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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Heines Verhältnis zu Wolfgang Menzel

in der Hitze des Kampfes formte und wohl auch verzerrte. Denn wer möchte
behaupten, daß in großen litterarischen Kämpfen das Recht ausschließlich auf
der einen und das Unrecht auf der andern Seite gewesen sei? Und doch,
wie lange erschien uns nicht Gottsched so, wie Lessing ihn gesehen hatte; und
Nicolais Bild ist vielen heute noch dasselbe, das Herder, Goethe und Schiller
in ihren Schriften entwerfen. Erst in unserm Jahrhundert haben wir gelernt,
auch einem Gottsched und einem Nicolai die Stelle anzuweisen, die ihnen in
der Geschichte der deutschen Litteratur zukommt.

Es ist die Pflicht einer unparteiischen Litteraturgeschichte, auch Wolfgang
Menzel in ähnlicher Weise Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, von dem wir
in den landläufigen Litteraturgeschichtsbüchern nur das Zerrbild haben, das
die Bosheit und der Hohn Heines, Börnes und der übrigen Jungdeutschen
von ihm machten. Ich spreche hier nicht von dem alten Menzel, den die
wütenden Angriffe seiner Feinde in Extreme trieben, die ich nicht verteidigen
möchte; ich meine vielmehr den jungen Menzel, in dem wir den ursprünglichen
Führer derselben Gruppe von jungen Schriftstellern zu sehen haben, die ihn
später mit Schimpf und Spott überhäufte. Denn es war Menzel, der in
seinem Buche "Die deutsche Litteratur" (1828) aller Unzufriedenheit und Sehn¬
sucht, die in den jungen Geistern jener Tage gärte, den ersten Ausdruck gab.
Angeekelt von den politischen Zuständen des Vaterlands, zurückgestoßen von
den unwahr-phantastischen Scheinprodukten der Romantik und unzufrieden mit
den quictistischen Kunstidealen des alten Goethe, dürstete damals die deutsche
Jugend nach wirklichem Leben und forderte dies für die Litteratur. Auf dieses
geheime Verlangen und bewußte Streben mußte Menzels Buch wie ein litte¬
rarisches Zukunftsprogramm wirken.

Prölß macht in seinem Werke "Das junge Deutschland" den Versuch,
Börne die eigentliche Führerschaft zuzuschreiben. Zu diesem Zwecke weist
Prölß auf Börnes Aufsatz "Leben und Wissenschaft" aus dem Jahre 1808
und führt zum weitern Beweis mehrere Stellen aus Briefen an, die Börne
an Cotta richtete, und in denen er vom Plane eines Journals spricht, das zum
Organ der neuen Ideen werden solle. Aber der angeführte Aufsatz von Börne
enthält nur Gemeinplätze, die sich von ähnlichen Ergüssen seiner Zeit kaum
unterscheiden, und die zitierten Briefe an Cotta blieben unglücklicherweise im
Archiv des Cottaschen Verlags liegen, bis Prölß sie daraus ans Licht brachte.
Daß Börne selbst von solcher Führerschaft nichts träumte, sondern auf Menzel
als den "kommenden Mann" sah, dafür bringt Heine in seiner Schrift über
Börne ein unfreiwilliges Zeugnis bei, indem er erzählt: "Das Werk von
Menzel war eben erschienen, und Börne freute sich kindisch, daß jemand ge¬
kommen sei, der den Mut zeige, so rücksichtslos gegen Goethe aufzutreten.
Der Respekt, setzte er naiv hinzu, hat mich immer davon abgehalten, der¬
gleichen öffentlich auszusprechen. Der Menzel, der hat Mut, der ist ein ehr-


Heines Verhältnis zu Wolfgang Menzel

in der Hitze des Kampfes formte und wohl auch verzerrte. Denn wer möchte
behaupten, daß in großen litterarischen Kämpfen das Recht ausschließlich auf
der einen und das Unrecht auf der andern Seite gewesen sei? Und doch,
wie lange erschien uns nicht Gottsched so, wie Lessing ihn gesehen hatte; und
Nicolais Bild ist vielen heute noch dasselbe, das Herder, Goethe und Schiller
in ihren Schriften entwerfen. Erst in unserm Jahrhundert haben wir gelernt,
auch einem Gottsched und einem Nicolai die Stelle anzuweisen, die ihnen in
der Geschichte der deutschen Litteratur zukommt.

Es ist die Pflicht einer unparteiischen Litteraturgeschichte, auch Wolfgang
Menzel in ähnlicher Weise Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, von dem wir
in den landläufigen Litteraturgeschichtsbüchern nur das Zerrbild haben, das
die Bosheit und der Hohn Heines, Börnes und der übrigen Jungdeutschen
von ihm machten. Ich spreche hier nicht von dem alten Menzel, den die
wütenden Angriffe seiner Feinde in Extreme trieben, die ich nicht verteidigen
möchte; ich meine vielmehr den jungen Menzel, in dem wir den ursprünglichen
Führer derselben Gruppe von jungen Schriftstellern zu sehen haben, die ihn
später mit Schimpf und Spott überhäufte. Denn es war Menzel, der in
seinem Buche „Die deutsche Litteratur" (1828) aller Unzufriedenheit und Sehn¬
sucht, die in den jungen Geistern jener Tage gärte, den ersten Ausdruck gab.
Angeekelt von den politischen Zuständen des Vaterlands, zurückgestoßen von
den unwahr-phantastischen Scheinprodukten der Romantik und unzufrieden mit
den quictistischen Kunstidealen des alten Goethe, dürstete damals die deutsche
Jugend nach wirklichem Leben und forderte dies für die Litteratur. Auf dieses
geheime Verlangen und bewußte Streben mußte Menzels Buch wie ein litte¬
rarisches Zukunftsprogramm wirken.

Prölß macht in seinem Werke „Das junge Deutschland" den Versuch,
Börne die eigentliche Führerschaft zuzuschreiben. Zu diesem Zwecke weist
Prölß auf Börnes Aufsatz „Leben und Wissenschaft" aus dem Jahre 1808
und führt zum weitern Beweis mehrere Stellen aus Briefen an, die Börne
an Cotta richtete, und in denen er vom Plane eines Journals spricht, das zum
Organ der neuen Ideen werden solle. Aber der angeführte Aufsatz von Börne
enthält nur Gemeinplätze, die sich von ähnlichen Ergüssen seiner Zeit kaum
unterscheiden, und die zitierten Briefe an Cotta blieben unglücklicherweise im
Archiv des Cottaschen Verlags liegen, bis Prölß sie daraus ans Licht brachte.
Daß Börne selbst von solcher Führerschaft nichts träumte, sondern auf Menzel
als den „kommenden Mann" sah, dafür bringt Heine in seiner Schrift über
Börne ein unfreiwilliges Zeugnis bei, indem er erzählt: „Das Werk von
Menzel war eben erschienen, und Börne freute sich kindisch, daß jemand ge¬
kommen sei, der den Mut zeige, so rücksichtslos gegen Goethe aufzutreten.
Der Respekt, setzte er naiv hinzu, hat mich immer davon abgehalten, der¬
gleichen öffentlich auszusprechen. Der Menzel, der hat Mut, der ist ein ehr-


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[0703] Heines Verhältnis zu Wolfgang Menzel in der Hitze des Kampfes formte und wohl auch verzerrte. Denn wer möchte behaupten, daß in großen litterarischen Kämpfen das Recht ausschließlich auf der einen und das Unrecht auf der andern Seite gewesen sei? Und doch, wie lange erschien uns nicht Gottsched so, wie Lessing ihn gesehen hatte; und Nicolais Bild ist vielen heute noch dasselbe, das Herder, Goethe und Schiller in ihren Schriften entwerfen. Erst in unserm Jahrhundert haben wir gelernt, auch einem Gottsched und einem Nicolai die Stelle anzuweisen, die ihnen in der Geschichte der deutschen Litteratur zukommt. Es ist die Pflicht einer unparteiischen Litteraturgeschichte, auch Wolfgang Menzel in ähnlicher Weise Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, von dem wir in den landläufigen Litteraturgeschichtsbüchern nur das Zerrbild haben, das die Bosheit und der Hohn Heines, Börnes und der übrigen Jungdeutschen von ihm machten. Ich spreche hier nicht von dem alten Menzel, den die wütenden Angriffe seiner Feinde in Extreme trieben, die ich nicht verteidigen möchte; ich meine vielmehr den jungen Menzel, in dem wir den ursprünglichen Führer derselben Gruppe von jungen Schriftstellern zu sehen haben, die ihn später mit Schimpf und Spott überhäufte. Denn es war Menzel, der in seinem Buche „Die deutsche Litteratur" (1828) aller Unzufriedenheit und Sehn¬ sucht, die in den jungen Geistern jener Tage gärte, den ersten Ausdruck gab. Angeekelt von den politischen Zuständen des Vaterlands, zurückgestoßen von den unwahr-phantastischen Scheinprodukten der Romantik und unzufrieden mit den quictistischen Kunstidealen des alten Goethe, dürstete damals die deutsche Jugend nach wirklichem Leben und forderte dies für die Litteratur. Auf dieses geheime Verlangen und bewußte Streben mußte Menzels Buch wie ein litte¬ rarisches Zukunftsprogramm wirken. Prölß macht in seinem Werke „Das junge Deutschland" den Versuch, Börne die eigentliche Führerschaft zuzuschreiben. Zu diesem Zwecke weist Prölß auf Börnes Aufsatz „Leben und Wissenschaft" aus dem Jahre 1808 und führt zum weitern Beweis mehrere Stellen aus Briefen an, die Börne an Cotta richtete, und in denen er vom Plane eines Journals spricht, das zum Organ der neuen Ideen werden solle. Aber der angeführte Aufsatz von Börne enthält nur Gemeinplätze, die sich von ähnlichen Ergüssen seiner Zeit kaum unterscheiden, und die zitierten Briefe an Cotta blieben unglücklicherweise im Archiv des Cottaschen Verlags liegen, bis Prölß sie daraus ans Licht brachte. Daß Börne selbst von solcher Führerschaft nichts träumte, sondern auf Menzel als den „kommenden Mann" sah, dafür bringt Heine in seiner Schrift über Börne ein unfreiwilliges Zeugnis bei, indem er erzählt: „Das Werk von Menzel war eben erschienen, und Börne freute sich kindisch, daß jemand ge¬ kommen sei, der den Mut zeige, so rücksichtslos gegen Goethe aufzutreten. Der Respekt, setzte er naiv hinzu, hat mich immer davon abgehalten, der¬ gleichen öffentlich auszusprechen. Der Menzel, der hat Mut, der ist ein ehr-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/703>, abgerufen am 28.09.2024.