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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Wie Bayern ein moderner Ztaat wurde

festhalten lernet. So gerüstet schicket man sie zur Seelsorge und vertraut ihnen
die Herde und Schafe Christi an. Jene, die mit den weltlichen Obrigkeiten
recht grob und für die Rechte des Bischofs in tsinporalivus recht hartnäckig
sind, oder bei dem Konsistorium sich sonst gefällig zu machen wissen, werden
befördert. Die Pfarrer sind insgemein mehr Bauern als Seelsorger, und ihre
Kapläne bessere Spieler, Säufer, Jäger usw., als Prediger, Christcnlehrer und
Gottesdiensteiferer. Es hängt doch die ganze Landeswohlfahrt von der Reli¬
gion im Staat und guten Sitten der Landesgeistlichkeit ab. Sollte wohl der
Regent, dem alles an dein Wohlstand seines Volkes gelegen sein muß, gar
nichts darein zu sprechen haben, wenn sein Landklerus schlecht, Sitten- und
disziplinlos ist, wenn er das Landvolk ärgert, anstatt zu erbauen, wenn er
die weltliche Obrigkeit gering achtet, wohl gar von der Kanzel hierüber schmäht
und dem Volke statt des Wortes Gottes meist nur von Zehnten, Opfer, Me߬
geldern und Stolen vorpredigt?" -- So schrieb der geistliche Rat über geist¬
liche Würdenträger an einen geistlich gesinnten Fürsten. Ist seine Schilderung
nicht klassisch, sehen wir nicht diese ungeschlachten, breitspurigen Gestalten leib¬
haftig vor uns stehn, diese kirchlichen Tronpiers, die unter den rnilllss Christi
etwa dasselbe waren, was nur der gröbste Troß in den Armeen ist! -- Auch
mit dem Jesnitenkolleginm in Augsburg war es wunderlich bestellt: "Bei
ihnen hört die Jugend lcinter gehässiges Zeug, und da ist nichts andres
möglich, als daß sie, wenn sie herauskommen, die unverträglichsten Menschen
werden."

Zahllose gesundmachende Muttergottesgestalten, Reliquie" und heilige
Leiber sammelten in der nächste" Umgebung der Residenz immer aufs neue
Kranke und Hilfesuchende aller Art um sich; von den Kanzeln herab wurden
die Wunderthaten der Bilder verkündet und Wundermittel gegen Krankheiten
der Menschen und Tiere ausgeboten; mit dem Hubertusschlüssel brannten
Priester die Bißwunden toller Hunde aus; zu Pferde umritten Pfarrer, das
Allerheiligste in der Hand, die Felder, um sie gegen Hagelschlag zu sichern.
Genien, Pagen, Männer und Weiber in Bußsäcken begleiteten die Prozessionen,
am Fronleichnamstage wurden der große Goliath und der kleine David und
manche andre Mummerei umhergetragen; bunte Glaskugeln, Wasserkünste und
sonstige Spielereien störten am heiligen Grabe den Ernst der Karwoche. In
den Kirchen zog man am Himmelfahrtstage eine ausgestopfte Figur in die
Höhe und ließ am Pfingstfest eine hölzerne Taube auf den Altar herab. Das
Gebet war zu einem Frondienst entartet, den man so eilig wie möglich ab¬
machte; der Bub ist geschwind, sagt ein bezeichnendes Volkswort, er läuft
schneller als ein Vaterunser; zwei Paternoster für einen Kreuzer, vier für zwei
leistete der Bettler als Gegendienst. Kein Land ist auf der Welt, pflegte der
Bayer zu sagen, wo die Religion so bequem, die Andacht so lustig ist wie bei
uns. Im Reiche wurde Bayern nur das deutsche Spanien genannt. Lesen


Wie Bayern ein moderner Ztaat wurde

festhalten lernet. So gerüstet schicket man sie zur Seelsorge und vertraut ihnen
die Herde und Schafe Christi an. Jene, die mit den weltlichen Obrigkeiten
recht grob und für die Rechte des Bischofs in tsinporalivus recht hartnäckig
sind, oder bei dem Konsistorium sich sonst gefällig zu machen wissen, werden
befördert. Die Pfarrer sind insgemein mehr Bauern als Seelsorger, und ihre
Kapläne bessere Spieler, Säufer, Jäger usw., als Prediger, Christcnlehrer und
Gottesdiensteiferer. Es hängt doch die ganze Landeswohlfahrt von der Reli¬
gion im Staat und guten Sitten der Landesgeistlichkeit ab. Sollte wohl der
Regent, dem alles an dein Wohlstand seines Volkes gelegen sein muß, gar
nichts darein zu sprechen haben, wenn sein Landklerus schlecht, Sitten- und
disziplinlos ist, wenn er das Landvolk ärgert, anstatt zu erbauen, wenn er
die weltliche Obrigkeit gering achtet, wohl gar von der Kanzel hierüber schmäht
und dem Volke statt des Wortes Gottes meist nur von Zehnten, Opfer, Me߬
geldern und Stolen vorpredigt?" — So schrieb der geistliche Rat über geist¬
liche Würdenträger an einen geistlich gesinnten Fürsten. Ist seine Schilderung
nicht klassisch, sehen wir nicht diese ungeschlachten, breitspurigen Gestalten leib¬
haftig vor uns stehn, diese kirchlichen Tronpiers, die unter den rnilllss Christi
etwa dasselbe waren, was nur der gröbste Troß in den Armeen ist! — Auch
mit dem Jesnitenkolleginm in Augsburg war es wunderlich bestellt: „Bei
ihnen hört die Jugend lcinter gehässiges Zeug, und da ist nichts andres
möglich, als daß sie, wenn sie herauskommen, die unverträglichsten Menschen
werden."

Zahllose gesundmachende Muttergottesgestalten, Reliquie» und heilige
Leiber sammelten in der nächste» Umgebung der Residenz immer aufs neue
Kranke und Hilfesuchende aller Art um sich; von den Kanzeln herab wurden
die Wunderthaten der Bilder verkündet und Wundermittel gegen Krankheiten
der Menschen und Tiere ausgeboten; mit dem Hubertusschlüssel brannten
Priester die Bißwunden toller Hunde aus; zu Pferde umritten Pfarrer, das
Allerheiligste in der Hand, die Felder, um sie gegen Hagelschlag zu sichern.
Genien, Pagen, Männer und Weiber in Bußsäcken begleiteten die Prozessionen,
am Fronleichnamstage wurden der große Goliath und der kleine David und
manche andre Mummerei umhergetragen; bunte Glaskugeln, Wasserkünste und
sonstige Spielereien störten am heiligen Grabe den Ernst der Karwoche. In
den Kirchen zog man am Himmelfahrtstage eine ausgestopfte Figur in die
Höhe und ließ am Pfingstfest eine hölzerne Taube auf den Altar herab. Das
Gebet war zu einem Frondienst entartet, den man so eilig wie möglich ab¬
machte; der Bub ist geschwind, sagt ein bezeichnendes Volkswort, er läuft
schneller als ein Vaterunser; zwei Paternoster für einen Kreuzer, vier für zwei
leistete der Bettler als Gegendienst. Kein Land ist auf der Welt, pflegte der
Bayer zu sagen, wo die Religion so bequem, die Andacht so lustig ist wie bei
uns. Im Reiche wurde Bayern nur das deutsche Spanien genannt. Lesen


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[0079] Wie Bayern ein moderner Ztaat wurde festhalten lernet. So gerüstet schicket man sie zur Seelsorge und vertraut ihnen die Herde und Schafe Christi an. Jene, die mit den weltlichen Obrigkeiten recht grob und für die Rechte des Bischofs in tsinporalivus recht hartnäckig sind, oder bei dem Konsistorium sich sonst gefällig zu machen wissen, werden befördert. Die Pfarrer sind insgemein mehr Bauern als Seelsorger, und ihre Kapläne bessere Spieler, Säufer, Jäger usw., als Prediger, Christcnlehrer und Gottesdiensteiferer. Es hängt doch die ganze Landeswohlfahrt von der Reli¬ gion im Staat und guten Sitten der Landesgeistlichkeit ab. Sollte wohl der Regent, dem alles an dein Wohlstand seines Volkes gelegen sein muß, gar nichts darein zu sprechen haben, wenn sein Landklerus schlecht, Sitten- und disziplinlos ist, wenn er das Landvolk ärgert, anstatt zu erbauen, wenn er die weltliche Obrigkeit gering achtet, wohl gar von der Kanzel hierüber schmäht und dem Volke statt des Wortes Gottes meist nur von Zehnten, Opfer, Me߬ geldern und Stolen vorpredigt?" — So schrieb der geistliche Rat über geist¬ liche Würdenträger an einen geistlich gesinnten Fürsten. Ist seine Schilderung nicht klassisch, sehen wir nicht diese ungeschlachten, breitspurigen Gestalten leib¬ haftig vor uns stehn, diese kirchlichen Tronpiers, die unter den rnilllss Christi etwa dasselbe waren, was nur der gröbste Troß in den Armeen ist! — Auch mit dem Jesnitenkolleginm in Augsburg war es wunderlich bestellt: „Bei ihnen hört die Jugend lcinter gehässiges Zeug, und da ist nichts andres möglich, als daß sie, wenn sie herauskommen, die unverträglichsten Menschen werden." Zahllose gesundmachende Muttergottesgestalten, Reliquie» und heilige Leiber sammelten in der nächste» Umgebung der Residenz immer aufs neue Kranke und Hilfesuchende aller Art um sich; von den Kanzeln herab wurden die Wunderthaten der Bilder verkündet und Wundermittel gegen Krankheiten der Menschen und Tiere ausgeboten; mit dem Hubertusschlüssel brannten Priester die Bißwunden toller Hunde aus; zu Pferde umritten Pfarrer, das Allerheiligste in der Hand, die Felder, um sie gegen Hagelschlag zu sichern. Genien, Pagen, Männer und Weiber in Bußsäcken begleiteten die Prozessionen, am Fronleichnamstage wurden der große Goliath und der kleine David und manche andre Mummerei umhergetragen; bunte Glaskugeln, Wasserkünste und sonstige Spielereien störten am heiligen Grabe den Ernst der Karwoche. In den Kirchen zog man am Himmelfahrtstage eine ausgestopfte Figur in die Höhe und ließ am Pfingstfest eine hölzerne Taube auf den Altar herab. Das Gebet war zu einem Frondienst entartet, den man so eilig wie möglich ab¬ machte; der Bub ist geschwind, sagt ein bezeichnendes Volkswort, er läuft schneller als ein Vaterunser; zwei Paternoster für einen Kreuzer, vier für zwei leistete der Bettler als Gegendienst. Kein Land ist auf der Welt, pflegte der Bayer zu sagen, wo die Religion so bequem, die Andacht so lustig ist wie bei uns. Im Reiche wurde Bayern nur das deutsche Spanien genannt. Lesen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/79>, abgerufen am 28.09.2024.