Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches sogenannten Garten nieder, der keinen grünen Hüten, viel weniger eine Blume oder Rassen und Kirchen. In der Kunst des Deutens und Auslegens sind Weiter heißt es: "Es mag auch nicht unberechtigt sein, von einem Niedergang Die Niederlage Österreichs dürfte allerdings ihre ganz besondern Gründe Maßgebliches und Unmaßgebliches sogenannten Garten nieder, der keinen grünen Hüten, viel weniger eine Blume oder Rassen und Kirchen. In der Kunst des Deutens und Auslegens sind Weiter heißt es: „Es mag auch nicht unberechtigt sein, von einem Niedergang Die Niederlage Österreichs dürfte allerdings ihre ganz besondern Gründe <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0103" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231273"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_279" prev="#ID_278"> sogenannten Garten nieder, der keinen grünen Hüten, viel weniger eine Blume oder<lb/> einen ordentlichen Baum auszuweisen hat, und dessen Luft mit Staub erfüllt ist.<lb/> Dort bleibt man kleben beim Glase und bei den Späßen, die zum Glase gehören.<lb/> Entziehen sich die Kinder diesem Pandämonium, finden sie einen Nasensleck oder<lb/> ein Wäldchen, wo sie sich tummeln und ein paar Stunden eine ihnen angemessene<lb/> wirkliche Erholung genießen, so bekommen sie nach der Rückkehr Ohrfeigen, weil<lb/> die Mutter ihretwegen in Sorge gewesen ist, oder weil sie ihre Sonntagskleider<lb/> beschmutzt haben. Spät in der Nacht gehts nach Hause in demselben Wagen, wo<lb/> die Kinder in die wüste Gesellschaft berauschter, trotzdem noch weiter trinkender,<lb/> rauchender und Zoten reißender Menschen eingekeilt schwitzen. Und dafür, oder<lb/> der nächtlichen Tingeltangelnnterhaltung wegen soll am Montag Morgen der Schul¬<lb/> unterricht gekürzt oder verschoben werden? Sind die Eltern vernünftig, so lassen<lb/> sie die Kinder sich den Sonntag über tummeln, machen um sieben Uhr abends<lb/> Schluß, schicken sie um halb neun Uhr zu Bett und wecken sie, des Sommers<lb/> wenigstens, am Montag früh um fünf Uhr, damit sie am offnen Fenster oder auf<lb/> einem kleinen Spaziergang in den Tiergarten oder Humboldthain, oder was sie<lb/> sonst für einen Park nahe haben, die reine, frische Morgenluft einatmen.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Rassen und Kirchen.</head> <p xml:id="ID_280"> In der Kunst des Deutens und Auslegens sind<lb/> einige unsrer heutigen Tageblätter mit einer beneidenswerten Kühnheit und Ge¬<lb/> schmeidigkeit begabt. Von ihrer verblüffenden Sicherheit, zu interpretieren und schiefe<lb/> Schlußfolgerungen zu ziehen, zeugt die Auslassung einer Breslauer Zeitung, die<lb/> meinen Aufsatz über Rassen und Kriege alles Ernstes dazu verwertet hat, eine<lb/> Lanze für die römische Kirche zu brechen. Es muß dieser Versuch um so merk¬<lb/> würdiger erscheinen, als in dem betreffenden Artikel jede Berührung religiöser<lb/> Fragen streng vermieden worden ist. Die Schlesische Volkszeitung schreibt im<lb/> Leitartikel ihrer Morgenausgabe vom 21. Juni: „In letzter Zeit hat man sich<lb/> in kulturkämpferischen sowie in protestantisch-theologischen Organen viel Mühe ge¬<lb/> geben, die Niederlagen, welche vier katholische Staaten (Österreich, Frankreich,<lb/> Italien, Spanien) im Kriege erlitten haben, als den Beweis der Minderwertigkeit<lb/> des Katholizismus gegenüber dem Protestantismus zu deute». Demgegenüber (!)<lb/> wurde vor einiger Zeit in einem Artikel der Grenzboten, betitelt »Rassen und<lb/> Kriege«, der Sieg der Vereinigten Staaten über die Spanier und der Erfolg<lb/> der germanischen Völker gegenüber den romanischen auf ihre Disziplin zurück¬<lb/> geführt. ..."</p><lb/> <p xml:id="ID_281"> Weiter heißt es: „Es mag auch nicht unberechtigt sein, von einem Niedergang<lb/> der romanischen Staaten zu reden und darauf ihre Niederlagen zurückzuführen;<lb/> jedenfalls hat die Niederlage Österreichs gegen Preußen ganz besondre Gründe,<lb/> die keineswegs mit religiösen Dingen zusammenhängen."</p><lb/> <p xml:id="ID_282" next="#ID_283"> Die Niederlage Österreichs dürfte allerdings ihre ganz besondern Gründe<lb/> haben, von denen der Einfluß der römischen Kirche nicht am wenigsten in Betracht<lb/> kommt. Gerade in den österreichischen Kronländern ist die, wenn man so sagen<lb/> darf, „stark einschläfernde Wirkung" des Klerikalismus insbesondre ans die untern<lb/> Schichten der Bevölkerung eine — wenn auch nicht die einzige — Erklärung sür<lb/> die langsame Entwicklung dieser Länder. Der Beruf der römischen Kirche sei,<lb/> alle Völker zu lehren, sagt die Schlesische Volkszeitung; ob sie aber diesen<lb/> heiligen Beruf unter allen Völkern nach bestem Wissen erfüllt, darüber gehn die<lb/> Ansichten etwas nuseiuander. Bevor wir durch Erfahrung eines bessern belehrt<lb/> werden, wird man uns erlauben müssen, daran zu zweifeln und der Ansicht zu,<lb/> sein, daß der römische Klerus und die ganze gewaltige Organisation seiner Kirche</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0103]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
sogenannten Garten nieder, der keinen grünen Hüten, viel weniger eine Blume oder
einen ordentlichen Baum auszuweisen hat, und dessen Luft mit Staub erfüllt ist.
Dort bleibt man kleben beim Glase und bei den Späßen, die zum Glase gehören.
Entziehen sich die Kinder diesem Pandämonium, finden sie einen Nasensleck oder
ein Wäldchen, wo sie sich tummeln und ein paar Stunden eine ihnen angemessene
wirkliche Erholung genießen, so bekommen sie nach der Rückkehr Ohrfeigen, weil
die Mutter ihretwegen in Sorge gewesen ist, oder weil sie ihre Sonntagskleider
beschmutzt haben. Spät in der Nacht gehts nach Hause in demselben Wagen, wo
die Kinder in die wüste Gesellschaft berauschter, trotzdem noch weiter trinkender,
rauchender und Zoten reißender Menschen eingekeilt schwitzen. Und dafür, oder
der nächtlichen Tingeltangelnnterhaltung wegen soll am Montag Morgen der Schul¬
unterricht gekürzt oder verschoben werden? Sind die Eltern vernünftig, so lassen
sie die Kinder sich den Sonntag über tummeln, machen um sieben Uhr abends
Schluß, schicken sie um halb neun Uhr zu Bett und wecken sie, des Sommers
wenigstens, am Montag früh um fünf Uhr, damit sie am offnen Fenster oder auf
einem kleinen Spaziergang in den Tiergarten oder Humboldthain, oder was sie
sonst für einen Park nahe haben, die reine, frische Morgenluft einatmen.
Rassen und Kirchen. In der Kunst des Deutens und Auslegens sind
einige unsrer heutigen Tageblätter mit einer beneidenswerten Kühnheit und Ge¬
schmeidigkeit begabt. Von ihrer verblüffenden Sicherheit, zu interpretieren und schiefe
Schlußfolgerungen zu ziehen, zeugt die Auslassung einer Breslauer Zeitung, die
meinen Aufsatz über Rassen und Kriege alles Ernstes dazu verwertet hat, eine
Lanze für die römische Kirche zu brechen. Es muß dieser Versuch um so merk¬
würdiger erscheinen, als in dem betreffenden Artikel jede Berührung religiöser
Fragen streng vermieden worden ist. Die Schlesische Volkszeitung schreibt im
Leitartikel ihrer Morgenausgabe vom 21. Juni: „In letzter Zeit hat man sich
in kulturkämpferischen sowie in protestantisch-theologischen Organen viel Mühe ge¬
geben, die Niederlagen, welche vier katholische Staaten (Österreich, Frankreich,
Italien, Spanien) im Kriege erlitten haben, als den Beweis der Minderwertigkeit
des Katholizismus gegenüber dem Protestantismus zu deute». Demgegenüber (!)
wurde vor einiger Zeit in einem Artikel der Grenzboten, betitelt »Rassen und
Kriege«, der Sieg der Vereinigten Staaten über die Spanier und der Erfolg
der germanischen Völker gegenüber den romanischen auf ihre Disziplin zurück¬
geführt. ..."
Weiter heißt es: „Es mag auch nicht unberechtigt sein, von einem Niedergang
der romanischen Staaten zu reden und darauf ihre Niederlagen zurückzuführen;
jedenfalls hat die Niederlage Österreichs gegen Preußen ganz besondre Gründe,
die keineswegs mit religiösen Dingen zusammenhängen."
Die Niederlage Österreichs dürfte allerdings ihre ganz besondern Gründe
haben, von denen der Einfluß der römischen Kirche nicht am wenigsten in Betracht
kommt. Gerade in den österreichischen Kronländern ist die, wenn man so sagen
darf, „stark einschläfernde Wirkung" des Klerikalismus insbesondre ans die untern
Schichten der Bevölkerung eine — wenn auch nicht die einzige — Erklärung sür
die langsame Entwicklung dieser Länder. Der Beruf der römischen Kirche sei,
alle Völker zu lehren, sagt die Schlesische Volkszeitung; ob sie aber diesen
heiligen Beruf unter allen Völkern nach bestem Wissen erfüllt, darüber gehn die
Ansichten etwas nuseiuander. Bevor wir durch Erfahrung eines bessern belehrt
werden, wird man uns erlauben müssen, daran zu zweifeln und der Ansicht zu,
sein, daß der römische Klerus und die ganze gewaltige Organisation seiner Kirche
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