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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Wie Bayer" ein moderner Staat wurde

und andern ausschweifenden Schreibereien keine müßige Zeit mehr übrig bleibe."
Haussuchungen und geheime Denunziationen drangen in deu Schoß der Familien
ein und brachten Hunderte um Amt, Vermögen und Freiheit. Die Religion
war zum Deckmantel niederer Bestrebungen geworden.

Nach dem Bericht eines gleichzeitigen Münchners existierten in der Stadt
acht Mönchskloster: Augustiner, Karmeliter, Theatiner, Franziskaner, Kapu¬
ziner und in den Vorstädten: Barmherzige Brüder, Hicronymitaner, Paulaner;
dazu kamen neun Nonnenklöster. "Wuuderthütige Bilder -- fährt unser Ge¬
währsmann fort -- zählte man sonst siebzehn, und nun eine neue Augenver¬
drehung in der Peterskirche; die Reliquien und die heiligen Leiber, die hier
aufbewahrt und verehrt werden, lassen sich kaum zählen. Der Religionsunter¬
richt besteht darin, daß man die Kinder in den Schulen sowohl als in den
Christenlehren zwingt, den elenden Katechismus des Jesuiten Grätscher wörtlich
auswendig zu lernen. Am liebsten hat der große Haufe Münchner die An-
dachtsübungen auf dem Lande. Der Liebhaber setzt sich mit seinem Liebchen
in eine Chaise und rollt damit auf die Wcillfahrts- oder Ablaßkirche zu, oder
man geht dahin zu Fuß. In der Kirche betet man sieben Vaterunser, eben
so viele Ave Maria, hiermit ist die Andacht verrichtet, der Ablaß gewonnen,
und man eilt dem Wirtshause zu, wo man bis spät auf den Abend ißt und
trinkt, was gut und teuer ist, sich wohl auch mit Tanzen belustigt. Überhaupt
läßt sich kaum ein Land finden, wo man bequemere Religion und lustigere
Andachten hat, als in Bayern. An Predigten fehlt es in München nicht, aber
fast alle Kanzeln waren von jeher mit Mönchen, vorzüglich mit Vettelmönchen
besetzt. Es läßt sich leicht denken, was diese meist unwissenden Mönche auf
den Kanzeln auskramen. Nur immer die schlechtesten von unsern Studenten
treten aus Verzweiflung, irgendwo Brot zu finden, in den Kapuzinerorden.
Das Noviziat und die zwei nächsten Jahre dürfen sie kein Buch, außer ein
Gebetbuch ansehen. Ein äußerst unangenehmer, brüllender, einförmiger Ton,
eine höchst fehlerhafte Mundart, eine wüste Aussprache, bootsknechtmäßige
Gebärden, unbändiges Schlagen mit Händen und Füßen, bierschenkenartiges
Schimpfen und Toben auf ihre Zeitgenossen, grobe Ausfälle auf gewisse Per¬
sonen und ihnen nicht behagende obrigkeitliche Anstalten sind die äußerliche"
Zieraten der Bettelmönchpredigten, die meist aus einem alten lateinischen Pre¬
diger ins Undeutsche übersetzt sind." Und in einer Denkschrift des geistlichen
Rats vom 12. Mai 1782 an den Kurfürsten Karl Theodor heißt es: "Der
Stadt- und Landklerus in Bayern ist meist jetzt immer noch so undiszipliniert
als jemals. Insbesondre von den Diözesen Regensburg, Eichstädt und Frei¬
sing. Die letzte ist die schlechteste von allen. ... Es werden meist daher¬
gelaufne Studenten geweiht, die entweder ans Hunger und Not oder auf mäch¬
tige Empfehlungen Priester werden. Ihr ganzer Vorrat, den sie mitbringen,
sind ein Kopf voll Schultheologie und Jmmuuitätsgrillen, worauf man sie


Wie Bayer» ein moderner Staat wurde

und andern ausschweifenden Schreibereien keine müßige Zeit mehr übrig bleibe."
Haussuchungen und geheime Denunziationen drangen in deu Schoß der Familien
ein und brachten Hunderte um Amt, Vermögen und Freiheit. Die Religion
war zum Deckmantel niederer Bestrebungen geworden.

Nach dem Bericht eines gleichzeitigen Münchners existierten in der Stadt
acht Mönchskloster: Augustiner, Karmeliter, Theatiner, Franziskaner, Kapu¬
ziner und in den Vorstädten: Barmherzige Brüder, Hicronymitaner, Paulaner;
dazu kamen neun Nonnenklöster. „Wuuderthütige Bilder — fährt unser Ge¬
währsmann fort — zählte man sonst siebzehn, und nun eine neue Augenver¬
drehung in der Peterskirche; die Reliquien und die heiligen Leiber, die hier
aufbewahrt und verehrt werden, lassen sich kaum zählen. Der Religionsunter¬
richt besteht darin, daß man die Kinder in den Schulen sowohl als in den
Christenlehren zwingt, den elenden Katechismus des Jesuiten Grätscher wörtlich
auswendig zu lernen. Am liebsten hat der große Haufe Münchner die An-
dachtsübungen auf dem Lande. Der Liebhaber setzt sich mit seinem Liebchen
in eine Chaise und rollt damit auf die Wcillfahrts- oder Ablaßkirche zu, oder
man geht dahin zu Fuß. In der Kirche betet man sieben Vaterunser, eben
so viele Ave Maria, hiermit ist die Andacht verrichtet, der Ablaß gewonnen,
und man eilt dem Wirtshause zu, wo man bis spät auf den Abend ißt und
trinkt, was gut und teuer ist, sich wohl auch mit Tanzen belustigt. Überhaupt
läßt sich kaum ein Land finden, wo man bequemere Religion und lustigere
Andachten hat, als in Bayern. An Predigten fehlt es in München nicht, aber
fast alle Kanzeln waren von jeher mit Mönchen, vorzüglich mit Vettelmönchen
besetzt. Es läßt sich leicht denken, was diese meist unwissenden Mönche auf
den Kanzeln auskramen. Nur immer die schlechtesten von unsern Studenten
treten aus Verzweiflung, irgendwo Brot zu finden, in den Kapuzinerorden.
Das Noviziat und die zwei nächsten Jahre dürfen sie kein Buch, außer ein
Gebetbuch ansehen. Ein äußerst unangenehmer, brüllender, einförmiger Ton,
eine höchst fehlerhafte Mundart, eine wüste Aussprache, bootsknechtmäßige
Gebärden, unbändiges Schlagen mit Händen und Füßen, bierschenkenartiges
Schimpfen und Toben auf ihre Zeitgenossen, grobe Ausfälle auf gewisse Per¬
sonen und ihnen nicht behagende obrigkeitliche Anstalten sind die äußerliche«
Zieraten der Bettelmönchpredigten, die meist aus einem alten lateinischen Pre¬
diger ins Undeutsche übersetzt sind." Und in einer Denkschrift des geistlichen
Rats vom 12. Mai 1782 an den Kurfürsten Karl Theodor heißt es: „Der
Stadt- und Landklerus in Bayern ist meist jetzt immer noch so undiszipliniert
als jemals. Insbesondre von den Diözesen Regensburg, Eichstädt und Frei¬
sing. Die letzte ist die schlechteste von allen. ... Es werden meist daher¬
gelaufne Studenten geweiht, die entweder ans Hunger und Not oder auf mäch¬
tige Empfehlungen Priester werden. Ihr ganzer Vorrat, den sie mitbringen,
sind ein Kopf voll Schultheologie und Jmmuuitätsgrillen, worauf man sie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/78>, abgerufen am 28.09.2024.