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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Aus den schwarzen Bergen

dem Kaufmann des glücklichen Arabiens wie mit dem Centurio, der an der
schottischen Grenze lag, konnte man sich in ihr verständigen. Nicht trennten
Zollgrenzen wie bei euch Provinz von Provinz, ein fast unumschränkter Frei¬
handel verband das ganze Reich. Nicht hielten die Bewohner Italiens den
Spanier für einen Ausländer, dieses Spanien gab ja Rom Männer wie Seneca,
Columella, Quinetilian, Lucan und Trajan. Ein Recht galt im ganzen Reiche,
und das Bürgerrecht wurde dem germanischen Bundesgenossen, der sich um
den Staat verdient gemacht hatte, wie dem verachteten Juden, dem Apostel
Paulus zu teil. Alle Völker der Welt verschmolzen mit einander, während
selbst in euern kleinen Staaten schon religiöse Verschiedenheit die Vermischung
desselben Volkes hindert."

Nein, sie liebte uns nicht, meine Begleiterin, und oft sagte sie, daß es
ihr unsäglich schwer fiele, unsre Denkungsart zu versteh", und wenn sie ihren
Sinn wirklich erfaßt Hütte, so verwundere sie sich immer mehr über unsre
Dummheit. "Wie viel Elend unter euch Heutigen zu finden ist! Es ist wahr,
ihr sucht ihm nach Kräften abzuhelfen. Eure Hospitäler und eure Gefängnisse
gehören zu deu schönsten Gebäuden eurer Städte -- wir hatten sie nicht --,
und eure Gelehrten schreiben große Bücher über Wohlthätigkeit und Armen¬
pflege. Die unsrigen thaten nichts dergleichen, weil wir derlei Ratschläge nicht
nötig hatten. Denn die meisten der Menschen, die bei euch Arbeiter oder
Handwerker oder Arme oder Bettler sind, waren bei uns Sklaven, für die der
Herr zu sorgen hatte und auch wirklich sorgte, so wie ihr für eure Viehherden
besorgt seid. Ihr habt unsre Unbarmherzigkeit bitter getadelt, ihr sagt, ihr
verstündet es nicht, wie man seinen Nebenmenschen knechten konnte, und die
Erwähnung des Namens "Sklaverei" allein läßt euch einen Schauer über den
Rücken gehn. Aber ihr seid die grausamsten Sklavenhalter, die es je gegeben
hat, ihr habt die große Kunst entdeckt, die Arbeit des Sklaven zu kaufen, ohne
den Sklaven selbst, und diese Arbeit nur auf so lange Zeit, wie sie euch nütz¬
lich ist. Wenn euch ein schönes Pferd stirbt, so erleidet ihr einen empfind¬
lichen Verlust, denn das ganze Pferd war euer Eigentum, wenn aber einer
eurer Sklaven stirbt, oder krank oder arbeitsunfähig wird, so verursacht es
euch weit weniger Schaden als uns, denn ihr hattet ja für ihn nichts bezahlt,
sondern uur seine Arbeit auf kündbare Zeit gemietet, und ihr kauft dann ein¬
fach die Arbeit eines andern.

"Wohl wäre es nun zum Heile aller, wenn ihr die, die für euch arbeiten,
nicht überanstrengtet, uicht sie ausnütztet, sie pflegtet, wenn sie krank geworden
sind, aber da sie nicht Privateigentum, sondern allen gemeinsam sind und ein jeder
ihre Arbeit kaufen kann, der sie bezahlt, so fehlt euch das Eigentumsinteresse,
die Aussicht auf Vorteil, wodurch sich die Menschen am meisten leiten lassen,
und sie werden vernachlässigt, denn, was allen gemeinsam ist, sür das wird
gewöhnlich am schlechtesten gesorgt. Ja, wollte selbst auch einer von euch


Aus den schwarzen Bergen

dem Kaufmann des glücklichen Arabiens wie mit dem Centurio, der an der
schottischen Grenze lag, konnte man sich in ihr verständigen. Nicht trennten
Zollgrenzen wie bei euch Provinz von Provinz, ein fast unumschränkter Frei¬
handel verband das ganze Reich. Nicht hielten die Bewohner Italiens den
Spanier für einen Ausländer, dieses Spanien gab ja Rom Männer wie Seneca,
Columella, Quinetilian, Lucan und Trajan. Ein Recht galt im ganzen Reiche,
und das Bürgerrecht wurde dem germanischen Bundesgenossen, der sich um
den Staat verdient gemacht hatte, wie dem verachteten Juden, dem Apostel
Paulus zu teil. Alle Völker der Welt verschmolzen mit einander, während
selbst in euern kleinen Staaten schon religiöse Verschiedenheit die Vermischung
desselben Volkes hindert."

Nein, sie liebte uns nicht, meine Begleiterin, und oft sagte sie, daß es
ihr unsäglich schwer fiele, unsre Denkungsart zu versteh», und wenn sie ihren
Sinn wirklich erfaßt Hütte, so verwundere sie sich immer mehr über unsre
Dummheit. „Wie viel Elend unter euch Heutigen zu finden ist! Es ist wahr,
ihr sucht ihm nach Kräften abzuhelfen. Eure Hospitäler und eure Gefängnisse
gehören zu deu schönsten Gebäuden eurer Städte — wir hatten sie nicht —,
und eure Gelehrten schreiben große Bücher über Wohlthätigkeit und Armen¬
pflege. Die unsrigen thaten nichts dergleichen, weil wir derlei Ratschläge nicht
nötig hatten. Denn die meisten der Menschen, die bei euch Arbeiter oder
Handwerker oder Arme oder Bettler sind, waren bei uns Sklaven, für die der
Herr zu sorgen hatte und auch wirklich sorgte, so wie ihr für eure Viehherden
besorgt seid. Ihr habt unsre Unbarmherzigkeit bitter getadelt, ihr sagt, ihr
verstündet es nicht, wie man seinen Nebenmenschen knechten konnte, und die
Erwähnung des Namens »Sklaverei« allein läßt euch einen Schauer über den
Rücken gehn. Aber ihr seid die grausamsten Sklavenhalter, die es je gegeben
hat, ihr habt die große Kunst entdeckt, die Arbeit des Sklaven zu kaufen, ohne
den Sklaven selbst, und diese Arbeit nur auf so lange Zeit, wie sie euch nütz¬
lich ist. Wenn euch ein schönes Pferd stirbt, so erleidet ihr einen empfind¬
lichen Verlust, denn das ganze Pferd war euer Eigentum, wenn aber einer
eurer Sklaven stirbt, oder krank oder arbeitsunfähig wird, so verursacht es
euch weit weniger Schaden als uns, denn ihr hattet ja für ihn nichts bezahlt,
sondern uur seine Arbeit auf kündbare Zeit gemietet, und ihr kauft dann ein¬
fach die Arbeit eines andern.

„Wohl wäre es nun zum Heile aller, wenn ihr die, die für euch arbeiten,
nicht überanstrengtet, uicht sie ausnütztet, sie pflegtet, wenn sie krank geworden
sind, aber da sie nicht Privateigentum, sondern allen gemeinsam sind und ein jeder
ihre Arbeit kaufen kann, der sie bezahlt, so fehlt euch das Eigentumsinteresse,
die Aussicht auf Vorteil, wodurch sich die Menschen am meisten leiten lassen,
und sie werden vernachlässigt, denn, was allen gemeinsam ist, sür das wird
gewöhnlich am schlechtesten gesorgt. Ja, wollte selbst auch einer von euch


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[0715] Aus den schwarzen Bergen dem Kaufmann des glücklichen Arabiens wie mit dem Centurio, der an der schottischen Grenze lag, konnte man sich in ihr verständigen. Nicht trennten Zollgrenzen wie bei euch Provinz von Provinz, ein fast unumschränkter Frei¬ handel verband das ganze Reich. Nicht hielten die Bewohner Italiens den Spanier für einen Ausländer, dieses Spanien gab ja Rom Männer wie Seneca, Columella, Quinetilian, Lucan und Trajan. Ein Recht galt im ganzen Reiche, und das Bürgerrecht wurde dem germanischen Bundesgenossen, der sich um den Staat verdient gemacht hatte, wie dem verachteten Juden, dem Apostel Paulus zu teil. Alle Völker der Welt verschmolzen mit einander, während selbst in euern kleinen Staaten schon religiöse Verschiedenheit die Vermischung desselben Volkes hindert." Nein, sie liebte uns nicht, meine Begleiterin, und oft sagte sie, daß es ihr unsäglich schwer fiele, unsre Denkungsart zu versteh», und wenn sie ihren Sinn wirklich erfaßt Hütte, so verwundere sie sich immer mehr über unsre Dummheit. „Wie viel Elend unter euch Heutigen zu finden ist! Es ist wahr, ihr sucht ihm nach Kräften abzuhelfen. Eure Hospitäler und eure Gefängnisse gehören zu deu schönsten Gebäuden eurer Städte — wir hatten sie nicht —, und eure Gelehrten schreiben große Bücher über Wohlthätigkeit und Armen¬ pflege. Die unsrigen thaten nichts dergleichen, weil wir derlei Ratschläge nicht nötig hatten. Denn die meisten der Menschen, die bei euch Arbeiter oder Handwerker oder Arme oder Bettler sind, waren bei uns Sklaven, für die der Herr zu sorgen hatte und auch wirklich sorgte, so wie ihr für eure Viehherden besorgt seid. Ihr habt unsre Unbarmherzigkeit bitter getadelt, ihr sagt, ihr verstündet es nicht, wie man seinen Nebenmenschen knechten konnte, und die Erwähnung des Namens »Sklaverei« allein läßt euch einen Schauer über den Rücken gehn. Aber ihr seid die grausamsten Sklavenhalter, die es je gegeben hat, ihr habt die große Kunst entdeckt, die Arbeit des Sklaven zu kaufen, ohne den Sklaven selbst, und diese Arbeit nur auf so lange Zeit, wie sie euch nütz¬ lich ist. Wenn euch ein schönes Pferd stirbt, so erleidet ihr einen empfind¬ lichen Verlust, denn das ganze Pferd war euer Eigentum, wenn aber einer eurer Sklaven stirbt, oder krank oder arbeitsunfähig wird, so verursacht es euch weit weniger Schaden als uns, denn ihr hattet ja für ihn nichts bezahlt, sondern uur seine Arbeit auf kündbare Zeit gemietet, und ihr kauft dann ein¬ fach die Arbeit eines andern. „Wohl wäre es nun zum Heile aller, wenn ihr die, die für euch arbeiten, nicht überanstrengtet, uicht sie ausnütztet, sie pflegtet, wenn sie krank geworden sind, aber da sie nicht Privateigentum, sondern allen gemeinsam sind und ein jeder ihre Arbeit kaufen kann, der sie bezahlt, so fehlt euch das Eigentumsinteresse, die Aussicht auf Vorteil, wodurch sich die Menschen am meisten leiten lassen, und sie werden vernachlässigt, denn, was allen gemeinsam ist, sür das wird gewöhnlich am schlechtesten gesorgt. Ja, wollte selbst auch einer von euch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/715>, abgerufen am 28.09.2024.