/> gar nicht mehr, denn alle Befürchtungen, von denen damals die Rede war,<lb/> sind eben nicht eingetreten. Im Gegenteil, nicht die Arbeiter haben seitdem</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0115]
Der Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage
wundernswerter Skrupellosigkeit dem gegenüber, was man sonst Wahrheit
nennt, bemüht war, bei den Arbeitern und überhaupt bei der Masse des
deutschen Volkes mit einer direkt gegen den Kaiser gerichteten Spitze die
Meinung zu erwecken, daß in der That hier ein Grund zu tiefgehender Er¬
bitterung vorliege? Sollte ihn die Teilnahme seines Anhangs und seines
Organs an dieser Agitation nicht peinlich berührt haben? Die staatsmännische
Einsicht und die politische Erfahrung, die einem Minister Freiherrn von Ver-
lepsch zu eigen war, geht doch nicht über Nacht verloren, felbst wenn man unter
die Fronde gerät.
Der Abgeordnete Rösicke hat den Eindruck des Widerspruchs zwischen der
Überzeugung — denn so muß man doch sagen — des Herrn von Vcrlepsch
vom Jahre 1891 und der von den Seinen inszenierten Entrüstungskomödie
von 1899 noch dadurch abzuschwächen versucht, daß er behauptete, Herr von
Berlepsch sei es damals „namentlich" auf die Strafbarkeit der öffentlichen
Aufforderung zum Kontraktbruch angekommen, und zwar unter dem frischen
Eindruck des Bergarbeiterstreiks von 1889. Er zitierte dabei eine Rede des
Ministers vom 6. Mai 1891. Aber diese Rede ist doch für jedermann ebenso
leicht nachzuschlagen wie die vom 21. April. Daran nicht zu denken, war sehr
unvorsichtig von dem Abgeordneten Rösicke, zumal wenn man die Entrüstung
so übertreibt, wie er. Er, ein Teilhaber der Firma Berlepsch, Rottenburg und
Genossen, hat übrigens jetzt im Reichstage, was so recht bezeichnend sür die
Verworrenheit der Lage ist, zugleich im Namen der „Freisinnigen Vereinigung"
gesprochen, d. h. jenes kleinen Rehes des orthodoxen Manchestcrtums der
Herren Nickert, Varth, Vrömel usw. Er erklärte den Gesetzentwurf für einen
Schlag ins Gesicht für den Reichstag, für den ersten Schritt zur Untergrabung
der Koalitionsfreiheit. Er übersteige alle Befürchtungen, die er und andre in
dieser Beziehung jemals gehabt hätten. Er, Rösicke, würde sich schämen, dem
deutscheu Reichstag angehört zu haben, wenn jemals dieses oder ein ähnliches
Gesetz angenommen würde. Und dabei hat derselbe Abgeordnete Rösicke am
21. April 1891 erklärt, daß ein Zwang zum Streiken gegen Arbeitswillige in
ausgedehntesten Maße stattgefunden habe, sei offenkundig, und er verstehe, „daß
die daraus sich ergebenden Verhältnisse eine genügende Veranlassung für die
Negierung, der das Wohl der gesamten Bürgerschaft am Herzen liegt, bieten
können, verschärfte Maßregeln in diesen Gesetzentwurf aufzunehmen, um eine
größere Sicherheit gegen den Terrorismus, der in der Arbeiterschaft zum Teil
geübt worden ist, herbeizuführen."
Womit sucht der Abgeordnete diesen krassen Widerspruch in seiner eignen
Haltung zu erklären? Er sagt über seine Erklärung von 1891 am 21. Juni
d. I. wörtlich: „Ich verstehe das jetzige Vorgehen der verbündeten Regierungen
gar nicht mehr, denn alle Befürchtungen, von denen damals die Rede war,
sind eben nicht eingetreten. Im Gegenteil, nicht die Arbeiter haben seitdem
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