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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Mie Bayern ein moderner Staat wurde

aus allen Schulen ausgeschlossen. Dort hatte die Gesellschaft Jesu die abso¬
lute Gewalt, nicht nur die theologische, auch die philosophische Fakultät in
Ingolstadt wurde ausschließlich von ihr besetzt, und in gleicher Stufenfolge
war ihr Einfluß bis zur letzten Dorfschule allmächtig. Der Staat aber hatte
sich daran gewöhnt, den willigen Vollzugsbeamteu geistlicher Impertinenz zu
spielen; er überwachte die religiösen Übungen der Unterthanen, ob sie zu
Ostern zur Beichte gingen oder Freitags die Fasten hielten. Wie der Geßler-
hut in der Schweiz, so war in Bayern die Pfaffenkutte das Wahrzeichen,
vor dem sich alle Bürger beugen mußten. Geduldig lief das bethörte Volk
im Reigen der Prozessionen, jubelnd zog es hinaus zur Hinrichtung eines
siebzehnjährigen Mädchens, das im Jahre 1701s!) in München als Hexe ver¬
brannt wurde; denu "der Gesetzgeber muß der Ketzerei mit Leibes- und Todes¬
strafen abhelfen"; "selbst die gemäßigte Toleranz ist gefährlich."*)

Das Land hatte bessere Zeiten gekannt. Unter Max III. Joseph waren
wenigstens einige Anstrengungen gemacht worden, das Land und seine Be¬
wohner aus dem Pfuhl der Unwissenheit zu ziehen, in den es eine mehr als
hundertjährige Mißregiernng gebracht hatte. Kurfürst Max III. war ein
Charakter, der in seiner tiefen Humanität und Innerlichkeit so manches ähn¬
liche mit König Max II. zeigt: gewissenhaft und bedächtig in allen Dingen,
war er doch unerschütterlich, wo er verletzte" Rechten gegenüber stand. Nicht
aus Herrschsucht (wenn dieses Wort bei einem absoluten Herrscher möglich
wäre), sondern aus Gerechtigkeit trat er gegen die Teilung der Gewalten in
die Schranken; nicht sowohl um seine eigne Macht zu erhöhen, als um das
Volk von dem Druck einer fremden Macht zu entlasten, begann er den Kampf
gegen die geistlichen Prätensionen. Mit scharfem Blicke griff man sofort die
entscheidenden Punkte auf: vor allem mußte das Unterrichtswesen gebessert
werden, indem man der Universität den theologischen Kappzaum abnahm; dann
aber bedürfte es dringender Reformen auf administrativen Gebiete. So wurde
der "geistliche Rat," der die Interessen der Regierung vertreten sollte, obwohl
schon der Name einen starken klerikalen Anstrich hat, wieder mit einer welt¬
lichen Mehrheit besetzt, und eine Reihe von Gesetzen folgte, in denen das
Hoheitsrecht des Landesherrn zur vollen Geltung kam. Über die Klöster,
unter denen sich besonders die Klarissinnen in München durch grauenhaften
Skandal hervorthaten, wurde eine schärfere staatliche Aufsicht verhängt, für die
ewigen Gelübde schrieb man ein höheres Lebensalter vor. In allen diesen
Bestrebungen hatte Max III. keinen treuem Vnndesgenossen als den berühmten
Freiherrn vou Jckstatt, der einst sein Erzieher war und in einer Denkschrift
vom Jahre 1752 alle die Grundsätze zusammenfaßte, um die wir zum Teil



*) Beide Sätze wurden von dein hohen Ordinariat in Freising noch am 7. November
1789 approbiert.
Mie Bayern ein moderner Staat wurde

aus allen Schulen ausgeschlossen. Dort hatte die Gesellschaft Jesu die abso¬
lute Gewalt, nicht nur die theologische, auch die philosophische Fakultät in
Ingolstadt wurde ausschließlich von ihr besetzt, und in gleicher Stufenfolge
war ihr Einfluß bis zur letzten Dorfschule allmächtig. Der Staat aber hatte
sich daran gewöhnt, den willigen Vollzugsbeamteu geistlicher Impertinenz zu
spielen; er überwachte die religiösen Übungen der Unterthanen, ob sie zu
Ostern zur Beichte gingen oder Freitags die Fasten hielten. Wie der Geßler-
hut in der Schweiz, so war in Bayern die Pfaffenkutte das Wahrzeichen,
vor dem sich alle Bürger beugen mußten. Geduldig lief das bethörte Volk
im Reigen der Prozessionen, jubelnd zog es hinaus zur Hinrichtung eines
siebzehnjährigen Mädchens, das im Jahre 1701s!) in München als Hexe ver¬
brannt wurde; denu „der Gesetzgeber muß der Ketzerei mit Leibes- und Todes¬
strafen abhelfen"; „selbst die gemäßigte Toleranz ist gefährlich."*)

Das Land hatte bessere Zeiten gekannt. Unter Max III. Joseph waren
wenigstens einige Anstrengungen gemacht worden, das Land und seine Be¬
wohner aus dem Pfuhl der Unwissenheit zu ziehen, in den es eine mehr als
hundertjährige Mißregiernng gebracht hatte. Kurfürst Max III. war ein
Charakter, der in seiner tiefen Humanität und Innerlichkeit so manches ähn¬
liche mit König Max II. zeigt: gewissenhaft und bedächtig in allen Dingen,
war er doch unerschütterlich, wo er verletzte» Rechten gegenüber stand. Nicht
aus Herrschsucht (wenn dieses Wort bei einem absoluten Herrscher möglich
wäre), sondern aus Gerechtigkeit trat er gegen die Teilung der Gewalten in
die Schranken; nicht sowohl um seine eigne Macht zu erhöhen, als um das
Volk von dem Druck einer fremden Macht zu entlasten, begann er den Kampf
gegen die geistlichen Prätensionen. Mit scharfem Blicke griff man sofort die
entscheidenden Punkte auf: vor allem mußte das Unterrichtswesen gebessert
werden, indem man der Universität den theologischen Kappzaum abnahm; dann
aber bedürfte es dringender Reformen auf administrativen Gebiete. So wurde
der „geistliche Rat," der die Interessen der Regierung vertreten sollte, obwohl
schon der Name einen starken klerikalen Anstrich hat, wieder mit einer welt¬
lichen Mehrheit besetzt, und eine Reihe von Gesetzen folgte, in denen das
Hoheitsrecht des Landesherrn zur vollen Geltung kam. Über die Klöster,
unter denen sich besonders die Klarissinnen in München durch grauenhaften
Skandal hervorthaten, wurde eine schärfere staatliche Aufsicht verhängt, für die
ewigen Gelübde schrieb man ein höheres Lebensalter vor. In allen diesen
Bestrebungen hatte Max III. keinen treuem Vnndesgenossen als den berühmten
Freiherrn vou Jckstatt, der einst sein Erzieher war und in einer Denkschrift
vom Jahre 1752 alle die Grundsätze zusammenfaßte, um die wir zum Teil



*) Beide Sätze wurden von dein hohen Ordinariat in Freising noch am 7. November
1789 approbiert.
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[0075] Mie Bayern ein moderner Staat wurde aus allen Schulen ausgeschlossen. Dort hatte die Gesellschaft Jesu die abso¬ lute Gewalt, nicht nur die theologische, auch die philosophische Fakultät in Ingolstadt wurde ausschließlich von ihr besetzt, und in gleicher Stufenfolge war ihr Einfluß bis zur letzten Dorfschule allmächtig. Der Staat aber hatte sich daran gewöhnt, den willigen Vollzugsbeamteu geistlicher Impertinenz zu spielen; er überwachte die religiösen Übungen der Unterthanen, ob sie zu Ostern zur Beichte gingen oder Freitags die Fasten hielten. Wie der Geßler- hut in der Schweiz, so war in Bayern die Pfaffenkutte das Wahrzeichen, vor dem sich alle Bürger beugen mußten. Geduldig lief das bethörte Volk im Reigen der Prozessionen, jubelnd zog es hinaus zur Hinrichtung eines siebzehnjährigen Mädchens, das im Jahre 1701s!) in München als Hexe ver¬ brannt wurde; denu „der Gesetzgeber muß der Ketzerei mit Leibes- und Todes¬ strafen abhelfen"; „selbst die gemäßigte Toleranz ist gefährlich."*) Das Land hatte bessere Zeiten gekannt. Unter Max III. Joseph waren wenigstens einige Anstrengungen gemacht worden, das Land und seine Be¬ wohner aus dem Pfuhl der Unwissenheit zu ziehen, in den es eine mehr als hundertjährige Mißregiernng gebracht hatte. Kurfürst Max III. war ein Charakter, der in seiner tiefen Humanität und Innerlichkeit so manches ähn¬ liche mit König Max II. zeigt: gewissenhaft und bedächtig in allen Dingen, war er doch unerschütterlich, wo er verletzte» Rechten gegenüber stand. Nicht aus Herrschsucht (wenn dieses Wort bei einem absoluten Herrscher möglich wäre), sondern aus Gerechtigkeit trat er gegen die Teilung der Gewalten in die Schranken; nicht sowohl um seine eigne Macht zu erhöhen, als um das Volk von dem Druck einer fremden Macht zu entlasten, begann er den Kampf gegen die geistlichen Prätensionen. Mit scharfem Blicke griff man sofort die entscheidenden Punkte auf: vor allem mußte das Unterrichtswesen gebessert werden, indem man der Universität den theologischen Kappzaum abnahm; dann aber bedürfte es dringender Reformen auf administrativen Gebiete. So wurde der „geistliche Rat," der die Interessen der Regierung vertreten sollte, obwohl schon der Name einen starken klerikalen Anstrich hat, wieder mit einer welt¬ lichen Mehrheit besetzt, und eine Reihe von Gesetzen folgte, in denen das Hoheitsrecht des Landesherrn zur vollen Geltung kam. Über die Klöster, unter denen sich besonders die Klarissinnen in München durch grauenhaften Skandal hervorthaten, wurde eine schärfere staatliche Aufsicht verhängt, für die ewigen Gelübde schrieb man ein höheres Lebensalter vor. In allen diesen Bestrebungen hatte Max III. keinen treuem Vnndesgenossen als den berühmten Freiherrn vou Jckstatt, der einst sein Erzieher war und in einer Denkschrift vom Jahre 1752 alle die Grundsätze zusammenfaßte, um die wir zum Teil *) Beide Sätze wurden von dein hohen Ordinariat in Freising noch am 7. November 1789 approbiert.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/75>, abgerufen am 28.09.2024.