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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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!vie Bayern ein moderner Staat wurde

und als der König 1824 den Tag feierte, an dem er fünfundzwanzig Jahre
zuvor die Regierung angetreten hatte, that die allgemeine herzliche und un-
geheuchelte Freude auch den: Fremden dar, daß wohl kein deutscher Fürst so
in seinem Lande geliebt werde, wie Max Joseph in Bayern. Aber nicht der
Fürst, nur der Mensch war es, der in Max Joseph geliebt wurde. Ihm
fehlte die Vorbedingung jeder wahren geistigen Bedeutung, der auf Großes
gerichtete Sinn, der strebende Geist, das Auge, das bedeutende Ziele wenn
auch in weiter Ferne sieht. Er hatte kein großartiges Interesse, nicht einmal
das für den eignen Ruhm, er hatte keine starke Liebhaberei, nicht einmal die
der Jagd. Die Tage und Jahre brachte er, um sie auszufüllen, mit Nichtig¬
keiten und Kleinigkeiten hin. Unterschriften, förmlicher und formloser Empfang
derer, die eine Audienz begehrten, Besuche bei der Königin und den Prinzessinnen,
Umhergehen in der Stadt, Tafel, Theater, Hofkonzerte, Anhören der Berichte
über die kleinen Angelegenheiten am Hofe und in der Residenz vermochten den
Kurfürsten nicht vor häufigen Anfüllen übler Laune zu schützen, die im Leben
der Fürsten so wenig wie in dem der Privatleute ausbleiben, wenn das Fehlen
großer, die Seele erfüllender Interessen nicht durch die Anstrengung der Arbeit
ersetzt wird, die das Bewußtsein der Verpflichtung gegen seinen Beruf, sei er
groß oder klein, vom Menschen fordert.

Das Bewußtsein aber, daß der Fürstenberuf weniger ein Recht als eine
Pflicht ist und umfassendere und strengere Forderungen stellt als jeder andre,
war damals fast bei allen Regierenden verschwunden. Nicht Pflichttreue, sondern
die Regungen eines wohlwollenden Herzens bestimmten das Verhalten des
Kurfürsten Max Joseph; in keinen Verhältnissen trat das so deutlich hervor
als in denen, wo seine Neigung zum Geben angeregt wurde. Unwürdige mi߬
brauchten immer wieder aufs neue sein weiches Herz, an jedem Tage wurde
er mündlich und schriftlich von Hilfesuchenden und von Bettlern jedes Standes
und Ranges bestürmt; bei dem Austritt aus dein Schloß, auf den Straßen
war er nicht sicher vor unverschämten Zumutungen; in immer neuen Wendungen
und Listen suchte mau ihn zu erweichen, und selten vermochte er zu widerstehen,
sein Hang zum Geben war unüberwindlich. Die tausend Gulden, die er sich
zu seiner täglichen Verfügung geben ließ, waren bald erschöpft; dann stellte
er Anweisungen auf Bankiers, auf die Schuldeutilgungskasse, die Lottokasse,
die Kriegsökonomietassc aus. Sorgsam wurde sein Hang zum Geben von denen
genährt, die Vorteil davon zogen, und über jede Maßregel der Sparsamkeit
zeigte er sich wie über einen Eingriff in seine Rechte erbittert. Um nicht den
einen Unglücklichen, der ihm nahe kam, unglücklich zu wissen, konnte er Tausende,
die er nicht sah, unglücklich machen; um ein kleines Interesse zu retten, konnte
er große aufgeben. Während das Geld zu den dringendsten Bedürfnissen fehlte,
die Beamten oft monatelang auf ihre Besoldung warten mußten, hatten die
Bettler zur Genüge.


!vie Bayern ein moderner Staat wurde

und als der König 1824 den Tag feierte, an dem er fünfundzwanzig Jahre
zuvor die Regierung angetreten hatte, that die allgemeine herzliche und un-
geheuchelte Freude auch den: Fremden dar, daß wohl kein deutscher Fürst so
in seinem Lande geliebt werde, wie Max Joseph in Bayern. Aber nicht der
Fürst, nur der Mensch war es, der in Max Joseph geliebt wurde. Ihm
fehlte die Vorbedingung jeder wahren geistigen Bedeutung, der auf Großes
gerichtete Sinn, der strebende Geist, das Auge, das bedeutende Ziele wenn
auch in weiter Ferne sieht. Er hatte kein großartiges Interesse, nicht einmal
das für den eignen Ruhm, er hatte keine starke Liebhaberei, nicht einmal die
der Jagd. Die Tage und Jahre brachte er, um sie auszufüllen, mit Nichtig¬
keiten und Kleinigkeiten hin. Unterschriften, förmlicher und formloser Empfang
derer, die eine Audienz begehrten, Besuche bei der Königin und den Prinzessinnen,
Umhergehen in der Stadt, Tafel, Theater, Hofkonzerte, Anhören der Berichte
über die kleinen Angelegenheiten am Hofe und in der Residenz vermochten den
Kurfürsten nicht vor häufigen Anfüllen übler Laune zu schützen, die im Leben
der Fürsten so wenig wie in dem der Privatleute ausbleiben, wenn das Fehlen
großer, die Seele erfüllender Interessen nicht durch die Anstrengung der Arbeit
ersetzt wird, die das Bewußtsein der Verpflichtung gegen seinen Beruf, sei er
groß oder klein, vom Menschen fordert.

Das Bewußtsein aber, daß der Fürstenberuf weniger ein Recht als eine
Pflicht ist und umfassendere und strengere Forderungen stellt als jeder andre,
war damals fast bei allen Regierenden verschwunden. Nicht Pflichttreue, sondern
die Regungen eines wohlwollenden Herzens bestimmten das Verhalten des
Kurfürsten Max Joseph; in keinen Verhältnissen trat das so deutlich hervor
als in denen, wo seine Neigung zum Geben angeregt wurde. Unwürdige mi߬
brauchten immer wieder aufs neue sein weiches Herz, an jedem Tage wurde
er mündlich und schriftlich von Hilfesuchenden und von Bettlern jedes Standes
und Ranges bestürmt; bei dem Austritt aus dein Schloß, auf den Straßen
war er nicht sicher vor unverschämten Zumutungen; in immer neuen Wendungen
und Listen suchte mau ihn zu erweichen, und selten vermochte er zu widerstehen,
sein Hang zum Geben war unüberwindlich. Die tausend Gulden, die er sich
zu seiner täglichen Verfügung geben ließ, waren bald erschöpft; dann stellte
er Anweisungen auf Bankiers, auf die Schuldeutilgungskasse, die Lottokasse,
die Kriegsökonomietassc aus. Sorgsam wurde sein Hang zum Geben von denen
genährt, die Vorteil davon zogen, und über jede Maßregel der Sparsamkeit
zeigte er sich wie über einen Eingriff in seine Rechte erbittert. Um nicht den
einen Unglücklichen, der ihm nahe kam, unglücklich zu wissen, konnte er Tausende,
die er nicht sah, unglücklich machen; um ein kleines Interesse zu retten, konnte
er große aufgeben. Während das Geld zu den dringendsten Bedürfnissen fehlte,
die Beamten oft monatelang auf ihre Besoldung warten mußten, hatten die
Bettler zur Genüge.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/82>, abgerufen am 28.09.2024.