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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Wissenswerte. Als Rest bleibt uns eine vielfach allerliebste, auch wohl leicht
ironische äußere Einkleidung der Sache oder eine farbig wirkende Umschreibung der
betreffenden Textstclle. Rohde hat ans diesem Gebiete zuerst in seiner "Psyche"
eine ganz strenge Analyse der Quellen gegeben, um daraus eine Geschichte der
Glaubensvorstellungen bei den Griechen zu gewinnen. In Burckhardts Natur
hätte es ja auch viel mehr gelegen, dieses Menschliche zu behandeln, als sich
mit der verhältnismäßig unwichtigen Topographie der Sache abzumühen.

Er fesselt uns, sobald er auf die theologische und ethische Seite losgeht
und z. B. bei den Göttern fragt, was sie den Menschen gewesen seien. Seinen
Ausgang nimmt er gern von den Nägelsbachschen Büchern, und dankbar weist
er auf die inhaltreichen Paragraphen von Hermanns Altertümern hin, es wäre
ja auch thöricht zu meinen, daß diese Bücher schon ausgenutzt seien, aber seine
Gedanken gehn dann ihren eignen Weg, und sein Ausdruck ist um vieles geist¬
reicher.

Wenn das griechische Volk den Erzählungen seiner epischen Dichter lauschte,
so genoß es in diesem großen Idealbilds seines eignen, dauernden Seins lauter
"Ewigungen," während wir heute nur von "Zeitungen" umgeben sind. Unsre
Bewunderung für Homer und seine Zuhörer würde noch steigen, wenn wir
ermessen könnten, wieviel grelles, schreckliches, wüstes, das noch vorhanden war,
"vermieden und ausgeschlossen wurde, und dieses stille Einverständnis zwischen
dem Asten und dem lauschenden Volk kann zum Edelsten der ganzen Frühzeit
gehört haben. Was bei Homer von den Göttern gesagt wird, das lesen wir.
Allein wir wissen nicht, was es den Sänger kostete, damit ihnen die schreck¬
lichste Schmach, die Abhängigkeit vom menschlichen Beschwörungszwang, erspart
blieb." Dieser Gedanke kommt Burckhardt aus dem tiefsten Herzen. Die
Griechen müssen lange Zeit den festen Willen gehabt haben, den möglichen
ursprünglichen Sinn ihrer Mythen, z. V. ihren Ursprung aus Naturkräften,
zu vergessen und alles episch zu fassen. In dieser nnn erreichten schönen
Bildlichkeit decken sich Gestalt und Bedeutung, es fehlt außerhalb der Theogonie
jede Ahnung, als ob der Mythus nur eine Hülle, ein symbolischer Ausdruck
für etwas Zurückliegendes sein könnte, und die Neigung zu einer abstrakten
Auffassung des Göttlichen und die Versuche, die Religion spekulativ umzuge¬
stalten, mußten lange erfolglos bleiben. Bei der Mythendeutung, die wir
dann vornehmen, "hat von jeher eingeleuchtet, daß der alte Mythus etwas
sagen will, und daß wir es nicht mit einem herrenlosen Hin- und Herwogen
zufälliger Phantasien zu thun haben. Unsre Unfähigkeit beginnt an dem
Punkte, da wir uns das gleichzeitige Entsteh" und Zusammenleben von Sache
und Bild, das uralte Ineinander von beiden vorstellen sollen. Alle unsre
Ausdrücke wie: Sinn, Bedeutung usw. versagen dabei den Dienst wie abge¬
nützte Werkzeuge. Und je präziser wir verfahren wollen, desto gewisser gehn
wir in die Irre."


Wissenswerte. Als Rest bleibt uns eine vielfach allerliebste, auch wohl leicht
ironische äußere Einkleidung der Sache oder eine farbig wirkende Umschreibung der
betreffenden Textstclle. Rohde hat ans diesem Gebiete zuerst in seiner „Psyche"
eine ganz strenge Analyse der Quellen gegeben, um daraus eine Geschichte der
Glaubensvorstellungen bei den Griechen zu gewinnen. In Burckhardts Natur
hätte es ja auch viel mehr gelegen, dieses Menschliche zu behandeln, als sich
mit der verhältnismäßig unwichtigen Topographie der Sache abzumühen.

Er fesselt uns, sobald er auf die theologische und ethische Seite losgeht
und z. B. bei den Göttern fragt, was sie den Menschen gewesen seien. Seinen
Ausgang nimmt er gern von den Nägelsbachschen Büchern, und dankbar weist
er auf die inhaltreichen Paragraphen von Hermanns Altertümern hin, es wäre
ja auch thöricht zu meinen, daß diese Bücher schon ausgenutzt seien, aber seine
Gedanken gehn dann ihren eignen Weg, und sein Ausdruck ist um vieles geist¬
reicher.

Wenn das griechische Volk den Erzählungen seiner epischen Dichter lauschte,
so genoß es in diesem großen Idealbilds seines eignen, dauernden Seins lauter
„Ewigungen," während wir heute nur von „Zeitungen" umgeben sind. Unsre
Bewunderung für Homer und seine Zuhörer würde noch steigen, wenn wir
ermessen könnten, wieviel grelles, schreckliches, wüstes, das noch vorhanden war,
„vermieden und ausgeschlossen wurde, und dieses stille Einverständnis zwischen
dem Asten und dem lauschenden Volk kann zum Edelsten der ganzen Frühzeit
gehört haben. Was bei Homer von den Göttern gesagt wird, das lesen wir.
Allein wir wissen nicht, was es den Sänger kostete, damit ihnen die schreck¬
lichste Schmach, die Abhängigkeit vom menschlichen Beschwörungszwang, erspart
blieb." Dieser Gedanke kommt Burckhardt aus dem tiefsten Herzen. Die
Griechen müssen lange Zeit den festen Willen gehabt haben, den möglichen
ursprünglichen Sinn ihrer Mythen, z. V. ihren Ursprung aus Naturkräften,
zu vergessen und alles episch zu fassen. In dieser nnn erreichten schönen
Bildlichkeit decken sich Gestalt und Bedeutung, es fehlt außerhalb der Theogonie
jede Ahnung, als ob der Mythus nur eine Hülle, ein symbolischer Ausdruck
für etwas Zurückliegendes sein könnte, und die Neigung zu einer abstrakten
Auffassung des Göttlichen und die Versuche, die Religion spekulativ umzuge¬
stalten, mußten lange erfolglos bleiben. Bei der Mythendeutung, die wir
dann vornehmen, „hat von jeher eingeleuchtet, daß der alte Mythus etwas
sagen will, und daß wir es nicht mit einem herrenlosen Hin- und Herwogen
zufälliger Phantasien zu thun haben. Unsre Unfähigkeit beginnt an dem
Punkte, da wir uns das gleichzeitige Entsteh» und Zusammenleben von Sache
und Bild, das uralte Ineinander von beiden vorstellen sollen. Alle unsre
Ausdrücke wie: Sinn, Bedeutung usw. versagen dabei den Dienst wie abge¬
nützte Werkzeuge. Und je präziser wir verfahren wollen, desto gewisser gehn
wir in die Irre."


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[0087] Wissenswerte. Als Rest bleibt uns eine vielfach allerliebste, auch wohl leicht ironische äußere Einkleidung der Sache oder eine farbig wirkende Umschreibung der betreffenden Textstclle. Rohde hat ans diesem Gebiete zuerst in seiner „Psyche" eine ganz strenge Analyse der Quellen gegeben, um daraus eine Geschichte der Glaubensvorstellungen bei den Griechen zu gewinnen. In Burckhardts Natur hätte es ja auch viel mehr gelegen, dieses Menschliche zu behandeln, als sich mit der verhältnismäßig unwichtigen Topographie der Sache abzumühen. Er fesselt uns, sobald er auf die theologische und ethische Seite losgeht und z. B. bei den Göttern fragt, was sie den Menschen gewesen seien. Seinen Ausgang nimmt er gern von den Nägelsbachschen Büchern, und dankbar weist er auf die inhaltreichen Paragraphen von Hermanns Altertümern hin, es wäre ja auch thöricht zu meinen, daß diese Bücher schon ausgenutzt seien, aber seine Gedanken gehn dann ihren eignen Weg, und sein Ausdruck ist um vieles geist¬ reicher. Wenn das griechische Volk den Erzählungen seiner epischen Dichter lauschte, so genoß es in diesem großen Idealbilds seines eignen, dauernden Seins lauter „Ewigungen," während wir heute nur von „Zeitungen" umgeben sind. Unsre Bewunderung für Homer und seine Zuhörer würde noch steigen, wenn wir ermessen könnten, wieviel grelles, schreckliches, wüstes, das noch vorhanden war, „vermieden und ausgeschlossen wurde, und dieses stille Einverständnis zwischen dem Asten und dem lauschenden Volk kann zum Edelsten der ganzen Frühzeit gehört haben. Was bei Homer von den Göttern gesagt wird, das lesen wir. Allein wir wissen nicht, was es den Sänger kostete, damit ihnen die schreck¬ lichste Schmach, die Abhängigkeit vom menschlichen Beschwörungszwang, erspart blieb." Dieser Gedanke kommt Burckhardt aus dem tiefsten Herzen. Die Griechen müssen lange Zeit den festen Willen gehabt haben, den möglichen ursprünglichen Sinn ihrer Mythen, z. V. ihren Ursprung aus Naturkräften, zu vergessen und alles episch zu fassen. In dieser nnn erreichten schönen Bildlichkeit decken sich Gestalt und Bedeutung, es fehlt außerhalb der Theogonie jede Ahnung, als ob der Mythus nur eine Hülle, ein symbolischer Ausdruck für etwas Zurückliegendes sein könnte, und die Neigung zu einer abstrakten Auffassung des Göttlichen und die Versuche, die Religion spekulativ umzuge¬ stalten, mußten lange erfolglos bleiben. Bei der Mythendeutung, die wir dann vornehmen, „hat von jeher eingeleuchtet, daß der alte Mythus etwas sagen will, und daß wir es nicht mit einem herrenlosen Hin- und Herwogen zufälliger Phantasien zu thun haben. Unsre Unfähigkeit beginnt an dem Punkte, da wir uns das gleichzeitige Entsteh» und Zusammenleben von Sache und Bild, das uralte Ineinander von beiden vorstellen sollen. Alle unsre Ausdrücke wie: Sinn, Bedeutung usw. versagen dabei den Dienst wie abge¬ nützte Werkzeuge. Und je präziser wir verfahren wollen, desto gewisser gehn wir in die Irre."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/87>, abgerufen am 28.09.2024.