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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Über Jakob Burckhardt? Griechische Kulturgeschichte

verstanden sich die Griechen von Anfang an auf das "Herzeleid in Worten/'
auf Lästerung im Theater, im Leben und in öffentlichen Versammlungen.
"Das kollegiale Fell war das dickste." In keiner andern Gegend der Welt¬
geschichte habe sich so das Teuflische, das Vergnügen am Verderben von andern
öffentlich laut machen dürfen, wie in den athenischen Gerichtsreden. Dagegen
wird die griechische Ehrliebe in ihrer Offenheit und oft mit dem gediegensten
Selbstlob, der Wunsch des Nachruhms, der heute nur wenige beschäftige, gegen¬
über gestellt unserm heutigen negativen Ehrgefühl, das nur nichts ungünstiges
auf sich kommen lassen wolle, und der Streberei, die nicht Ruhm, sondern
Stellen und Geld suche. Hier ist also der Grieche der anständigere, und dafür
hat schon Schiller, der über die Griechen so manches treffende Wort gesagt
hat, den schönsten Ausdruck gefunden: Von des Lebens Gütern allen usw.
Wir wollen das nicht vergessen, wenn Burckhardt gleich darauf uns an seine
"Götter Griechenlands" erinnert, womit der Optimismus des vorigen Jahr¬
hunderts eine der allergrößten Fälschungen, die jemals vorgekommen, be¬
gangen habe.

Äußerst anmutig ist die Abhandlung von der "Lokativn" der Erdengüter:
Gesundheit, Ruhm, Reichtum, Geselligkeit usw. uach den drei Stufen des litte¬
rarischen Bewußtseins: dem Epos, den Zeugen des fünften Jahrhunderts und
den Philosophen. Sie leitet nun über zu dem griechischen Pessimismus oder
der Frage, ob das Leben um seiner selbst willen wünschbar sei?

Der Pessimismus der Griechen ist hauptsächlich von Schopenhauer und
Nietzsche, von diesem mit besondrer Betonung seiner Eigenschaft als Edelgewächs,
in die heutige litterarische Unterhaltung eingeführt worden. Burckhardt tritt
mit Entschiedenheit für ihn ein. Seine Schilderung ist gerade in ihrer Kürze
hinreißend. Er wird fortan auch als gewichtiger Zeuge dafür angerufen
werden, wie ernst es die Griechen mit dem "Nichtgeborensein ist das beste"
gemeint hätten. Bezeichnend ist dabei die öftere Abweisung, als könnte die
äußere Lebensfreude, Kurzweil, Geselligkeit oder Teilnahme an schonen Festen,
etwa auch Genuß der Kunstwerke jemals ein tieferes Glücksgefühl gegeben haben.
Hier wäre aber doch, wenn eine Rechnung gemacht werden sollte, immer zu
fragen: wem und wem etwa nicht? Alkibiades z. B. würde, wenn er gefragt
worden wäre, gewiß das Leben lebenswert gefunden haben, auch .Lenophon,
den ja vorgezogne Geister einen Philister zu nennen Pflegen, der aber min¬
destens einen recht gebildeten Durchschnitt darstellt, hat Freude an der Welt
gehabt, und Herodot können wir uns wenigstens als Persönlichkeit nicht anders
vorstellen, als mit einer gewissen Fähigkeit zum Lebensgenuß ausgestattet,
wenn er auch in seinen Geschichten noch so sehr der Wandelbarkeit des Glücks
nachgeht und alles Unglück mit einer Art Behagen in seine Ursachen zurück
verfolgt. Das sind freilich nur wenige Stimmen gegenüber den vielen, die
sich pessimistisch vernehmen zu lassen Pflegen.


Über Jakob Burckhardt? Griechische Kulturgeschichte

verstanden sich die Griechen von Anfang an auf das „Herzeleid in Worten/'
auf Lästerung im Theater, im Leben und in öffentlichen Versammlungen.
„Das kollegiale Fell war das dickste." In keiner andern Gegend der Welt¬
geschichte habe sich so das Teuflische, das Vergnügen am Verderben von andern
öffentlich laut machen dürfen, wie in den athenischen Gerichtsreden. Dagegen
wird die griechische Ehrliebe in ihrer Offenheit und oft mit dem gediegensten
Selbstlob, der Wunsch des Nachruhms, der heute nur wenige beschäftige, gegen¬
über gestellt unserm heutigen negativen Ehrgefühl, das nur nichts ungünstiges
auf sich kommen lassen wolle, und der Streberei, die nicht Ruhm, sondern
Stellen und Geld suche. Hier ist also der Grieche der anständigere, und dafür
hat schon Schiller, der über die Griechen so manches treffende Wort gesagt
hat, den schönsten Ausdruck gefunden: Von des Lebens Gütern allen usw.
Wir wollen das nicht vergessen, wenn Burckhardt gleich darauf uns an seine
„Götter Griechenlands" erinnert, womit der Optimismus des vorigen Jahr¬
hunderts eine der allergrößten Fälschungen, die jemals vorgekommen, be¬
gangen habe.

Äußerst anmutig ist die Abhandlung von der „Lokativn" der Erdengüter:
Gesundheit, Ruhm, Reichtum, Geselligkeit usw. uach den drei Stufen des litte¬
rarischen Bewußtseins: dem Epos, den Zeugen des fünften Jahrhunderts und
den Philosophen. Sie leitet nun über zu dem griechischen Pessimismus oder
der Frage, ob das Leben um seiner selbst willen wünschbar sei?

Der Pessimismus der Griechen ist hauptsächlich von Schopenhauer und
Nietzsche, von diesem mit besondrer Betonung seiner Eigenschaft als Edelgewächs,
in die heutige litterarische Unterhaltung eingeführt worden. Burckhardt tritt
mit Entschiedenheit für ihn ein. Seine Schilderung ist gerade in ihrer Kürze
hinreißend. Er wird fortan auch als gewichtiger Zeuge dafür angerufen
werden, wie ernst es die Griechen mit dem „Nichtgeborensein ist das beste"
gemeint hätten. Bezeichnend ist dabei die öftere Abweisung, als könnte die
äußere Lebensfreude, Kurzweil, Geselligkeit oder Teilnahme an schonen Festen,
etwa auch Genuß der Kunstwerke jemals ein tieferes Glücksgefühl gegeben haben.
Hier wäre aber doch, wenn eine Rechnung gemacht werden sollte, immer zu
fragen: wem und wem etwa nicht? Alkibiades z. B. würde, wenn er gefragt
worden wäre, gewiß das Leben lebenswert gefunden haben, auch .Lenophon,
den ja vorgezogne Geister einen Philister zu nennen Pflegen, der aber min¬
destens einen recht gebildeten Durchschnitt darstellt, hat Freude an der Welt
gehabt, und Herodot können wir uns wenigstens als Persönlichkeit nicht anders
vorstellen, als mit einer gewissen Fähigkeit zum Lebensgenuß ausgestattet,
wenn er auch in seinen Geschichten noch so sehr der Wandelbarkeit des Glücks
nachgeht und alles Unglück mit einer Art Behagen in seine Ursachen zurück
verfolgt. Das sind freilich nur wenige Stimmen gegenüber den vielen, die
sich pessimistisch vernehmen zu lassen Pflegen.


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[0091] Über Jakob Burckhardt? Griechische Kulturgeschichte verstanden sich die Griechen von Anfang an auf das „Herzeleid in Worten/' auf Lästerung im Theater, im Leben und in öffentlichen Versammlungen. „Das kollegiale Fell war das dickste." In keiner andern Gegend der Welt¬ geschichte habe sich so das Teuflische, das Vergnügen am Verderben von andern öffentlich laut machen dürfen, wie in den athenischen Gerichtsreden. Dagegen wird die griechische Ehrliebe in ihrer Offenheit und oft mit dem gediegensten Selbstlob, der Wunsch des Nachruhms, der heute nur wenige beschäftige, gegen¬ über gestellt unserm heutigen negativen Ehrgefühl, das nur nichts ungünstiges auf sich kommen lassen wolle, und der Streberei, die nicht Ruhm, sondern Stellen und Geld suche. Hier ist also der Grieche der anständigere, und dafür hat schon Schiller, der über die Griechen so manches treffende Wort gesagt hat, den schönsten Ausdruck gefunden: Von des Lebens Gütern allen usw. Wir wollen das nicht vergessen, wenn Burckhardt gleich darauf uns an seine „Götter Griechenlands" erinnert, womit der Optimismus des vorigen Jahr¬ hunderts eine der allergrößten Fälschungen, die jemals vorgekommen, be¬ gangen habe. Äußerst anmutig ist die Abhandlung von der „Lokativn" der Erdengüter: Gesundheit, Ruhm, Reichtum, Geselligkeit usw. uach den drei Stufen des litte¬ rarischen Bewußtseins: dem Epos, den Zeugen des fünften Jahrhunderts und den Philosophen. Sie leitet nun über zu dem griechischen Pessimismus oder der Frage, ob das Leben um seiner selbst willen wünschbar sei? Der Pessimismus der Griechen ist hauptsächlich von Schopenhauer und Nietzsche, von diesem mit besondrer Betonung seiner Eigenschaft als Edelgewächs, in die heutige litterarische Unterhaltung eingeführt worden. Burckhardt tritt mit Entschiedenheit für ihn ein. Seine Schilderung ist gerade in ihrer Kürze hinreißend. Er wird fortan auch als gewichtiger Zeuge dafür angerufen werden, wie ernst es die Griechen mit dem „Nichtgeborensein ist das beste" gemeint hätten. Bezeichnend ist dabei die öftere Abweisung, als könnte die äußere Lebensfreude, Kurzweil, Geselligkeit oder Teilnahme an schonen Festen, etwa auch Genuß der Kunstwerke jemals ein tieferes Glücksgefühl gegeben haben. Hier wäre aber doch, wenn eine Rechnung gemacht werden sollte, immer zu fragen: wem und wem etwa nicht? Alkibiades z. B. würde, wenn er gefragt worden wäre, gewiß das Leben lebenswert gefunden haben, auch .Lenophon, den ja vorgezogne Geister einen Philister zu nennen Pflegen, der aber min¬ destens einen recht gebildeten Durchschnitt darstellt, hat Freude an der Welt gehabt, und Herodot können wir uns wenigstens als Persönlichkeit nicht anders vorstellen, als mit einer gewissen Fähigkeit zum Lebensgenuß ausgestattet, wenn er auch in seinen Geschichten noch so sehr der Wandelbarkeit des Glücks nachgeht und alles Unglück mit einer Art Behagen in seine Ursachen zurück verfolgt. Das sind freilich nur wenige Stimmen gegenüber den vielen, die sich pessimistisch vernehmen zu lassen Pflegen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/91>, abgerufen am 28.09.2024.