Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Hein U)leck

es geschieht, wenn das Geschäft nicht just hinter unserm Garten prosperierte, und
wenn nicht die sakramentschen Maschinen gerade unter den Fenstern unsers Fremden¬
zimmers Tag für Tag ein so fragwürdiges Konzert aufführten, und das alles ganz
unvernünftig früh am Tage. Allerdings sind die Ansichten über den melodiösen
Wert dieser Geräusche nicht immer gleich. Ich (und meine Frau stimmt mir bei)
halte es für das Gegenteil von Musik; mein alter braver Jörgenkutscher mag es
gern hören: es wiege so schön ein, und man könne so gut dabei schlafen.

Wenn ich nicht irre, rubust du dich einer ähnlichen beneidenswerten, musika¬
lischen Verfassung!

So schrieb der Doktor.

Es dauerte nur kurze Zeit, da hatte der verwaiste Distrikt seinen neuen
Richter. Die aufgesparten Beleidigungsklagen liefen ein, erhielten ihr Prcisentatum,
ihre Journalnummer, ihre Negisternummer und ihr Aktenzeichen und im Richter-
zimmer eine Verfügung.

Derweilen schenkte ich meinen wiedergefundnen Jugendbekmmten einen Besuch.

Mein Freund, der Doktor, ist immer ein guter Beobachter gewesen, er hat
auch bei Hein gut gesehen. Der ist der richtige Kaufmann und doch nicht frei
von Regungen, die sich für einen Geschäftsmann kaum schicken Meines Erachtens
sind sie aber nicht mehr das Hervorstechende in seinem Charakter, es überwiegt
doch das kühl Berechnende des Fabrikanten und die Freude an den rein wirtschaft¬
lichen Erfolgen seiner Thätigkeit. Aber es ist nicht so sehr die Befriedigung
über das Wachsen und Mehrer seiner wirtschaftlichen Macht, wie eine Art
dichterische Gehobenheit darüber, daß sich seine geschäftliche Voraussicht als zutreffend
erwiesen hat, und das Gefühl des Glücks, auf eignen Füßen zu stehn.

Nach meiner Überzeugung ist bei Hein keine von den Triebkräften seines
Wesens, woran wir unsre Freude hatten, verkümmert, auch ist nichts neues, nichts
fremdes hinzugekommen. Übrigens wäre eine derartige Annahme schon an und
für sich abzuweisen, denn unsre Handlungen werden niemals Eigenschaften unsers
Wesens zeigen, die nicht immer in unsrer Seele gewesen sind. Was bei dem
Jüngling in voller Sonne steht, rückt im Mannesalter mehr in den Schatten,
und was der Grundzug unsers Charakters zu sein scheint, wenn wir die Höhe er¬
reicht haben, war in der Jugend das Stiefkind unsrer Einsicht. Das Leben kann
in uns vorhcmdne Neigungen und Anlagen wecken, aber nicht neue in unsre Seele
hineinlegen.

So waren denn auch alle Wesenskeime des gegenwärtigen Fabrikanten in dem
Stalljungen vorhanden, der sich geschworen hatte, ein Kuhknecht erster Klasse zu
werden, und diesen Schwur nicht gehalten hat.




Rieke sah mich mit unbefangnen Augen an.

Sie haben noch immer die dunkle Mahagonifarbe und sind von großer Tiefe.
Und in dieser Tiefe stand geschrieben:

Was sagt der Herr Rat zu diesem Stillleben?

In deu Röcken der Mutter versteckte sich nämlich ein allerliebstes schwarz--
braunes Dirnchen, einem zukünftigen unternehmenden Holzhändler bot sie unbefangen
die Mutterbrust.

Wir plauderten.

Der Vater -- "eigentlich, glaube ich. ist es die Mutter" -- habe sich so-


Hein U)leck

es geschieht, wenn das Geschäft nicht just hinter unserm Garten prosperierte, und
wenn nicht die sakramentschen Maschinen gerade unter den Fenstern unsers Fremden¬
zimmers Tag für Tag ein so fragwürdiges Konzert aufführten, und das alles ganz
unvernünftig früh am Tage. Allerdings sind die Ansichten über den melodiösen
Wert dieser Geräusche nicht immer gleich. Ich (und meine Frau stimmt mir bei)
halte es für das Gegenteil von Musik; mein alter braver Jörgenkutscher mag es
gern hören: es wiege so schön ein, und man könne so gut dabei schlafen.

Wenn ich nicht irre, rubust du dich einer ähnlichen beneidenswerten, musika¬
lischen Verfassung!

So schrieb der Doktor.

Es dauerte nur kurze Zeit, da hatte der verwaiste Distrikt seinen neuen
Richter. Die aufgesparten Beleidigungsklagen liefen ein, erhielten ihr Prcisentatum,
ihre Journalnummer, ihre Negisternummer und ihr Aktenzeichen und im Richter-
zimmer eine Verfügung.

Derweilen schenkte ich meinen wiedergefundnen Jugendbekmmten einen Besuch.

Mein Freund, der Doktor, ist immer ein guter Beobachter gewesen, er hat
auch bei Hein gut gesehen. Der ist der richtige Kaufmann und doch nicht frei
von Regungen, die sich für einen Geschäftsmann kaum schicken Meines Erachtens
sind sie aber nicht mehr das Hervorstechende in seinem Charakter, es überwiegt
doch das kühl Berechnende des Fabrikanten und die Freude an den rein wirtschaft¬
lichen Erfolgen seiner Thätigkeit. Aber es ist nicht so sehr die Befriedigung
über das Wachsen und Mehrer seiner wirtschaftlichen Macht, wie eine Art
dichterische Gehobenheit darüber, daß sich seine geschäftliche Voraussicht als zutreffend
erwiesen hat, und das Gefühl des Glücks, auf eignen Füßen zu stehn.

Nach meiner Überzeugung ist bei Hein keine von den Triebkräften seines
Wesens, woran wir unsre Freude hatten, verkümmert, auch ist nichts neues, nichts
fremdes hinzugekommen. Übrigens wäre eine derartige Annahme schon an und
für sich abzuweisen, denn unsre Handlungen werden niemals Eigenschaften unsers
Wesens zeigen, die nicht immer in unsrer Seele gewesen sind. Was bei dem
Jüngling in voller Sonne steht, rückt im Mannesalter mehr in den Schatten,
und was der Grundzug unsers Charakters zu sein scheint, wenn wir die Höhe er¬
reicht haben, war in der Jugend das Stiefkind unsrer Einsicht. Das Leben kann
in uns vorhcmdne Neigungen und Anlagen wecken, aber nicht neue in unsre Seele
hineinlegen.

So waren denn auch alle Wesenskeime des gegenwärtigen Fabrikanten in dem
Stalljungen vorhanden, der sich geschworen hatte, ein Kuhknecht erster Klasse zu
werden, und diesen Schwur nicht gehalten hat.




Rieke sah mich mit unbefangnen Augen an.

Sie haben noch immer die dunkle Mahagonifarbe und sind von großer Tiefe.
Und in dieser Tiefe stand geschrieben:

Was sagt der Herr Rat zu diesem Stillleben?

In deu Röcken der Mutter versteckte sich nämlich ein allerliebstes schwarz--
braunes Dirnchen, einem zukünftigen unternehmenden Holzhändler bot sie unbefangen
die Mutterbrust.

Wir plauderten.

Der Vater — „eigentlich, glaube ich. ist es die Mutter" — habe sich so-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0722" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231154"/>
          <fw type="header" place="top"> Hein U)leck</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2483" prev="#ID_2482"> es geschieht, wenn das Geschäft nicht just hinter unserm Garten prosperierte, und<lb/>
wenn nicht die sakramentschen Maschinen gerade unter den Fenstern unsers Fremden¬<lb/>
zimmers Tag für Tag ein so fragwürdiges Konzert aufführten, und das alles ganz<lb/>
unvernünftig früh am Tage. Allerdings sind die Ansichten über den melodiösen<lb/>
Wert dieser Geräusche nicht immer gleich. Ich (und meine Frau stimmt mir bei)<lb/>
halte es für das Gegenteil von Musik; mein alter braver Jörgenkutscher mag es<lb/>
gern hören: es wiege so schön ein, und man könne so gut dabei schlafen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2484"> Wenn ich nicht irre, rubust du dich einer ähnlichen beneidenswerten, musika¬<lb/>
lischen Verfassung!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2485"> So schrieb der Doktor.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2486"> Es dauerte nur kurze Zeit, da hatte der verwaiste Distrikt seinen neuen<lb/>
Richter. Die aufgesparten Beleidigungsklagen liefen ein, erhielten ihr Prcisentatum,<lb/>
ihre Journalnummer, ihre Negisternummer und ihr Aktenzeichen und im Richter-<lb/>
zimmer eine Verfügung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2487"> Derweilen schenkte ich meinen wiedergefundnen Jugendbekmmten einen Besuch.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2488"> Mein Freund, der Doktor, ist immer ein guter Beobachter gewesen, er hat<lb/>
auch bei Hein gut gesehen. Der ist der richtige Kaufmann und doch nicht frei<lb/>
von Regungen, die sich für einen Geschäftsmann kaum schicken Meines Erachtens<lb/>
sind sie aber nicht mehr das Hervorstechende in seinem Charakter, es überwiegt<lb/>
doch das kühl Berechnende des Fabrikanten und die Freude an den rein wirtschaft¬<lb/>
lichen Erfolgen seiner Thätigkeit. Aber es ist nicht so sehr die Befriedigung<lb/>
über das Wachsen und Mehrer seiner wirtschaftlichen Macht, wie eine Art<lb/>
dichterische Gehobenheit darüber, daß sich seine geschäftliche Voraussicht als zutreffend<lb/>
erwiesen hat, und das Gefühl des Glücks, auf eignen Füßen zu stehn.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2489"> Nach meiner Überzeugung ist bei Hein keine von den Triebkräften seines<lb/>
Wesens, woran wir unsre Freude hatten, verkümmert, auch ist nichts neues, nichts<lb/>
fremdes hinzugekommen. Übrigens wäre eine derartige Annahme schon an und<lb/>
für sich abzuweisen, denn unsre Handlungen werden niemals Eigenschaften unsers<lb/>
Wesens zeigen, die nicht immer in unsrer Seele gewesen sind. Was bei dem<lb/>
Jüngling in voller Sonne steht, rückt im Mannesalter mehr in den Schatten,<lb/>
und was der Grundzug unsers Charakters zu sein scheint, wenn wir die Höhe er¬<lb/>
reicht haben, war in der Jugend das Stiefkind unsrer Einsicht. Das Leben kann<lb/>
in uns vorhcmdne Neigungen und Anlagen wecken, aber nicht neue in unsre Seele<lb/>
hineinlegen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2490"> So waren denn auch alle Wesenskeime des gegenwärtigen Fabrikanten in dem<lb/>
Stalljungen vorhanden, der sich geschworen hatte, ein Kuhknecht erster Klasse zu<lb/>
werden, und diesen Schwur nicht gehalten hat.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_2491"> Rieke sah mich mit unbefangnen Augen an.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2492"> Sie haben noch immer die dunkle Mahagonifarbe und sind von großer Tiefe.<lb/>
Und in dieser Tiefe stand geschrieben:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2493"> Was sagt der Herr Rat zu diesem Stillleben?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2494"> In deu Röcken der Mutter versteckte sich nämlich ein allerliebstes schwarz--<lb/>
braunes Dirnchen, einem zukünftigen unternehmenden Holzhändler bot sie unbefangen<lb/>
die Mutterbrust.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2495"> Wir plauderten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2496" next="#ID_2497"> Der Vater &#x2014; &#x201E;eigentlich, glaube ich. ist es die Mutter" &#x2014; habe sich so-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0722] Hein U)leck es geschieht, wenn das Geschäft nicht just hinter unserm Garten prosperierte, und wenn nicht die sakramentschen Maschinen gerade unter den Fenstern unsers Fremden¬ zimmers Tag für Tag ein so fragwürdiges Konzert aufführten, und das alles ganz unvernünftig früh am Tage. Allerdings sind die Ansichten über den melodiösen Wert dieser Geräusche nicht immer gleich. Ich (und meine Frau stimmt mir bei) halte es für das Gegenteil von Musik; mein alter braver Jörgenkutscher mag es gern hören: es wiege so schön ein, und man könne so gut dabei schlafen. Wenn ich nicht irre, rubust du dich einer ähnlichen beneidenswerten, musika¬ lischen Verfassung! So schrieb der Doktor. Es dauerte nur kurze Zeit, da hatte der verwaiste Distrikt seinen neuen Richter. Die aufgesparten Beleidigungsklagen liefen ein, erhielten ihr Prcisentatum, ihre Journalnummer, ihre Negisternummer und ihr Aktenzeichen und im Richter- zimmer eine Verfügung. Derweilen schenkte ich meinen wiedergefundnen Jugendbekmmten einen Besuch. Mein Freund, der Doktor, ist immer ein guter Beobachter gewesen, er hat auch bei Hein gut gesehen. Der ist der richtige Kaufmann und doch nicht frei von Regungen, die sich für einen Geschäftsmann kaum schicken Meines Erachtens sind sie aber nicht mehr das Hervorstechende in seinem Charakter, es überwiegt doch das kühl Berechnende des Fabrikanten und die Freude an den rein wirtschaft¬ lichen Erfolgen seiner Thätigkeit. Aber es ist nicht so sehr die Befriedigung über das Wachsen und Mehrer seiner wirtschaftlichen Macht, wie eine Art dichterische Gehobenheit darüber, daß sich seine geschäftliche Voraussicht als zutreffend erwiesen hat, und das Gefühl des Glücks, auf eignen Füßen zu stehn. Nach meiner Überzeugung ist bei Hein keine von den Triebkräften seines Wesens, woran wir unsre Freude hatten, verkümmert, auch ist nichts neues, nichts fremdes hinzugekommen. Übrigens wäre eine derartige Annahme schon an und für sich abzuweisen, denn unsre Handlungen werden niemals Eigenschaften unsers Wesens zeigen, die nicht immer in unsrer Seele gewesen sind. Was bei dem Jüngling in voller Sonne steht, rückt im Mannesalter mehr in den Schatten, und was der Grundzug unsers Charakters zu sein scheint, wenn wir die Höhe er¬ reicht haben, war in der Jugend das Stiefkind unsrer Einsicht. Das Leben kann in uns vorhcmdne Neigungen und Anlagen wecken, aber nicht neue in unsre Seele hineinlegen. So waren denn auch alle Wesenskeime des gegenwärtigen Fabrikanten in dem Stalljungen vorhanden, der sich geschworen hatte, ein Kuhknecht erster Klasse zu werden, und diesen Schwur nicht gehalten hat. Rieke sah mich mit unbefangnen Augen an. Sie haben noch immer die dunkle Mahagonifarbe und sind von großer Tiefe. Und in dieser Tiefe stand geschrieben: Was sagt der Herr Rat zu diesem Stillleben? In deu Röcken der Mutter versteckte sich nämlich ein allerliebstes schwarz-- braunes Dirnchen, einem zukünftigen unternehmenden Holzhändler bot sie unbefangen die Mutterbrust. Wir plauderten. Der Vater — „eigentlich, glaube ich. ist es die Mutter" — habe sich so-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/722
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/722>, abgerufen am 28.09.2024.