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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Heines Verhältnis zu Molfgang Menzel

habe in der Rezension der Menzelschen Litteratur nur Formelles besprochen.
Von ihrem positiven Wesen , von der Innerlichkeit des Autors, z. B. von
seiner Feindschaft gegen die Zeit war nicht die Rede. Diesen Teil der Re¬
zension werde ich nachliefern, und Sie werden eine bessere Meinung von meinem
Verständnis Ihrer Werke bekommen."

Es kann nach meiner Meinung kaum einem Zweifel unterliegen, daß
Heines Abwendung von den litterarischen Prinzipien der Romantik mit seinem
Studium von Menzels "Deutscher Litteratur" beginnt. Ja noch mehr. Ich
hoffe im folgenden zu zeigen, daß Menzels Buch das Vorbild wurde, das
Heine in seiner "Romantischen Schule" nachahmte und teilweise aufschrieb.
Die Entstehung dieses Buches, das gewöhnlich als Heines beste Leistung gilt,
ist allgemein bekannt. Im Jahre 1832 veröffentlichte er in dem französischen
Journal I/Luropö littörsire eine Reihe von acht Aufsätzen über zeitgenössische
deutsche Litteratur, die er sofort auch in deutscher Sprache unter dem Titel
"Zur Geschichte der neuern schönen Litteratur in Deutschland" in Paris er¬
scheinen ließ. Die Eile, mit der er das Buch drucken und nach Deutschland
schicken ließ, erklärt sich aus einem Briefe an Heinrich Laube, worin er sagt:
"Es war nötig, nach Goethes Tode dem deutschen Publikum eine litterarische
Abrechnung zu schicken. Fängt jetzt eine neue Litteratur an, so ist dies Büch¬
lein zugleich ihr Programm, und ich, mehr als jeder andre, mußte wohl der¬
gleichen geben." Auch wenn man der grenzenlosen Eitelkeit Heines die größten
Zugeständnisse macht, läßt sich doch schwer begreifen, wie er das flache Schriftchen,
das jetzt der erste Teil der "Romantischen Schule" ist, für ein litterarisches
Zukunftsprogramm halten konnte. Die Erklärung für diese Selbsttäuschung
ist freilich nicht weit zu suchen. Während die Artikel in der französischen
Zeitschrift veröffentlicht wurden, war Goethe gestorben, und nun schien für
Heine der Zeitpunkt gekommen, wo er glaubte, selbst den leeren Thron der
deutschen Litteratur besteigen zu können, zu dem er bisher neidisch ausgesehen
hatte. Er glaubte, wie der Brief an Laube zeigt, die Thronbesteigung damit
vollzieh" zu tonnen, daß er ein litterarisches Programm erlasse. Dieses Pro¬
gramm aber sollte die Stelle von Menzels Buch einnehmen, das bisher als
Programm der neuen Litteraturbewegung gegolten hatte. Und so geschah es.
daß Heine eine Reihe von Zeitschriftartikeln über zeitgenössische deutsche Litte¬
ratur, die er als eine Nachahmung von Menzels Buch geschrieben hatte, für
ein neues litterarisches Programm ausgeben wollte.

Daß Heine das Menzelsche Buch als Muster vorschwebte, findet der fein¬
hörige Leser, sobald er nur wenige Seiten in beiden Büchern überschaut hat.
Die Ähnlichkeit im Stil ist in manchen Teilen der beiden Schriften so groß,
daß ganze Stellen von einem Buch in das andre übertragen werden könnten,
ohne aufzufallen. Die Wirkung des Menzelschen Stils beruht nicht zum
wenigsten auf der Subjektivität der Darstellungsweise und auf einem Witz, wie


Heines Verhältnis zu Molfgang Menzel

habe in der Rezension der Menzelschen Litteratur nur Formelles besprochen.
Von ihrem positiven Wesen , von der Innerlichkeit des Autors, z. B. von
seiner Feindschaft gegen die Zeit war nicht die Rede. Diesen Teil der Re¬
zension werde ich nachliefern, und Sie werden eine bessere Meinung von meinem
Verständnis Ihrer Werke bekommen."

Es kann nach meiner Meinung kaum einem Zweifel unterliegen, daß
Heines Abwendung von den litterarischen Prinzipien der Romantik mit seinem
Studium von Menzels „Deutscher Litteratur" beginnt. Ja noch mehr. Ich
hoffe im folgenden zu zeigen, daß Menzels Buch das Vorbild wurde, das
Heine in seiner „Romantischen Schule" nachahmte und teilweise aufschrieb.
Die Entstehung dieses Buches, das gewöhnlich als Heines beste Leistung gilt,
ist allgemein bekannt. Im Jahre 1832 veröffentlichte er in dem französischen
Journal I/Luropö littörsire eine Reihe von acht Aufsätzen über zeitgenössische
deutsche Litteratur, die er sofort auch in deutscher Sprache unter dem Titel
„Zur Geschichte der neuern schönen Litteratur in Deutschland" in Paris er¬
scheinen ließ. Die Eile, mit der er das Buch drucken und nach Deutschland
schicken ließ, erklärt sich aus einem Briefe an Heinrich Laube, worin er sagt:
„Es war nötig, nach Goethes Tode dem deutschen Publikum eine litterarische
Abrechnung zu schicken. Fängt jetzt eine neue Litteratur an, so ist dies Büch¬
lein zugleich ihr Programm, und ich, mehr als jeder andre, mußte wohl der¬
gleichen geben." Auch wenn man der grenzenlosen Eitelkeit Heines die größten
Zugeständnisse macht, läßt sich doch schwer begreifen, wie er das flache Schriftchen,
das jetzt der erste Teil der „Romantischen Schule" ist, für ein litterarisches
Zukunftsprogramm halten konnte. Die Erklärung für diese Selbsttäuschung
ist freilich nicht weit zu suchen. Während die Artikel in der französischen
Zeitschrift veröffentlicht wurden, war Goethe gestorben, und nun schien für
Heine der Zeitpunkt gekommen, wo er glaubte, selbst den leeren Thron der
deutschen Litteratur besteigen zu können, zu dem er bisher neidisch ausgesehen
hatte. Er glaubte, wie der Brief an Laube zeigt, die Thronbesteigung damit
vollzieh» zu tonnen, daß er ein litterarisches Programm erlasse. Dieses Pro¬
gramm aber sollte die Stelle von Menzels Buch einnehmen, das bisher als
Programm der neuen Litteraturbewegung gegolten hatte. Und so geschah es.
daß Heine eine Reihe von Zeitschriftartikeln über zeitgenössische deutsche Litte¬
ratur, die er als eine Nachahmung von Menzels Buch geschrieben hatte, für
ein neues litterarisches Programm ausgeben wollte.

Daß Heine das Menzelsche Buch als Muster vorschwebte, findet der fein¬
hörige Leser, sobald er nur wenige Seiten in beiden Büchern überschaut hat.
Die Ähnlichkeit im Stil ist in manchen Teilen der beiden Schriften so groß,
daß ganze Stellen von einem Buch in das andre übertragen werden könnten,
ohne aufzufallen. Die Wirkung des Menzelschen Stils beruht nicht zum
wenigsten auf der Subjektivität der Darstellungsweise und auf einem Witz, wie


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[0707] Heines Verhältnis zu Molfgang Menzel habe in der Rezension der Menzelschen Litteratur nur Formelles besprochen. Von ihrem positiven Wesen , von der Innerlichkeit des Autors, z. B. von seiner Feindschaft gegen die Zeit war nicht die Rede. Diesen Teil der Re¬ zension werde ich nachliefern, und Sie werden eine bessere Meinung von meinem Verständnis Ihrer Werke bekommen." Es kann nach meiner Meinung kaum einem Zweifel unterliegen, daß Heines Abwendung von den litterarischen Prinzipien der Romantik mit seinem Studium von Menzels „Deutscher Litteratur" beginnt. Ja noch mehr. Ich hoffe im folgenden zu zeigen, daß Menzels Buch das Vorbild wurde, das Heine in seiner „Romantischen Schule" nachahmte und teilweise aufschrieb. Die Entstehung dieses Buches, das gewöhnlich als Heines beste Leistung gilt, ist allgemein bekannt. Im Jahre 1832 veröffentlichte er in dem französischen Journal I/Luropö littörsire eine Reihe von acht Aufsätzen über zeitgenössische deutsche Litteratur, die er sofort auch in deutscher Sprache unter dem Titel „Zur Geschichte der neuern schönen Litteratur in Deutschland" in Paris er¬ scheinen ließ. Die Eile, mit der er das Buch drucken und nach Deutschland schicken ließ, erklärt sich aus einem Briefe an Heinrich Laube, worin er sagt: „Es war nötig, nach Goethes Tode dem deutschen Publikum eine litterarische Abrechnung zu schicken. Fängt jetzt eine neue Litteratur an, so ist dies Büch¬ lein zugleich ihr Programm, und ich, mehr als jeder andre, mußte wohl der¬ gleichen geben." Auch wenn man der grenzenlosen Eitelkeit Heines die größten Zugeständnisse macht, läßt sich doch schwer begreifen, wie er das flache Schriftchen, das jetzt der erste Teil der „Romantischen Schule" ist, für ein litterarisches Zukunftsprogramm halten konnte. Die Erklärung für diese Selbsttäuschung ist freilich nicht weit zu suchen. Während die Artikel in der französischen Zeitschrift veröffentlicht wurden, war Goethe gestorben, und nun schien für Heine der Zeitpunkt gekommen, wo er glaubte, selbst den leeren Thron der deutschen Litteratur besteigen zu können, zu dem er bisher neidisch ausgesehen hatte. Er glaubte, wie der Brief an Laube zeigt, die Thronbesteigung damit vollzieh» zu tonnen, daß er ein litterarisches Programm erlasse. Dieses Pro¬ gramm aber sollte die Stelle von Menzels Buch einnehmen, das bisher als Programm der neuen Litteraturbewegung gegolten hatte. Und so geschah es. daß Heine eine Reihe von Zeitschriftartikeln über zeitgenössische deutsche Litte¬ ratur, die er als eine Nachahmung von Menzels Buch geschrieben hatte, für ein neues litterarisches Programm ausgeben wollte. Daß Heine das Menzelsche Buch als Muster vorschwebte, findet der fein¬ hörige Leser, sobald er nur wenige Seiten in beiden Büchern überschaut hat. Die Ähnlichkeit im Stil ist in manchen Teilen der beiden Schriften so groß, daß ganze Stellen von einem Buch in das andre übertragen werden könnten, ohne aufzufallen. Die Wirkung des Menzelschen Stils beruht nicht zum wenigsten auf der Subjektivität der Darstellungsweise und auf einem Witz, wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/707>, abgerufen am 28.09.2024.