Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Was lehrt der erste Tuberkulosekongreß? eingesetzt werden, wenn der Sieg uns winken soll," sagt der Landesrat Meyer. Zu den sozialpolitischen Maßnahmen, die zu diesem Ziele führen, gehört Dieser staatliche Familienzuschuß, der für das fünfte und die folgenden Wir sind uns bewußt, daß diese sozialpolitischen Vorschläge manche Was lehrt der erste Tuberkulosekongreß? eingesetzt werden, wenn der Sieg uns winken soll," sagt der Landesrat Meyer. Zu den sozialpolitischen Maßnahmen, die zu diesem Ziele führen, gehört Dieser staatliche Familienzuschuß, der für das fünfte und die folgenden Wir sind uns bewußt, daß diese sozialpolitischen Vorschläge manche <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0111" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231281"/> <fw type="header" place="top"> Was lehrt der erste Tuberkulosekongreß?</fw><lb/> <p xml:id="ID_309" prev="#ID_308"> eingesetzt werden, wenn der Sieg uns winken soll," sagt der Landesrat Meyer.<lb/> Ja, sozial muß der Kampf geführt werden — das fasse man so ans: die<lb/> menschliche Gesellschaft muß so bestehen, so wohnen und sich so ernähren<lb/> können, daß sie die Empfänglichkeit für die Tuberkulose verliert; nicht aber so:<lb/> möglichst viele der Gesellschaft müssen der öffentlichen und privaten Wohl¬<lb/> thätigkeit anheimfallen.</p><lb/> <p xml:id="ID_310"> Zu den sozialpolitischen Maßnahmen, die zu diesem Ziele führen, gehört<lb/> in erster Linie eine Verbilligung aller notwendigen Lebensmittel, insbesondre<lb/> des Fleisches und der Fette, d. h. eine Aufhebung aller Zölle, die auf ihre<lb/> Einführung gelegt sind. Alsdann müßten der Staat und das Gesetz ver¬<lb/> hindern, daß leistungsfähige Unternehmer, insbesondre Aktiengesellschaften von<lb/> einer bestimmten Höhe der Dividende ab verheiratete Arbeiter zu Löhnen an¬<lb/> stellen, womit eine Familie nicht ernährt werden kann. Ein Staat, der sich<lb/> gesetzlich Mittel verschafft hat, Industrien vor dem Untergang zu bewahren<lb/> (Zuckerfabriken, Brennereien), braucht auch den Weg der Gesetzgebung nicht zu<lb/> scheuen, wenn es sich darum handelt, Hunderttausende von Arbeitern vor Aus¬<lb/> beutung zu schützen und ihren Familien die Gesundheit zu erhalten. Die be¬<lb/> ratenden Volkswirte der Regierung müssen dieser deutlich machen, daß eine<lb/> Familie aus sechs Köpfen bei den Wohnungspreisen der Großstadt nicht von<lb/> einem Tageslohn von 2^ bis 3 Mark leben kann. Es ist nicht zu fürchten,<lb/> daß die vorgeschlagnen Gesetze bei den Arbeitgebern eine Vorliebe für unver¬<lb/> heiratete Arbeiter erzeugen würden, weil ihnen im Interesse ihres Unternehmens<lb/> an einer seßhaften Arbeiterschaft sehr viel gelegen ist, während bekanntlich die<lb/> Unverheirateten leicht geneigt sind, ihre Stellungen zu wechseln. So würde<lb/> ein solches Gesetz gerade eine segensreiche Steigerung der Löhne bald hervor¬<lb/> rufen, z. B. bei Pferdebahn- und Omnibusgesellschaften, die trotz sehr hoher<lb/> Dividende ihre Angestellten ganz besonders schlecht bezahlen und unverheiratete<lb/> nicht seßhafte Leute gar nicht- gebrauchen können. Ferner: vom fünften Kinde<lb/> an müßte jede Arbeiterfamilie für jedes Kind aus einem Staatsfonds eine<lb/> monatliche Zulage erhalten; denn je größer der Divisor wird, der den Lohn<lb/> des Ernährers zu teilen hat, um so ungenügender wird die Ernährung der<lb/> einzelnen Familienmitglieder. Deshalb findet man in den Arbeiterfamilien die<lb/> ältesten Kinder oft kräftig, die andern aber elend und verkümmert.</p><lb/> <p xml:id="ID_311"> Dieser staatliche Familienzuschuß, der für das fünfte und die folgenden<lb/> Kinder gezahlt wird, würde dem Staat und dem Volkswohlstand sicher mehr<lb/> Nutzen bringen als viele Heilstätten. Er ist aber anch moralisch berechtigt,<lb/> weil der Staat ein Interesse an einer starken Bevölkerung, an einem reich¬<lb/> lichen Nachwuchs hat, weil er endlich jedes Verbrechen gegen keimendes Leben<lb/> mit harter Strafe bedroht.</p><lb/> <p xml:id="ID_312" next="#ID_313"> Wir sind uns bewußt, daß diese sozialpolitischen Vorschläge manche<lb/> Gegnerschaft finden werden. Der Zweck unsrer Zeilen würde schon erreicht</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0111]
Was lehrt der erste Tuberkulosekongreß?
eingesetzt werden, wenn der Sieg uns winken soll," sagt der Landesrat Meyer.
Ja, sozial muß der Kampf geführt werden — das fasse man so ans: die
menschliche Gesellschaft muß so bestehen, so wohnen und sich so ernähren
können, daß sie die Empfänglichkeit für die Tuberkulose verliert; nicht aber so:
möglichst viele der Gesellschaft müssen der öffentlichen und privaten Wohl¬
thätigkeit anheimfallen.
Zu den sozialpolitischen Maßnahmen, die zu diesem Ziele führen, gehört
in erster Linie eine Verbilligung aller notwendigen Lebensmittel, insbesondre
des Fleisches und der Fette, d. h. eine Aufhebung aller Zölle, die auf ihre
Einführung gelegt sind. Alsdann müßten der Staat und das Gesetz ver¬
hindern, daß leistungsfähige Unternehmer, insbesondre Aktiengesellschaften von
einer bestimmten Höhe der Dividende ab verheiratete Arbeiter zu Löhnen an¬
stellen, womit eine Familie nicht ernährt werden kann. Ein Staat, der sich
gesetzlich Mittel verschafft hat, Industrien vor dem Untergang zu bewahren
(Zuckerfabriken, Brennereien), braucht auch den Weg der Gesetzgebung nicht zu
scheuen, wenn es sich darum handelt, Hunderttausende von Arbeitern vor Aus¬
beutung zu schützen und ihren Familien die Gesundheit zu erhalten. Die be¬
ratenden Volkswirte der Regierung müssen dieser deutlich machen, daß eine
Familie aus sechs Köpfen bei den Wohnungspreisen der Großstadt nicht von
einem Tageslohn von 2^ bis 3 Mark leben kann. Es ist nicht zu fürchten,
daß die vorgeschlagnen Gesetze bei den Arbeitgebern eine Vorliebe für unver¬
heiratete Arbeiter erzeugen würden, weil ihnen im Interesse ihres Unternehmens
an einer seßhaften Arbeiterschaft sehr viel gelegen ist, während bekanntlich die
Unverheirateten leicht geneigt sind, ihre Stellungen zu wechseln. So würde
ein solches Gesetz gerade eine segensreiche Steigerung der Löhne bald hervor¬
rufen, z. B. bei Pferdebahn- und Omnibusgesellschaften, die trotz sehr hoher
Dividende ihre Angestellten ganz besonders schlecht bezahlen und unverheiratete
nicht seßhafte Leute gar nicht- gebrauchen können. Ferner: vom fünften Kinde
an müßte jede Arbeiterfamilie für jedes Kind aus einem Staatsfonds eine
monatliche Zulage erhalten; denn je größer der Divisor wird, der den Lohn
des Ernährers zu teilen hat, um so ungenügender wird die Ernährung der
einzelnen Familienmitglieder. Deshalb findet man in den Arbeiterfamilien die
ältesten Kinder oft kräftig, die andern aber elend und verkümmert.
Dieser staatliche Familienzuschuß, der für das fünfte und die folgenden
Kinder gezahlt wird, würde dem Staat und dem Volkswohlstand sicher mehr
Nutzen bringen als viele Heilstätten. Er ist aber anch moralisch berechtigt,
weil der Staat ein Interesse an einer starken Bevölkerung, an einem reich¬
lichen Nachwuchs hat, weil er endlich jedes Verbrechen gegen keimendes Leben
mit harter Strafe bedroht.
Wir sind uns bewußt, daß diese sozialpolitischen Vorschläge manche
Gegnerschaft finden werden. Der Zweck unsrer Zeilen würde schon erreicht
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