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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Heines Verhältnis zu Wolfgang Menzel

Recht widerfahren, als echter Dramatiker behandelt er keine der kämpfenden
Parteien mit allzu besondrer Vorliebe, und wenn wir etwas vermissen, so ist
es nur der Chorus, der die letzte Bedeutung des Kampfes ruhig ausspricht.
Diesen Chorus aber konnte uns Herr Menzel nicht geben wegen des einfachen
Umstands, daß er uoch nicht das Ende dieses Jahrhunderts erlebt hat. Aus
demselben Grunde erkannten wir bei einem Buche aus einer frühern Periode,
dem Schlegelschen, weit leichter den eigentlichen Mittelpunkt als bei einem
Buche der jetzigen (!) Gegenwart. Nur so viel sehen wir, der Mittelpunkt des
Menzelschen Buches ist nicht mehr die Idee der Kunst (d. h. der Goethische
Standpunkt), Menzel sucht viel eher das Verhältnis des Lebens zu den Büchern
aufzufassen."

Es ist der Gedanke einer größern Einheit von Leben und Litteratur, den
Heine vou Menzel übernimmt. Ein Blick auf Heines kritische Auslassungen
vor und nach seiner Bekanntschaft mit Menzels Buch wird die Wahrheit meiner
Behauptung darthun.

Wir haben vom jungen Heine eine Anzahl von Rezensionen, die, wie
Goethes Rezensionen in den Frankfurter Gelehrten Anzeigen und Schillers
erste kritische Versuche, von größtem Werte sind für das Studium des werdenden
Dichters, indem sie zeigen, wie Theorie und Praxis bei jedem Dichter unzer¬
trennlich zusammengehn. Aus Heines kritischen Versuchen, die bis zum Jahre
1820 zurückreichen, läßt sich sehen, wie er, bis zu seiner Bekanntschaft mit
Menzels Buch, gänzlich von den ästhetischen Theorien seines Lehrers August
W. Schlegel abhing. Ja, "die Idee der Kunst, zugleich der Mittelpunkt jener
ganzen Litteraturperiode, die mit dem Erscheinen Goethes anfängt," war auch
die Grundidee von Heines litterarischer Thätigkeit gewesen, bis er von Menzel,
dessen Goethehaß er damals völlig teilte, belehrt wurde, daß "die Idee der
Kunst erst jetzt ihr Ende erreicht habe." In einer Besprechung der Tragödie
"Struensee" von Michael Beer macht Heine denn auch gleich von Menzels
Gedanken Gebrauch, indem er das "feine Gefühl" des Verfassers preist, "das
ihn immer auf das Prinzip der Hauptstreitfragen unsrer Zeit hinleitet." Neun
Jahre später freilich suchte Heine den Einfluß Menzels auf seine eignen An¬
sichten zu verdecken, ja er ging so weit, seine Rezension von Menzels Buch
lächerlich zu machen. In dem Pamphlet "Vom Denunzianten," einer der ge¬
meinsten und ekelhaftesten Schandschriften in deutscher Sprache, sagt er von
dieser Rezension: "Ich war damals ein kleiner Junge, und mein größter Spaß
bestand darin, daß ich Flöhe unter ein Mikroskop setzte und die Größe der¬
selben den Leuten demonstrierte." Welche boshafte Verdrehung der Wahrheit
dies ist, geht aus folgender Stelle eines Briefes hervor, den Heine im Jahre
1828, kurz nach Veröffentlichung der Rezension an Menzel schrieb: "Eine
größere Beleidigung ist es, wenn man von einem bedeutenden Geiste nur ein
Stückchen auffaßt. Dies ließ ich mir gegen Sie zu Schulden kommen. Ich


Heines Verhältnis zu Wolfgang Menzel

Recht widerfahren, als echter Dramatiker behandelt er keine der kämpfenden
Parteien mit allzu besondrer Vorliebe, und wenn wir etwas vermissen, so ist
es nur der Chorus, der die letzte Bedeutung des Kampfes ruhig ausspricht.
Diesen Chorus aber konnte uns Herr Menzel nicht geben wegen des einfachen
Umstands, daß er uoch nicht das Ende dieses Jahrhunderts erlebt hat. Aus
demselben Grunde erkannten wir bei einem Buche aus einer frühern Periode,
dem Schlegelschen, weit leichter den eigentlichen Mittelpunkt als bei einem
Buche der jetzigen (!) Gegenwart. Nur so viel sehen wir, der Mittelpunkt des
Menzelschen Buches ist nicht mehr die Idee der Kunst (d. h. der Goethische
Standpunkt), Menzel sucht viel eher das Verhältnis des Lebens zu den Büchern
aufzufassen."

Es ist der Gedanke einer größern Einheit von Leben und Litteratur, den
Heine vou Menzel übernimmt. Ein Blick auf Heines kritische Auslassungen
vor und nach seiner Bekanntschaft mit Menzels Buch wird die Wahrheit meiner
Behauptung darthun.

Wir haben vom jungen Heine eine Anzahl von Rezensionen, die, wie
Goethes Rezensionen in den Frankfurter Gelehrten Anzeigen und Schillers
erste kritische Versuche, von größtem Werte sind für das Studium des werdenden
Dichters, indem sie zeigen, wie Theorie und Praxis bei jedem Dichter unzer¬
trennlich zusammengehn. Aus Heines kritischen Versuchen, die bis zum Jahre
1820 zurückreichen, läßt sich sehen, wie er, bis zu seiner Bekanntschaft mit
Menzels Buch, gänzlich von den ästhetischen Theorien seines Lehrers August
W. Schlegel abhing. Ja, „die Idee der Kunst, zugleich der Mittelpunkt jener
ganzen Litteraturperiode, die mit dem Erscheinen Goethes anfängt," war auch
die Grundidee von Heines litterarischer Thätigkeit gewesen, bis er von Menzel,
dessen Goethehaß er damals völlig teilte, belehrt wurde, daß „die Idee der
Kunst erst jetzt ihr Ende erreicht habe." In einer Besprechung der Tragödie
„Struensee" von Michael Beer macht Heine denn auch gleich von Menzels
Gedanken Gebrauch, indem er das „feine Gefühl" des Verfassers preist, „das
ihn immer auf das Prinzip der Hauptstreitfragen unsrer Zeit hinleitet." Neun
Jahre später freilich suchte Heine den Einfluß Menzels auf seine eignen An¬
sichten zu verdecken, ja er ging so weit, seine Rezension von Menzels Buch
lächerlich zu machen. In dem Pamphlet „Vom Denunzianten," einer der ge¬
meinsten und ekelhaftesten Schandschriften in deutscher Sprache, sagt er von
dieser Rezension: „Ich war damals ein kleiner Junge, und mein größter Spaß
bestand darin, daß ich Flöhe unter ein Mikroskop setzte und die Größe der¬
selben den Leuten demonstrierte." Welche boshafte Verdrehung der Wahrheit
dies ist, geht aus folgender Stelle eines Briefes hervor, den Heine im Jahre
1828, kurz nach Veröffentlichung der Rezension an Menzel schrieb: „Eine
größere Beleidigung ist es, wenn man von einem bedeutenden Geiste nur ein
Stückchen auffaßt. Dies ließ ich mir gegen Sie zu Schulden kommen. Ich


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[0706] Heines Verhältnis zu Wolfgang Menzel Recht widerfahren, als echter Dramatiker behandelt er keine der kämpfenden Parteien mit allzu besondrer Vorliebe, und wenn wir etwas vermissen, so ist es nur der Chorus, der die letzte Bedeutung des Kampfes ruhig ausspricht. Diesen Chorus aber konnte uns Herr Menzel nicht geben wegen des einfachen Umstands, daß er uoch nicht das Ende dieses Jahrhunderts erlebt hat. Aus demselben Grunde erkannten wir bei einem Buche aus einer frühern Periode, dem Schlegelschen, weit leichter den eigentlichen Mittelpunkt als bei einem Buche der jetzigen (!) Gegenwart. Nur so viel sehen wir, der Mittelpunkt des Menzelschen Buches ist nicht mehr die Idee der Kunst (d. h. der Goethische Standpunkt), Menzel sucht viel eher das Verhältnis des Lebens zu den Büchern aufzufassen." Es ist der Gedanke einer größern Einheit von Leben und Litteratur, den Heine vou Menzel übernimmt. Ein Blick auf Heines kritische Auslassungen vor und nach seiner Bekanntschaft mit Menzels Buch wird die Wahrheit meiner Behauptung darthun. Wir haben vom jungen Heine eine Anzahl von Rezensionen, die, wie Goethes Rezensionen in den Frankfurter Gelehrten Anzeigen und Schillers erste kritische Versuche, von größtem Werte sind für das Studium des werdenden Dichters, indem sie zeigen, wie Theorie und Praxis bei jedem Dichter unzer¬ trennlich zusammengehn. Aus Heines kritischen Versuchen, die bis zum Jahre 1820 zurückreichen, läßt sich sehen, wie er, bis zu seiner Bekanntschaft mit Menzels Buch, gänzlich von den ästhetischen Theorien seines Lehrers August W. Schlegel abhing. Ja, „die Idee der Kunst, zugleich der Mittelpunkt jener ganzen Litteraturperiode, die mit dem Erscheinen Goethes anfängt," war auch die Grundidee von Heines litterarischer Thätigkeit gewesen, bis er von Menzel, dessen Goethehaß er damals völlig teilte, belehrt wurde, daß „die Idee der Kunst erst jetzt ihr Ende erreicht habe." In einer Besprechung der Tragödie „Struensee" von Michael Beer macht Heine denn auch gleich von Menzels Gedanken Gebrauch, indem er das „feine Gefühl" des Verfassers preist, „das ihn immer auf das Prinzip der Hauptstreitfragen unsrer Zeit hinleitet." Neun Jahre später freilich suchte Heine den Einfluß Menzels auf seine eignen An¬ sichten zu verdecken, ja er ging so weit, seine Rezension von Menzels Buch lächerlich zu machen. In dem Pamphlet „Vom Denunzianten," einer der ge¬ meinsten und ekelhaftesten Schandschriften in deutscher Sprache, sagt er von dieser Rezension: „Ich war damals ein kleiner Junge, und mein größter Spaß bestand darin, daß ich Flöhe unter ein Mikroskop setzte und die Größe der¬ selben den Leuten demonstrierte." Welche boshafte Verdrehung der Wahrheit dies ist, geht aus folgender Stelle eines Briefes hervor, den Heine im Jahre 1828, kurz nach Veröffentlichung der Rezension an Menzel schrieb: „Eine größere Beleidigung ist es, wenn man von einem bedeutenden Geiste nur ein Stückchen auffaßt. Dies ließ ich mir gegen Sie zu Schulden kommen. Ich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/706>, abgerufen am 28.09.2024.