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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Aus den schwarzen Bergen

seine Sklaven schonen, so würde er wahrscheinlich bald durch den Wettbewerb
der andern, die dies nicht thun, zu Grunde gehn. Es ist darum nicht zu
verwundern, daß bei euch der Staat nebst privater Wohlthätigkeit für sie ein¬
tritt, was uns gänzlich fremd blieb, was jedoch auch niemals recht wirksam
sein kann. Daß ihr aber jederzeit genügend Angebot von Sklaven habt, dafür
sorgt die einzige Freiheit, die ihr euerm Arbeiter gelassen habt, die, sich zu ver¬
mehren, eine Erlaubnis, von der er, wie jeder gesunde Mensch, ausgiebigen
Gebrauch macht. Nicht daß wir unsern Sklaven die Fortpflanzung verboten
hätten, wer konnte dies? Aber unsern Sklaven und ihren Herren stand kein
Aberglaube und kein Gesetz entgegen, das verbot, Kinder auszusetzen und
keimendes Leben zu ersticken. Wo in aller Welt habt ihr diese unmenschliche
Auffassung her? Ein Vater soll nicht das Recht haben, ein Kind, das er
nicht ernähren kann, oder das mißgestaltet ist, auszusetzen, und ihr belegt ein
junges Mädchen, das sich den Folgen menschlicher Triebe zu entziehen sucht,
mit harten Strafen? Ich glaube, dieser falsche Satz vom Werte jeder Menschen¬
seele ist der Grund für die Verschiedenheit unsrer beiden Kulturen. Ihr zieht
alles Erbärmliche, alles Kranke, alles Überflüssige, alles Häßliche auf, anstatt
es im Keime zu ersticken und euch den Anblick des schlimmern Todeskampfes
später zu ersparen.

"Wenn eure Künstler und Schriftsteller, im Gegensatz zu den unsrigen, so
viel Gräßliches und Ekelhaftes darstellen, in Blut und Leichen wühlen, immer
von Jammer und Krankheit sprechen, so sind sie zu entschuldigen, sie thun es
deshalb, weil sie es so gesehen haben, weil es sich ihnen auf Schritt und
Tritt aufdrängt. . . . Wie schändlich stellen, um ein Beispiel anzuführen, diese
Künstler eure Götter dar! Erinnere dich der unsrigen, male dir den olym¬
pischen Zeus des Phidias aus: der gewaltige Kopf, von dem die ambrosischen
Locken wallen, deren Schütteln den Olympus erzittern macht, die klare Stirn
mit den kühnen Augenbrauen, die energische und gerade Nase, die lieb¬
liche Fülle der Wangen umrahmt von dem schönsten Bartesschinucke. Ein
Mann, ein Herrscher, ein Gott! Ein kräftiger, denkender Mann, und doch so
machtvoll, so gesund, so seiner Fähigkeiten sicher, daß sich der strenge und ernste
Ausdruck gegen den Mund verliert, und etwas wie segnende Milde, selige
Heiterkeit, freundliches Gewähren über das Ganze ausgegossen liegt. Alle
unsre Zeitgenossen standen unter dem Einfluß des übermächtigen Zaubers, die
dieses Idealbild männlicher Kraft und Lebensfülle ausströmte, ganz Griechen¬
land wallfahrtete zu ihm, und wer ihn gesehen, pries sich glücklich. Als Phidias
die Götterstatue vollendet hatte, so erzählt die Legende, da hätte er im Gebete
seine Hände in die Höhe erhoben und den Gott angefleht, ihm ein Zeichen zu
geben, ob die Statue ihm genehm sei, und plötzlich sei ein Blitzstrahl dnrch
eine Öffnung des Daches in den Boden des Tempels eingeschlagen, als ein
Zeichen des göttlichen Beifalls. . . .


Aus den schwarzen Bergen

seine Sklaven schonen, so würde er wahrscheinlich bald durch den Wettbewerb
der andern, die dies nicht thun, zu Grunde gehn. Es ist darum nicht zu
verwundern, daß bei euch der Staat nebst privater Wohlthätigkeit für sie ein¬
tritt, was uns gänzlich fremd blieb, was jedoch auch niemals recht wirksam
sein kann. Daß ihr aber jederzeit genügend Angebot von Sklaven habt, dafür
sorgt die einzige Freiheit, die ihr euerm Arbeiter gelassen habt, die, sich zu ver¬
mehren, eine Erlaubnis, von der er, wie jeder gesunde Mensch, ausgiebigen
Gebrauch macht. Nicht daß wir unsern Sklaven die Fortpflanzung verboten
hätten, wer konnte dies? Aber unsern Sklaven und ihren Herren stand kein
Aberglaube und kein Gesetz entgegen, das verbot, Kinder auszusetzen und
keimendes Leben zu ersticken. Wo in aller Welt habt ihr diese unmenschliche
Auffassung her? Ein Vater soll nicht das Recht haben, ein Kind, das er
nicht ernähren kann, oder das mißgestaltet ist, auszusetzen, und ihr belegt ein
junges Mädchen, das sich den Folgen menschlicher Triebe zu entziehen sucht,
mit harten Strafen? Ich glaube, dieser falsche Satz vom Werte jeder Menschen¬
seele ist der Grund für die Verschiedenheit unsrer beiden Kulturen. Ihr zieht
alles Erbärmliche, alles Kranke, alles Überflüssige, alles Häßliche auf, anstatt
es im Keime zu ersticken und euch den Anblick des schlimmern Todeskampfes
später zu ersparen.

„Wenn eure Künstler und Schriftsteller, im Gegensatz zu den unsrigen, so
viel Gräßliches und Ekelhaftes darstellen, in Blut und Leichen wühlen, immer
von Jammer und Krankheit sprechen, so sind sie zu entschuldigen, sie thun es
deshalb, weil sie es so gesehen haben, weil es sich ihnen auf Schritt und
Tritt aufdrängt. . . . Wie schändlich stellen, um ein Beispiel anzuführen, diese
Künstler eure Götter dar! Erinnere dich der unsrigen, male dir den olym¬
pischen Zeus des Phidias aus: der gewaltige Kopf, von dem die ambrosischen
Locken wallen, deren Schütteln den Olympus erzittern macht, die klare Stirn
mit den kühnen Augenbrauen, die energische und gerade Nase, die lieb¬
liche Fülle der Wangen umrahmt von dem schönsten Bartesschinucke. Ein
Mann, ein Herrscher, ein Gott! Ein kräftiger, denkender Mann, und doch so
machtvoll, so gesund, so seiner Fähigkeiten sicher, daß sich der strenge und ernste
Ausdruck gegen den Mund verliert, und etwas wie segnende Milde, selige
Heiterkeit, freundliches Gewähren über das Ganze ausgegossen liegt. Alle
unsre Zeitgenossen standen unter dem Einfluß des übermächtigen Zaubers, die
dieses Idealbild männlicher Kraft und Lebensfülle ausströmte, ganz Griechen¬
land wallfahrtete zu ihm, und wer ihn gesehen, pries sich glücklich. Als Phidias
die Götterstatue vollendet hatte, so erzählt die Legende, da hätte er im Gebete
seine Hände in die Höhe erhoben und den Gott angefleht, ihm ein Zeichen zu
geben, ob die Statue ihm genehm sei, und plötzlich sei ein Blitzstrahl dnrch
eine Öffnung des Daches in den Boden des Tempels eingeschlagen, als ein
Zeichen des göttlichen Beifalls. . . .


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[0716] Aus den schwarzen Bergen seine Sklaven schonen, so würde er wahrscheinlich bald durch den Wettbewerb der andern, die dies nicht thun, zu Grunde gehn. Es ist darum nicht zu verwundern, daß bei euch der Staat nebst privater Wohlthätigkeit für sie ein¬ tritt, was uns gänzlich fremd blieb, was jedoch auch niemals recht wirksam sein kann. Daß ihr aber jederzeit genügend Angebot von Sklaven habt, dafür sorgt die einzige Freiheit, die ihr euerm Arbeiter gelassen habt, die, sich zu ver¬ mehren, eine Erlaubnis, von der er, wie jeder gesunde Mensch, ausgiebigen Gebrauch macht. Nicht daß wir unsern Sklaven die Fortpflanzung verboten hätten, wer konnte dies? Aber unsern Sklaven und ihren Herren stand kein Aberglaube und kein Gesetz entgegen, das verbot, Kinder auszusetzen und keimendes Leben zu ersticken. Wo in aller Welt habt ihr diese unmenschliche Auffassung her? Ein Vater soll nicht das Recht haben, ein Kind, das er nicht ernähren kann, oder das mißgestaltet ist, auszusetzen, und ihr belegt ein junges Mädchen, das sich den Folgen menschlicher Triebe zu entziehen sucht, mit harten Strafen? Ich glaube, dieser falsche Satz vom Werte jeder Menschen¬ seele ist der Grund für die Verschiedenheit unsrer beiden Kulturen. Ihr zieht alles Erbärmliche, alles Kranke, alles Überflüssige, alles Häßliche auf, anstatt es im Keime zu ersticken und euch den Anblick des schlimmern Todeskampfes später zu ersparen. „Wenn eure Künstler und Schriftsteller, im Gegensatz zu den unsrigen, so viel Gräßliches und Ekelhaftes darstellen, in Blut und Leichen wühlen, immer von Jammer und Krankheit sprechen, so sind sie zu entschuldigen, sie thun es deshalb, weil sie es so gesehen haben, weil es sich ihnen auf Schritt und Tritt aufdrängt. . . . Wie schändlich stellen, um ein Beispiel anzuführen, diese Künstler eure Götter dar! Erinnere dich der unsrigen, male dir den olym¬ pischen Zeus des Phidias aus: der gewaltige Kopf, von dem die ambrosischen Locken wallen, deren Schütteln den Olympus erzittern macht, die klare Stirn mit den kühnen Augenbrauen, die energische und gerade Nase, die lieb¬ liche Fülle der Wangen umrahmt von dem schönsten Bartesschinucke. Ein Mann, ein Herrscher, ein Gott! Ein kräftiger, denkender Mann, und doch so machtvoll, so gesund, so seiner Fähigkeiten sicher, daß sich der strenge und ernste Ausdruck gegen den Mund verliert, und etwas wie segnende Milde, selige Heiterkeit, freundliches Gewähren über das Ganze ausgegossen liegt. Alle unsre Zeitgenossen standen unter dem Einfluß des übermächtigen Zaubers, die dieses Idealbild männlicher Kraft und Lebensfülle ausströmte, ganz Griechen¬ land wallfahrtete zu ihm, und wer ihn gesehen, pries sich glücklich. Als Phidias die Götterstatue vollendet hatte, so erzählt die Legende, da hätte er im Gebete seine Hände in die Höhe erhoben und den Gott angefleht, ihm ein Zeichen zu geben, ob die Statue ihm genehm sei, und plötzlich sei ein Blitzstrahl dnrch eine Öffnung des Daches in den Boden des Tempels eingeschlagen, als ein Zeichen des göttlichen Beifalls. . . .

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/716>, abgerufen am 28.09.2024.