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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Ivie Bayern ein moderner Staat wurde

heit verband er die Kunst des Staatsmannes, zu rechter Zeit die Dinge gehn
zu lassen. Bei Vorträgen über schwierige Verhältnisse sahen seine Räte ihn
oftmals, die Hände auf dem Rücken zusammengeschlagen, nur Kamine stehn und
hörten ihn nach kurzem Überdenken mit lächelnder Miene sagen: "Wissen Sie
was! Lassen wir die Sache noch eine Weile liegen!"

Das Lauern und Schleichen, das in dem Getriebe der napoleonischen
Politik allein zum Ziele führte, verstand Montgelas wie wenige; wenn es
aber galt, den günstigen Augenblick zu ergreifen und zu benutzen, so war sein
Entschluß rasch, sein Handeln bestimmt; Rücksichten kannte er dann nicht, und
Widerstand begegnete er mit schonungsloser Gewaltsamkeit. Hilfsmittel, wie
diese Zeit sie forderte, hatte er immer zur Hand, und er war wenig wählerisch
in deren Gebrauch; schnell entdeckte er die schwachen und schlechten Seiten der
Menschen und wußte sie bald durch Drohung, bald durch Schmeichelei und
Geld zu bearbeiten. Jeder Zug seines Gesichts kündigte den schlauen, in
Weltgeschäften erfahrnen Mann an; die kleinen, blitzenden Augen blickten scharf,
aber nie auf den, mit dem er sprach; seine lange, hervorstehende, krumme Nase,
ein großer, spöttischer Mund gaben ihm ein mephistophelisches Aussehen; leicht¬
fertige Äußerungen verrieten oft schon bei der ersten Begegnung den Mann,
der keine sittliche Scheu zu überwinden hat. Dennoch hatte seine Erscheinung
viel Liebenswürdiges: von Mittlerin Körperbau, war er wohlgebildet, und
selten sah man ihn anders als in kurzen Beinkleidern und galamäßigen,
weißseidnen Strümpfen, den Kopf stark gepudert; verbindlich trat er jedem
gegenüber, und selten verließ ihn die höfliche Ruhe, die in persönlichem Ver¬
kehr niemand unangenehm berühren mag; äußerste Schritte vermied er so
lauge wie möglich, auch gegen seine Feinde. Im Äußern wie im Innern war
er der fein gebildete Weltmann, wie ihn die französischen Hofkreise vor der
Revolution zu erzeugen pflegten; im Deutschen fehlte ihm die Gewandtheit im
Ausdruck. Seine Unterhaltung war pikant, und auch an andern liebte er Geist
und Witz; um seiner wohlbesetzten Tafel sah er gern Künstler und Gelehrte und
freute sich der raschen, belebten Unterhaltung.

Vorurteilsfrei und zu keiner der alten Parteien in irgend einem Ver¬
hältnisse stehend, richtete er sein Bestreben unverrückt darauf. Bayern in die
Reihe der Kulturstaaten zu erheben. Daß er dies vielfach auf eine schonungs¬
lose, alles historisch Gewordne einfach regierende Weise that, hat in der
Zähigkeit überkvmmner Zustände seine Entschuldigung. Mit feiner, weicher Hand
sind abgefaulte Verhältnisse nur selten geheilt worden, immer gehörte eine
tüchtige Dosis Gewalt und Bruch des strengen Rechts dazu. Weiter tadelt mau
an Montgelas, daß er alle seine Einrichtungen nach französischem Muster traf
und Bayern das napoleonische Frankreich miniaturo darstellen sollte. Will
man auch davon absehen, daß er in französischer Zucht groß geworden, keine
andre Bildung als die der französischen Aufklärung eingesogen hatte -- denn


Ivie Bayern ein moderner Staat wurde

heit verband er die Kunst des Staatsmannes, zu rechter Zeit die Dinge gehn
zu lassen. Bei Vorträgen über schwierige Verhältnisse sahen seine Räte ihn
oftmals, die Hände auf dem Rücken zusammengeschlagen, nur Kamine stehn und
hörten ihn nach kurzem Überdenken mit lächelnder Miene sagen: „Wissen Sie
was! Lassen wir die Sache noch eine Weile liegen!"

Das Lauern und Schleichen, das in dem Getriebe der napoleonischen
Politik allein zum Ziele führte, verstand Montgelas wie wenige; wenn es
aber galt, den günstigen Augenblick zu ergreifen und zu benutzen, so war sein
Entschluß rasch, sein Handeln bestimmt; Rücksichten kannte er dann nicht, und
Widerstand begegnete er mit schonungsloser Gewaltsamkeit. Hilfsmittel, wie
diese Zeit sie forderte, hatte er immer zur Hand, und er war wenig wählerisch
in deren Gebrauch; schnell entdeckte er die schwachen und schlechten Seiten der
Menschen und wußte sie bald durch Drohung, bald durch Schmeichelei und
Geld zu bearbeiten. Jeder Zug seines Gesichts kündigte den schlauen, in
Weltgeschäften erfahrnen Mann an; die kleinen, blitzenden Augen blickten scharf,
aber nie auf den, mit dem er sprach; seine lange, hervorstehende, krumme Nase,
ein großer, spöttischer Mund gaben ihm ein mephistophelisches Aussehen; leicht¬
fertige Äußerungen verrieten oft schon bei der ersten Begegnung den Mann,
der keine sittliche Scheu zu überwinden hat. Dennoch hatte seine Erscheinung
viel Liebenswürdiges: von Mittlerin Körperbau, war er wohlgebildet, und
selten sah man ihn anders als in kurzen Beinkleidern und galamäßigen,
weißseidnen Strümpfen, den Kopf stark gepudert; verbindlich trat er jedem
gegenüber, und selten verließ ihn die höfliche Ruhe, die in persönlichem Ver¬
kehr niemand unangenehm berühren mag; äußerste Schritte vermied er so
lauge wie möglich, auch gegen seine Feinde. Im Äußern wie im Innern war
er der fein gebildete Weltmann, wie ihn die französischen Hofkreise vor der
Revolution zu erzeugen pflegten; im Deutschen fehlte ihm die Gewandtheit im
Ausdruck. Seine Unterhaltung war pikant, und auch an andern liebte er Geist
und Witz; um seiner wohlbesetzten Tafel sah er gern Künstler und Gelehrte und
freute sich der raschen, belebten Unterhaltung.

Vorurteilsfrei und zu keiner der alten Parteien in irgend einem Ver¬
hältnisse stehend, richtete er sein Bestreben unverrückt darauf. Bayern in die
Reihe der Kulturstaaten zu erheben. Daß er dies vielfach auf eine schonungs¬
lose, alles historisch Gewordne einfach regierende Weise that, hat in der
Zähigkeit überkvmmner Zustände seine Entschuldigung. Mit feiner, weicher Hand
sind abgefaulte Verhältnisse nur selten geheilt worden, immer gehörte eine
tüchtige Dosis Gewalt und Bruch des strengen Rechts dazu. Weiter tadelt mau
an Montgelas, daß er alle seine Einrichtungen nach französischem Muster traf
und Bayern das napoleonische Frankreich miniaturo darstellen sollte. Will
man auch davon absehen, daß er in französischer Zucht groß geworden, keine
andre Bildung als die der französischen Aufklärung eingesogen hatte — denn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/84>, abgerufen am 28.09.2024.