Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.Heines Verhältnis zu Wolfgang Menzel Goethe zur Verteidigung seines eignen Evangeliums brauchen könnte. Mit Nichtsdestoweniger liegen Beweise genug vor, daß Heine gar manche Gedanken Heines Verhältnis zu Wolfgang Menzel Goethe zur Verteidigung seines eignen Evangeliums brauchen könnte. Mit Nichtsdestoweniger liegen Beweise genug vor, daß Heine gar manche Gedanken <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0709" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231141"/> <fw type="header" place="top"> Heines Verhältnis zu Wolfgang Menzel</fw><lb/> <p xml:id="ID_2419" prev="#ID_2418"> Goethe zur Verteidigung seines eignen Evangeliums brauchen könnte. Mit<lb/> Vorliebe spricht er jetzt von ihm als dem „großen Heiden" — eine der ver¬<lb/> logensten Phrasen, die bis auf den heutigen Tag vielen das Bild unsers<lb/> größten Dichters gefälscht hat. Goethe, der Vorgänger Heines auf dem Throne<lb/> der deutschen Litteratur, mußte auch zum Vorgänger von Heines Liederlichkeit,<lb/> zum Apostel der „Rehabilitation des Fleisches" gemacht werden. Und wie<lb/> war dies zu erreichen für Heine? Indem er seine eigne frühere Ansicht von<lb/> Goethe einfach widerrief und Menzel zum Reaktionär und Befürworter des<lb/> Mittelalters stempelte. „Herr Menzel, sagt er, war damals der größte Ver¬<lb/> ehrer des Mittelalters, sowohl in Hinsicht der Kunstwerke als der Institutionen,<lb/> er schmähte mit unaufhörlichem Ingrimm den Johann Heinrich Voß, pries<lb/> mit unerhörter Begeisterung den Herrn Joseph Görres. Obgleich ich selber<lb/> damals ein Gegner Goethes war, so war ich doch unzufrieden über die Herb¬<lb/> heit, womit Herr Menzel ihn kritisierte, und ich beklagte diesen Mangel an<lb/> Pietät."</p><lb/> <p xml:id="ID_2420"> Nichtsdestoweniger liegen Beweise genug vor, daß Heine gar manche Gedanken<lb/> dieses bösen Herrn Wolfgang Menzel direkt benutzte, als er sein neues Pro¬<lb/> gramm schrieb. „Herrlicheres, sagt Prölß in seinem Jungen Deutschland, so<lb/> einfach, klar und groß ist über die Tiefe des deutschen Volksgemüth, über den<lb/> Hochsinn des deutschen Volksgeistes, ist über Luther, Lessing, Kant von keinem<lb/> andern deutschen Schriftsteller geschrieben worden. Seine (d. h. Heines) durch¬<lb/> geführte Unterscheidung zwischen dem weltflüchtigen Spiritualismus des christ¬<lb/> lichen Mittelalters und dem hellenischen Sexualismus der Goethischen Kunst-<lb/> Periode hat auf die gesamte Litteraturepoche, die er nun selber beeinflußte,<lb/> Richtung gebend gewirkt." Leider gebührt das Lob des letzten Satzes nicht<lb/> Heine, sondern Menzel. Augenscheinlich hat Prölß nicht gewußt, daß Menzel<lb/> in dem Kapitel Kunst, Seite 294, seiner „Deutschen Litteratur" (1828) eine<lb/> Definition der klassischen und romantischen Künste giebt, die Heine einfach<lb/> herüber nimmt. Heine fragt: Was war aber die romantische Schule in<lb/> Deutschland? und antwortet darauf: Sie war nichts andres als die Wieder¬<lb/> erweckung der Poesie des Mittelalters, wie sie sich in dessen Liedern, Bild-<lb/> und Bauwerken in Kunst und Leben manifestiert hat. Diese Poesie war aber<lb/> aus dem Christentum hervorgegangen. Ebenso sagt Menzel (Deutsche Litte¬<lb/> ratur, S. 293 ff.): „Im allgemeinen und dem Namen nach versteht man<lb/> (unter dem Romantischen) die Gattung von Poesie, die zuerst im christlichen<lb/> Mittelalter ihren Ursprung nahm und im Geist desselben sich fortentwickelte----<lb/> Der allgemeine Charakter des Romantischen . . . besteht allerdings in etwas<lb/> Wunderbarem und Geheimnisvollem, das der klaren Verständlichkeit der antiken<lb/> Poesie, sowie der modernen entgegensteht. Dieses Wunderbare ist von reli¬<lb/> giösem Ursprung. Es beruht auf dem Glauben an das Übernatürliche. Über¬<lb/> sinnliche und hängt darum innig mit dem Christentum zusammen."</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0709]
Heines Verhältnis zu Wolfgang Menzel
Goethe zur Verteidigung seines eignen Evangeliums brauchen könnte. Mit
Vorliebe spricht er jetzt von ihm als dem „großen Heiden" — eine der ver¬
logensten Phrasen, die bis auf den heutigen Tag vielen das Bild unsers
größten Dichters gefälscht hat. Goethe, der Vorgänger Heines auf dem Throne
der deutschen Litteratur, mußte auch zum Vorgänger von Heines Liederlichkeit,
zum Apostel der „Rehabilitation des Fleisches" gemacht werden. Und wie
war dies zu erreichen für Heine? Indem er seine eigne frühere Ansicht von
Goethe einfach widerrief und Menzel zum Reaktionär und Befürworter des
Mittelalters stempelte. „Herr Menzel, sagt er, war damals der größte Ver¬
ehrer des Mittelalters, sowohl in Hinsicht der Kunstwerke als der Institutionen,
er schmähte mit unaufhörlichem Ingrimm den Johann Heinrich Voß, pries
mit unerhörter Begeisterung den Herrn Joseph Görres. Obgleich ich selber
damals ein Gegner Goethes war, so war ich doch unzufrieden über die Herb¬
heit, womit Herr Menzel ihn kritisierte, und ich beklagte diesen Mangel an
Pietät."
Nichtsdestoweniger liegen Beweise genug vor, daß Heine gar manche Gedanken
dieses bösen Herrn Wolfgang Menzel direkt benutzte, als er sein neues Pro¬
gramm schrieb. „Herrlicheres, sagt Prölß in seinem Jungen Deutschland, so
einfach, klar und groß ist über die Tiefe des deutschen Volksgemüth, über den
Hochsinn des deutschen Volksgeistes, ist über Luther, Lessing, Kant von keinem
andern deutschen Schriftsteller geschrieben worden. Seine (d. h. Heines) durch¬
geführte Unterscheidung zwischen dem weltflüchtigen Spiritualismus des christ¬
lichen Mittelalters und dem hellenischen Sexualismus der Goethischen Kunst-
Periode hat auf die gesamte Litteraturepoche, die er nun selber beeinflußte,
Richtung gebend gewirkt." Leider gebührt das Lob des letzten Satzes nicht
Heine, sondern Menzel. Augenscheinlich hat Prölß nicht gewußt, daß Menzel
in dem Kapitel Kunst, Seite 294, seiner „Deutschen Litteratur" (1828) eine
Definition der klassischen und romantischen Künste giebt, die Heine einfach
herüber nimmt. Heine fragt: Was war aber die romantische Schule in
Deutschland? und antwortet darauf: Sie war nichts andres als die Wieder¬
erweckung der Poesie des Mittelalters, wie sie sich in dessen Liedern, Bild-
und Bauwerken in Kunst und Leben manifestiert hat. Diese Poesie war aber
aus dem Christentum hervorgegangen. Ebenso sagt Menzel (Deutsche Litte¬
ratur, S. 293 ff.): „Im allgemeinen und dem Namen nach versteht man
(unter dem Romantischen) die Gattung von Poesie, die zuerst im christlichen
Mittelalter ihren Ursprung nahm und im Geist desselben sich fortentwickelte----
Der allgemeine Charakter des Romantischen . . . besteht allerdings in etwas
Wunderbarem und Geheimnisvollem, das der klaren Verständlichkeit der antiken
Poesie, sowie der modernen entgegensteht. Dieses Wunderbare ist von reli¬
giösem Ursprung. Es beruht auf dem Glauben an das Übernatürliche. Über¬
sinnliche und hängt darum innig mit dem Christentum zusammen."
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