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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Über Jakob Burckhardts Griechische Kulturgeschichte

Wenn man den Wert einer Religion nach ihrem Verhältnis zur Sittlich¬
keit schätzt, so stehn hier "die schönsten Polytheismen zurück, und so auch der
griechische." Die Griechen hatten an ihren Göttern "unaussprechlich vieles,"
an einer andern Stelle neunt er ihren Kultus das "alte Bündnis zwischen
Götterdienst und Lebensfreude," aber nur "sehr mäßiges, sobald es sich um
moralische Vorbildlichkeit und Trost handelte." Von den Weihgeschenken meint
er, großen religiösen Stürmen gegenüber würde ja auch diese Welt von
Schöpfungen ohnmächtig sein, aber so lauge eine alte Religion überhaupt uoch
lebe, müßten solche Geschenke für die alten Götter ein Gefühl der schätzbarsten
Art lebendig erhalten: die Rührung, die wir für die stiftenden empfinden,
werde auch den Göttern zu gute kommen. Es ließ sich leben mit solchen
Göttern, die dem Schicksal Unterthan waren und nicht sittlicher sein wollten
als die Menschen, und die diese nicht "zum Ungehorsam reizten durch die
Heiligkeit, die dem Gotte der monotheistischen Religionen angehört." Diese
ganze Religion, heißt es an einer andern Stelle, war keine systematische Doktrin
oder Sache priesterlicher Autorität, die zum Widerspruch aufgefordert hätte,
sondern eine Temperamentsform des griechischen Volkes, die als eigne Schöpfung
und Besitz empfunden wurde. "Sie wandte sich nicht an den Gedanken, womit
man den Menschen den Zugang so sehr erschwert, sie stellte keine innern Zu¬
mutungen an den Menschen, vollends nicht auf innere Umkehr und Askese,
ihre Götter wurden nicht unbequem durch Heiligkeit und störten auch den
Lockersten nicht in seinem Egoismus; es ließ sich mit ihnen leben und sogar
in gewissen Beziehungen recht wüst leben. Und endlich war der ganze Kultus
mit dem Genuß so verflochten, daß niemand sagen konnte, wo die Grenze liege.
Daher hat es ini Altertum zwar viele Ungläubige, aber nie einen Unglauben
des Volkes, auch nicht der städtischen Bcvölkerungsmassen gegeben noch geben
können."

Da nun die Philosophen für diese Götter "von so zweifelhafter Macht
und Vollkommenheit" wenig geleistet und mit schon feststehenden Ausdrücken
von Schicksal und Verhängnis weiterhantiert hätten, sodaß man eine tiefere
Betrachtung von Willensfreiheit und Notwendigkeit bei ihnen umsonst suchen
würde, so habe die Hauptkraft dieser Religion gegenüber einem doch "zu jeg¬
lichem Räsonnement aufgelegten Volke" gelegen in der "Natur und Massen-
haftigkeit ihres Kultus, der eine objektive Macht im Leben und eine Sitte
war." Die Griechen würden mit einer lehrenden Religion früh Streit an¬
gefangen haben, "die ihrige war lauter Dienst, lehrte nichts, und war deshalb
auch nicht zu widerlegen." "So konnte auch eine stürmisch demokratische Polis
nicht mit ihrer Religion in Konflikt kommen, und vollends stritten sich beide
nicht um den Schulunterricht."

Was über die bildende Kunst im Verhältnis zur Religion gesagt wird,
ist nicht viel, aber alles von eigentümlicher Prägung. Die .Kunst war "einst


Über Jakob Burckhardts Griechische Kulturgeschichte

Wenn man den Wert einer Religion nach ihrem Verhältnis zur Sittlich¬
keit schätzt, so stehn hier „die schönsten Polytheismen zurück, und so auch der
griechische." Die Griechen hatten an ihren Göttern „unaussprechlich vieles,"
an einer andern Stelle neunt er ihren Kultus das „alte Bündnis zwischen
Götterdienst und Lebensfreude," aber nur „sehr mäßiges, sobald es sich um
moralische Vorbildlichkeit und Trost handelte." Von den Weihgeschenken meint
er, großen religiösen Stürmen gegenüber würde ja auch diese Welt von
Schöpfungen ohnmächtig sein, aber so lauge eine alte Religion überhaupt uoch
lebe, müßten solche Geschenke für die alten Götter ein Gefühl der schätzbarsten
Art lebendig erhalten: die Rührung, die wir für die stiftenden empfinden,
werde auch den Göttern zu gute kommen. Es ließ sich leben mit solchen
Göttern, die dem Schicksal Unterthan waren und nicht sittlicher sein wollten
als die Menschen, und die diese nicht „zum Ungehorsam reizten durch die
Heiligkeit, die dem Gotte der monotheistischen Religionen angehört." Diese
ganze Religion, heißt es an einer andern Stelle, war keine systematische Doktrin
oder Sache priesterlicher Autorität, die zum Widerspruch aufgefordert hätte,
sondern eine Temperamentsform des griechischen Volkes, die als eigne Schöpfung
und Besitz empfunden wurde. „Sie wandte sich nicht an den Gedanken, womit
man den Menschen den Zugang so sehr erschwert, sie stellte keine innern Zu¬
mutungen an den Menschen, vollends nicht auf innere Umkehr und Askese,
ihre Götter wurden nicht unbequem durch Heiligkeit und störten auch den
Lockersten nicht in seinem Egoismus; es ließ sich mit ihnen leben und sogar
in gewissen Beziehungen recht wüst leben. Und endlich war der ganze Kultus
mit dem Genuß so verflochten, daß niemand sagen konnte, wo die Grenze liege.
Daher hat es ini Altertum zwar viele Ungläubige, aber nie einen Unglauben
des Volkes, auch nicht der städtischen Bcvölkerungsmassen gegeben noch geben
können."

Da nun die Philosophen für diese Götter „von so zweifelhafter Macht
und Vollkommenheit" wenig geleistet und mit schon feststehenden Ausdrücken
von Schicksal und Verhängnis weiterhantiert hätten, sodaß man eine tiefere
Betrachtung von Willensfreiheit und Notwendigkeit bei ihnen umsonst suchen
würde, so habe die Hauptkraft dieser Religion gegenüber einem doch „zu jeg¬
lichem Räsonnement aufgelegten Volke" gelegen in der „Natur und Massen-
haftigkeit ihres Kultus, der eine objektive Macht im Leben und eine Sitte
war." Die Griechen würden mit einer lehrenden Religion früh Streit an¬
gefangen haben, „die ihrige war lauter Dienst, lehrte nichts, und war deshalb
auch nicht zu widerlegen." „So konnte auch eine stürmisch demokratische Polis
nicht mit ihrer Religion in Konflikt kommen, und vollends stritten sich beide
nicht um den Schulunterricht."

Was über die bildende Kunst im Verhältnis zur Religion gesagt wird,
ist nicht viel, aber alles von eigentümlicher Prägung. Die .Kunst war „einst


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[0088] Über Jakob Burckhardts Griechische Kulturgeschichte Wenn man den Wert einer Religion nach ihrem Verhältnis zur Sittlich¬ keit schätzt, so stehn hier „die schönsten Polytheismen zurück, und so auch der griechische." Die Griechen hatten an ihren Göttern „unaussprechlich vieles," an einer andern Stelle neunt er ihren Kultus das „alte Bündnis zwischen Götterdienst und Lebensfreude," aber nur „sehr mäßiges, sobald es sich um moralische Vorbildlichkeit und Trost handelte." Von den Weihgeschenken meint er, großen religiösen Stürmen gegenüber würde ja auch diese Welt von Schöpfungen ohnmächtig sein, aber so lauge eine alte Religion überhaupt uoch lebe, müßten solche Geschenke für die alten Götter ein Gefühl der schätzbarsten Art lebendig erhalten: die Rührung, die wir für die stiftenden empfinden, werde auch den Göttern zu gute kommen. Es ließ sich leben mit solchen Göttern, die dem Schicksal Unterthan waren und nicht sittlicher sein wollten als die Menschen, und die diese nicht „zum Ungehorsam reizten durch die Heiligkeit, die dem Gotte der monotheistischen Religionen angehört." Diese ganze Religion, heißt es an einer andern Stelle, war keine systematische Doktrin oder Sache priesterlicher Autorität, die zum Widerspruch aufgefordert hätte, sondern eine Temperamentsform des griechischen Volkes, die als eigne Schöpfung und Besitz empfunden wurde. „Sie wandte sich nicht an den Gedanken, womit man den Menschen den Zugang so sehr erschwert, sie stellte keine innern Zu¬ mutungen an den Menschen, vollends nicht auf innere Umkehr und Askese, ihre Götter wurden nicht unbequem durch Heiligkeit und störten auch den Lockersten nicht in seinem Egoismus; es ließ sich mit ihnen leben und sogar in gewissen Beziehungen recht wüst leben. Und endlich war der ganze Kultus mit dem Genuß so verflochten, daß niemand sagen konnte, wo die Grenze liege. Daher hat es ini Altertum zwar viele Ungläubige, aber nie einen Unglauben des Volkes, auch nicht der städtischen Bcvölkerungsmassen gegeben noch geben können." Da nun die Philosophen für diese Götter „von so zweifelhafter Macht und Vollkommenheit" wenig geleistet und mit schon feststehenden Ausdrücken von Schicksal und Verhängnis weiterhantiert hätten, sodaß man eine tiefere Betrachtung von Willensfreiheit und Notwendigkeit bei ihnen umsonst suchen würde, so habe die Hauptkraft dieser Religion gegenüber einem doch „zu jeg¬ lichem Räsonnement aufgelegten Volke" gelegen in der „Natur und Massen- haftigkeit ihres Kultus, der eine objektive Macht im Leben und eine Sitte war." Die Griechen würden mit einer lehrenden Religion früh Streit an¬ gefangen haben, „die ihrige war lauter Dienst, lehrte nichts, und war deshalb auch nicht zu widerlegen." „So konnte auch eine stürmisch demokratische Polis nicht mit ihrer Religion in Konflikt kommen, und vollends stritten sich beide nicht um den Schulunterricht." Was über die bildende Kunst im Verhältnis zur Religion gesagt wird, ist nicht viel, aber alles von eigentümlicher Prägung. Die .Kunst war „einst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/88>, abgerufen am 28.09.2024.