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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Wie Bayern ein moderner Staat wurde

Und doch war Max Josephs Regierung die reichste an Thaten, Neubil¬
dungen und Gebietserweiterungen. Der liebenswürdigste Fürst wurde der
größte Zerstörer des Alten, der bedeutendste Vergrößerer, den Bayern seit
Kaiser Ludwig gehabt hatte. Ju jeder andern Zeit würde Max Joseph immer
ein milder, freundlicher Herr gewesen sein, dessen Andenken noch von Kindes¬
kindern gesegnet worden wäre -- nur die Sturm- und drangvolle napoleonische
Ära, deren glückliches Werkzeug er war, ließ ihn eine Rolle spielen, zu der
er weder Neigung noch Geschick hatte. Zum Glück für Bayern aber war er
eine Natur, unter der eine feste und bestimmte Regierung zum Guten und
zum Bösen möglich war, wenn er einen Minister fand, der ihn zu nehmen
und zu behandeln wußte, und diesen Minister hatte er in Montgelas gefunden.
Er hatte ganz die scharfen Augen, das kalte Herz und die starke Hand, deren
es bedürfte, um all den Tand der Ablaßzettel und Amulette hinwegzufegen.
Mit der Miene Voltaires sah er herab auf die "Hexenpantoffel" und "Monika¬
gürtel," auf die "Lukaszettel" und "Teufelsgeißeln," oder wie all der erbärm¬
liche Plunder hieß. Vor seiner Seele stand ein andres Bild, ein Bild, bei
dem sich Pfaffen und Mönche bekreuzten, und das war -- der moderne Staat.

Baron von Montgelas stammte aus einer savoyischen Familie, sein Vater
erst hatte sich nach Bayern gewandt. Der Sohn wurde unter Karl Theodors
Regiment wegen Beteiligung an den Umtrieben der Illuminaten aus dem
Staatsdienste entfernt. Im Jahre 1785 ging er an den Hof Herzog Karls
nach Zweibrücken, und bald wurde er auch dem jünger" Bruder vertraut.
Treu stand er zu diesem in der Zeit seiner Bedrängnis; was war daher
natürlicher, als daß ihn Max Joseph sofort nach seinem Regierungsantritt
zum Minister der auswärtige" Angelegenheiten ernannte.

Montgelas war kein gewöhnlicher Mensch und kein gewöhnlicher Minister.
Zwar konnte er nicht einmal an andern die Kraft und Wahrheit des politischen
Gefühls, wie Gentz, die Großartigkeit des sittlichen Sinnes, wie Stein sie
hatte, versteh", und Tiefe des Geistes hatte er so wenig wie religiöses Be¬
dürfnis, aber um politische Ziele, wie die napoleonische Zeit sie setzte, zu er¬
reichen, war er in ungewöhnlichem Maße begabt. Er leitete Bayern in sehr
stürmischen Zeiten, und Bayern wurde dabei nicht allein dem Namen, sondern
mich dem Umfang und der Bevölkerung nach zu einem Königreich; er ist es,
dem Bayern seine neue Stellung in Deutschland und doch auch in Europa zu
danken hat. Sein scharfer Verstand, sein durchdringender Blick erkannte schnell
die Situation des Augenblicks und den Vorteil, der sich daraus ziehen ließ;
die Gefahr, dnrch Eindrücke der Phantasie oder des Gefühls bestochen zu
werden, war für ihn nicht vorhanden; Freund und Feind fand ihn immer
wachsam und schlau. Er hatte ein gute juristische und staatswissenschaftliche
Vorbildung und eine ungewöhnliche historische Belesenheit in die Ministerstellung
mitgebracht; mit einer großen, seltnen Arbeitsfähigkeit und Geschäftsgewandt-


Wie Bayern ein moderner Staat wurde

Und doch war Max Josephs Regierung die reichste an Thaten, Neubil¬
dungen und Gebietserweiterungen. Der liebenswürdigste Fürst wurde der
größte Zerstörer des Alten, der bedeutendste Vergrößerer, den Bayern seit
Kaiser Ludwig gehabt hatte. Ju jeder andern Zeit würde Max Joseph immer
ein milder, freundlicher Herr gewesen sein, dessen Andenken noch von Kindes¬
kindern gesegnet worden wäre — nur die Sturm- und drangvolle napoleonische
Ära, deren glückliches Werkzeug er war, ließ ihn eine Rolle spielen, zu der
er weder Neigung noch Geschick hatte. Zum Glück für Bayern aber war er
eine Natur, unter der eine feste und bestimmte Regierung zum Guten und
zum Bösen möglich war, wenn er einen Minister fand, der ihn zu nehmen
und zu behandeln wußte, und diesen Minister hatte er in Montgelas gefunden.
Er hatte ganz die scharfen Augen, das kalte Herz und die starke Hand, deren
es bedürfte, um all den Tand der Ablaßzettel und Amulette hinwegzufegen.
Mit der Miene Voltaires sah er herab auf die „Hexenpantoffel" und „Monika¬
gürtel," auf die „Lukaszettel" und „Teufelsgeißeln," oder wie all der erbärm¬
liche Plunder hieß. Vor seiner Seele stand ein andres Bild, ein Bild, bei
dem sich Pfaffen und Mönche bekreuzten, und das war — der moderne Staat.

Baron von Montgelas stammte aus einer savoyischen Familie, sein Vater
erst hatte sich nach Bayern gewandt. Der Sohn wurde unter Karl Theodors
Regiment wegen Beteiligung an den Umtrieben der Illuminaten aus dem
Staatsdienste entfernt. Im Jahre 1785 ging er an den Hof Herzog Karls
nach Zweibrücken, und bald wurde er auch dem jünger« Bruder vertraut.
Treu stand er zu diesem in der Zeit seiner Bedrängnis; was war daher
natürlicher, als daß ihn Max Joseph sofort nach seinem Regierungsantritt
zum Minister der auswärtige» Angelegenheiten ernannte.

Montgelas war kein gewöhnlicher Mensch und kein gewöhnlicher Minister.
Zwar konnte er nicht einmal an andern die Kraft und Wahrheit des politischen
Gefühls, wie Gentz, die Großartigkeit des sittlichen Sinnes, wie Stein sie
hatte, versteh», und Tiefe des Geistes hatte er so wenig wie religiöses Be¬
dürfnis, aber um politische Ziele, wie die napoleonische Zeit sie setzte, zu er¬
reichen, war er in ungewöhnlichem Maße begabt. Er leitete Bayern in sehr
stürmischen Zeiten, und Bayern wurde dabei nicht allein dem Namen, sondern
mich dem Umfang und der Bevölkerung nach zu einem Königreich; er ist es,
dem Bayern seine neue Stellung in Deutschland und doch auch in Europa zu
danken hat. Sein scharfer Verstand, sein durchdringender Blick erkannte schnell
die Situation des Augenblicks und den Vorteil, der sich daraus ziehen ließ;
die Gefahr, dnrch Eindrücke der Phantasie oder des Gefühls bestochen zu
werden, war für ihn nicht vorhanden; Freund und Feind fand ihn immer
wachsam und schlau. Er hatte ein gute juristische und staatswissenschaftliche
Vorbildung und eine ungewöhnliche historische Belesenheit in die Ministerstellung
mitgebracht; mit einer großen, seltnen Arbeitsfähigkeit und Geschäftsgewandt-


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[0083] Wie Bayern ein moderner Staat wurde Und doch war Max Josephs Regierung die reichste an Thaten, Neubil¬ dungen und Gebietserweiterungen. Der liebenswürdigste Fürst wurde der größte Zerstörer des Alten, der bedeutendste Vergrößerer, den Bayern seit Kaiser Ludwig gehabt hatte. Ju jeder andern Zeit würde Max Joseph immer ein milder, freundlicher Herr gewesen sein, dessen Andenken noch von Kindes¬ kindern gesegnet worden wäre — nur die Sturm- und drangvolle napoleonische Ära, deren glückliches Werkzeug er war, ließ ihn eine Rolle spielen, zu der er weder Neigung noch Geschick hatte. Zum Glück für Bayern aber war er eine Natur, unter der eine feste und bestimmte Regierung zum Guten und zum Bösen möglich war, wenn er einen Minister fand, der ihn zu nehmen und zu behandeln wußte, und diesen Minister hatte er in Montgelas gefunden. Er hatte ganz die scharfen Augen, das kalte Herz und die starke Hand, deren es bedürfte, um all den Tand der Ablaßzettel und Amulette hinwegzufegen. Mit der Miene Voltaires sah er herab auf die „Hexenpantoffel" und „Monika¬ gürtel," auf die „Lukaszettel" und „Teufelsgeißeln," oder wie all der erbärm¬ liche Plunder hieß. Vor seiner Seele stand ein andres Bild, ein Bild, bei dem sich Pfaffen und Mönche bekreuzten, und das war — der moderne Staat. Baron von Montgelas stammte aus einer savoyischen Familie, sein Vater erst hatte sich nach Bayern gewandt. Der Sohn wurde unter Karl Theodors Regiment wegen Beteiligung an den Umtrieben der Illuminaten aus dem Staatsdienste entfernt. Im Jahre 1785 ging er an den Hof Herzog Karls nach Zweibrücken, und bald wurde er auch dem jünger« Bruder vertraut. Treu stand er zu diesem in der Zeit seiner Bedrängnis; was war daher natürlicher, als daß ihn Max Joseph sofort nach seinem Regierungsantritt zum Minister der auswärtige» Angelegenheiten ernannte. Montgelas war kein gewöhnlicher Mensch und kein gewöhnlicher Minister. Zwar konnte er nicht einmal an andern die Kraft und Wahrheit des politischen Gefühls, wie Gentz, die Großartigkeit des sittlichen Sinnes, wie Stein sie hatte, versteh», und Tiefe des Geistes hatte er so wenig wie religiöses Be¬ dürfnis, aber um politische Ziele, wie die napoleonische Zeit sie setzte, zu er¬ reichen, war er in ungewöhnlichem Maße begabt. Er leitete Bayern in sehr stürmischen Zeiten, und Bayern wurde dabei nicht allein dem Namen, sondern mich dem Umfang und der Bevölkerung nach zu einem Königreich; er ist es, dem Bayern seine neue Stellung in Deutschland und doch auch in Europa zu danken hat. Sein scharfer Verstand, sein durchdringender Blick erkannte schnell die Situation des Augenblicks und den Vorteil, der sich daraus ziehen ließ; die Gefahr, dnrch Eindrücke der Phantasie oder des Gefühls bestochen zu werden, war für ihn nicht vorhanden; Freund und Feind fand ihn immer wachsam und schlau. Er hatte ein gute juristische und staatswissenschaftliche Vorbildung und eine ungewöhnliche historische Belesenheit in die Ministerstellung mitgebracht; mit einer großen, seltnen Arbeitsfähigkeit und Geschäftsgewandt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/83>, abgerufen am 28.09.2024.