Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Der Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage Als die Verbündeten Regierungen und der Reichstag zu der Überzeugung Danach ist doch wohl anzunehmen, daß Freiherr von Berlepsch heute ohne Aber noch weit unzweideutiger hat Herr von Berlepsch seine mit den Die verbündeten Regierungen sind nicht zweifelhaft darüber, daß namentlich Grenzboten III 1899 14
Der Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage Als die Verbündeten Regierungen und der Reichstag zu der Überzeugung Danach ist doch wohl anzunehmen, daß Freiherr von Berlepsch heute ohne Aber noch weit unzweideutiger hat Herr von Berlepsch seine mit den Die verbündeten Regierungen sind nicht zweifelhaft darüber, daß namentlich Grenzboten III 1899 14
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Der Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage
Als die Verbündeten Regierungen und der Reichstag zu der Überzeugung
kamen, daß das Verbot der Koalition der Arbeiter nicht mehr aufrecht erhalten
werden könnte, daß vielmehr die Möglichkeit gegeben werden müßte, in der Ver¬
einigung die Kraft zu suchen, die der Einzelne nicht hat, um günstigere Lohn¬
bedingungen zu erzielen, waren sie zugleich der Meinung, daß es unerläßlich not¬
wendig sei, die Willensfreiheit derjenigen Arbeiter, die an einer Koalition oder an
einem Aufstande sich nicht beteiligen wollten, gegen den Zwang ihrer Genossen zu
schützen. Nach einem Zitat aus einer diesen Gedanken scharf aussprechenden Rede
Lasters vom 3. Mai 1869 sagte er weiter: Auf dem Satz (Lasters), daß kein
Arbeitnehmer durch widerrechtliche Mittel zu einer Vereinigung gezwungen werden
soll und darf, und auf der (gleichfalls von Laster betonten) Erfahrung, daß es
sich hier nicht um Hypothesen, sondern um Dinge handelt, die thatsächlich vor
unsern Angen vorgehn — ans diesem Satz und dieser Erfahrung beruht die Vor¬
lage. Sie unterscheidet sich prinzipiell nicht von der bestehenden Gesetzgebung; und
ich muß bemerken, daß die letztere bis zum Beginn dieser Reichstagssession von
keiner Seite angefochten worden ist, und daß auch von keiner Seite behauptet
worden ist, daß in der bestehenden Gesetzgebung ein Ausnahmegesetz, ein Gesetz,
welches Ausfluß der Klassengesetzgebung ist, enthalten sei. Nur der letzte Absatz
des (neuvorgeschlagnen) Z 153 betrifft ein Gebiet, welches die Gesetzgebung bisher
nicht umfaßt hat, nämlich die öffentliche Aufforderung zur widerrechtlichen Ein¬
stellung der Arbeit und zur widerrechtlichen Entlassung von Arbeitern. Im übrigen
handelt es sich bei dieser Vorlage lediglich um eine Erweiterung des Begriffs der
strafbaren Handlung — indem nicht nur der Zwang zur Teilnahme an Verab¬
redungen, sondern auch der Zwang zur Niederlegung von Arbeit auch ohne Verab¬
redung unter Strafe gestellt wird — und um eine Erhöhung des bisherigen
Strafmaßes.
Danach ist doch wohl anzunehmen, daß Freiherr von Berlepsch heute ohne
weiteres anerkennen wird, daß sich die Vorlage von 1899 — in dem von ihm
selbst gebrauchten Sinne des Worts — erst recht prinzipiell nicht von der
von ihm 1891 vertretnen unterscheidet, und daß sich seine Gefolgschaft der
Geschichtsfälschung dienstbar macht, wenn sie einen solchen Unterschied be¬
hauptet und deshalb die „Znchthausvorlage," wie sie sagt, als den Ausfluß
einer den „neusten Kurs" im schroffen Gegensatz zum „neuen" beherrschenden
arbeiterfeindlichen, „antisozialen" Gesinnung hinstellt.
Aber noch weit unzweideutiger hat Herr von Berlepsch seine mit den
heutigen Absichten der Negierung übereinstimmende Überzeugung zum Aus¬
druck gebracht, wenn er in derselben Sitzung vom 21. April 1891 die von
ihm vorgeschlagnen schärfern Strafbestimmungen wie folgt begründet:
Die verbündeten Regierungen sind nicht zweifelhaft darüber, daß namentlich
im Laufe der letzten beiden Jahre die Fälle, in denen Zwang gegen die arbeits¬
willigen Arbeiter dnrch ihre ausständigen Genossen ausgeübt worden ist, sich in
erheblichem Maße vermehrt haben. Das trat znerst bei dem großen Bergarbeiter¬
ausstande im Jahre 1889 in die Erscheinung. Nicht nur zahlreiche gerichtliche
Bestrafungen, sondern auch das Zeugnis der Behörden tritt dafür ein — der Be¬
hörden, die in völlig unparteiischer Weise aus nächster Nähe in der Lage waren,
Grenzboten III 1899 14
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