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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Rousseaus Einfluß auf die französische Revolution

Weise verwirklicht. Alles Eigentum wurde als Staatseigentum betrachtet,
worüber das "Volk" verfügen konnte. Zunächst wurde das Eigentum aller
Korporationen, der litterarischen Vereine, der Akademien usw. konfisziert, es
wurden alle Besitzungen und Kapitalvermögen der Krankenhäuser und Wohl¬
thätigkeitsanstalten eingezogen, ebenso wurde auch das ungeheure Vermögen
der Geistlichkeit und der Klöster von vier Milliarden Grundeigentum und
zweihundert Millionen Jahreseinkünften mit Freuden der Staatskasse einverleibt.
Dann wurden die Leibeigenschaft, die Pachtrechte, die Zehnten, die Fronlasten
ohne Entschädigung aufgehoben. Schließlich durfte auch der Einzelne nicht
mehr frei über sein Vermögen verfügen, er durfte kein Testament machen. Ja
zuletzt nahm jeder Vagabund das Eigentum des Vermögenden in Besitz, um
auch einmal das Leben des Vermögenden zu genießen.

Auch im sozialdemokratischen Zukunftsstaat soll es mir noch Staatseigentum
geben: alles Privateigentum ist aufgehoben, und jeder erhält für seine Arbeit
seinen Lohn vom Staate. Alle Arbeit steht im Dienste des Staates, und
dieser ist der einzige Unternehmer und Handelsherr. Bald ging man in der
Revolution noch weiter. Es wurden alle Vorrechte einzelner Personen oder
einzelner Stände, der Innungen usw., sogar das Recht der Erstgeburt abge¬
schafft. Niemand durfte mehr den Adel, ja nicht einmal einen Titel führen,
geschweige denn ein Wappen haben. Jeder führte nur noch seinen Familien¬
namen, und sogar die Anrede molisiöur war strengstens verpönt, an ihre Stelle
trat die einfache Bezeichnung vite^su. Dann durften die Bäcker nur ein
schwarzes Kleienbrot, "Gleichheitsbrot" genannt, backen. Die Kinder wurden
gemeinsam, in spartanischer Weise erzogen. Sie erhielten dieselbe Nahrung,
Kleidung, Erziehung, denselben Unterricht. Man ging sogar damit um, eine
Nationaltracht einzuführen. Nicht anders wird es auch im sozialdemokratischen
Zukunftsstaate sein, wo gleichfalls alle Kinder gemeinsam und gleich erzogen
und unterrichtet werden, wo alle Standesunterschiede schwinden werden, wo
die Mode fallen wird, wo alle dieselbe Nahrung aus der Genossenschafts¬
küche, alle die gleiche Wohnung, dieselben Vildungsmittel erhalten werden, und
ähnlich den Revolntionshelden lassen auch die Sozialdemokrciten alle Titel
und ehrenden Bezeichnungen weg und nennen sich unter einander nur "Ge¬
nosse." Ja sogar die Nationalität, die in der französischen Revolution noch
blieb, wird schwinden, denn der Sozialdemokrat ist Weltbürger, und die Sozial¬
demokratie ist international. ^

Die allgemeine Freiheit begann in der französischen Revolution damit,
daß die Leibeigenschaft und die Fronlasten aufgehoben wurden, was gewiß
durchaus natürlich und billig war. Aber bald artete die allgemeine Freiheit
in Willkür aus. Niemand wollte mehr gehorchen, da doch alle Menschen nach
Rousseaus Lehre von Natur frei sind. Die Behörden fanden keinen Gehorsam
bei den Unterthanen, alle Dienstverhältnisse lösten sich, selbst die Kinder lehnten


Rousseaus Einfluß auf die französische Revolution

Weise verwirklicht. Alles Eigentum wurde als Staatseigentum betrachtet,
worüber das „Volk" verfügen konnte. Zunächst wurde das Eigentum aller
Korporationen, der litterarischen Vereine, der Akademien usw. konfisziert, es
wurden alle Besitzungen und Kapitalvermögen der Krankenhäuser und Wohl¬
thätigkeitsanstalten eingezogen, ebenso wurde auch das ungeheure Vermögen
der Geistlichkeit und der Klöster von vier Milliarden Grundeigentum und
zweihundert Millionen Jahreseinkünften mit Freuden der Staatskasse einverleibt.
Dann wurden die Leibeigenschaft, die Pachtrechte, die Zehnten, die Fronlasten
ohne Entschädigung aufgehoben. Schließlich durfte auch der Einzelne nicht
mehr frei über sein Vermögen verfügen, er durfte kein Testament machen. Ja
zuletzt nahm jeder Vagabund das Eigentum des Vermögenden in Besitz, um
auch einmal das Leben des Vermögenden zu genießen.

Auch im sozialdemokratischen Zukunftsstaat soll es mir noch Staatseigentum
geben: alles Privateigentum ist aufgehoben, und jeder erhält für seine Arbeit
seinen Lohn vom Staate. Alle Arbeit steht im Dienste des Staates, und
dieser ist der einzige Unternehmer und Handelsherr. Bald ging man in der
Revolution noch weiter. Es wurden alle Vorrechte einzelner Personen oder
einzelner Stände, der Innungen usw., sogar das Recht der Erstgeburt abge¬
schafft. Niemand durfte mehr den Adel, ja nicht einmal einen Titel führen,
geschweige denn ein Wappen haben. Jeder führte nur noch seinen Familien¬
namen, und sogar die Anrede molisiöur war strengstens verpönt, an ihre Stelle
trat die einfache Bezeichnung vite^su. Dann durften die Bäcker nur ein
schwarzes Kleienbrot, „Gleichheitsbrot" genannt, backen. Die Kinder wurden
gemeinsam, in spartanischer Weise erzogen. Sie erhielten dieselbe Nahrung,
Kleidung, Erziehung, denselben Unterricht. Man ging sogar damit um, eine
Nationaltracht einzuführen. Nicht anders wird es auch im sozialdemokratischen
Zukunftsstaate sein, wo gleichfalls alle Kinder gemeinsam und gleich erzogen
und unterrichtet werden, wo alle Standesunterschiede schwinden werden, wo
die Mode fallen wird, wo alle dieselbe Nahrung aus der Genossenschafts¬
küche, alle die gleiche Wohnung, dieselben Vildungsmittel erhalten werden, und
ähnlich den Revolntionshelden lassen auch die Sozialdemokrciten alle Titel
und ehrenden Bezeichnungen weg und nennen sich unter einander nur „Ge¬
nosse." Ja sogar die Nationalität, die in der französischen Revolution noch
blieb, wird schwinden, denn der Sozialdemokrat ist Weltbürger, und die Sozial¬
demokratie ist international. ^

Die allgemeine Freiheit begann in der französischen Revolution damit,
daß die Leibeigenschaft und die Fronlasten aufgehoben wurden, was gewiß
durchaus natürlich und billig war. Aber bald artete die allgemeine Freiheit
in Willkür aus. Niemand wollte mehr gehorchen, da doch alle Menschen nach
Rousseaus Lehre von Natur frei sind. Die Behörden fanden keinen Gehorsam
bei den Unterthanen, alle Dienstverhältnisse lösten sich, selbst die Kinder lehnten


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[0700] Rousseaus Einfluß auf die französische Revolution Weise verwirklicht. Alles Eigentum wurde als Staatseigentum betrachtet, worüber das „Volk" verfügen konnte. Zunächst wurde das Eigentum aller Korporationen, der litterarischen Vereine, der Akademien usw. konfisziert, es wurden alle Besitzungen und Kapitalvermögen der Krankenhäuser und Wohl¬ thätigkeitsanstalten eingezogen, ebenso wurde auch das ungeheure Vermögen der Geistlichkeit und der Klöster von vier Milliarden Grundeigentum und zweihundert Millionen Jahreseinkünften mit Freuden der Staatskasse einverleibt. Dann wurden die Leibeigenschaft, die Pachtrechte, die Zehnten, die Fronlasten ohne Entschädigung aufgehoben. Schließlich durfte auch der Einzelne nicht mehr frei über sein Vermögen verfügen, er durfte kein Testament machen. Ja zuletzt nahm jeder Vagabund das Eigentum des Vermögenden in Besitz, um auch einmal das Leben des Vermögenden zu genießen. Auch im sozialdemokratischen Zukunftsstaat soll es mir noch Staatseigentum geben: alles Privateigentum ist aufgehoben, und jeder erhält für seine Arbeit seinen Lohn vom Staate. Alle Arbeit steht im Dienste des Staates, und dieser ist der einzige Unternehmer und Handelsherr. Bald ging man in der Revolution noch weiter. Es wurden alle Vorrechte einzelner Personen oder einzelner Stände, der Innungen usw., sogar das Recht der Erstgeburt abge¬ schafft. Niemand durfte mehr den Adel, ja nicht einmal einen Titel führen, geschweige denn ein Wappen haben. Jeder führte nur noch seinen Familien¬ namen, und sogar die Anrede molisiöur war strengstens verpönt, an ihre Stelle trat die einfache Bezeichnung vite^su. Dann durften die Bäcker nur ein schwarzes Kleienbrot, „Gleichheitsbrot" genannt, backen. Die Kinder wurden gemeinsam, in spartanischer Weise erzogen. Sie erhielten dieselbe Nahrung, Kleidung, Erziehung, denselben Unterricht. Man ging sogar damit um, eine Nationaltracht einzuführen. Nicht anders wird es auch im sozialdemokratischen Zukunftsstaate sein, wo gleichfalls alle Kinder gemeinsam und gleich erzogen und unterrichtet werden, wo alle Standesunterschiede schwinden werden, wo die Mode fallen wird, wo alle dieselbe Nahrung aus der Genossenschafts¬ küche, alle die gleiche Wohnung, dieselben Vildungsmittel erhalten werden, und ähnlich den Revolntionshelden lassen auch die Sozialdemokrciten alle Titel und ehrenden Bezeichnungen weg und nennen sich unter einander nur „Ge¬ nosse." Ja sogar die Nationalität, die in der französischen Revolution noch blieb, wird schwinden, denn der Sozialdemokrat ist Weltbürger, und die Sozial¬ demokratie ist international. ^ Die allgemeine Freiheit begann in der französischen Revolution damit, daß die Leibeigenschaft und die Fronlasten aufgehoben wurden, was gewiß durchaus natürlich und billig war. Aber bald artete die allgemeine Freiheit in Willkür aus. Niemand wollte mehr gehorchen, da doch alle Menschen nach Rousseaus Lehre von Natur frei sind. Die Behörden fanden keinen Gehorsam bei den Unterthanen, alle Dienstverhältnisse lösten sich, selbst die Kinder lehnten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/700>, abgerufen am 28.09.2024.