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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Zur äußern Lage der Volksschule in Preußen

einem längern Aufsatz über die Kosten der Volksschule in Preußen im Schmoller-
schen Jahrbuch für Gesetzgebung usw. von 1898, Heft 4, Seite 251 ff. ist
dargethan worden, wie die Schule in den deutschen Landen seit den Tagen
der Reformation keineswegs durch die Kirche, sondern von der weltlichen
Obrigkeit ins Leben gerufen worden ist und nichts weniger war oder sein sollte
als ein integrierender Teil der spezifisch kirchlichen Einrichtungen. Die Re¬
formation gab auf dem Gebiete des Bildungswesens manche Anregung, aber
"die Reformatoren, voran Luther, betonten von vornherein, daß es eine heilige
Pflicht der weltlichen Obrigkeit sei, sich des sittlich gesunknen, ungebildeten
und unwissenden hilflosen Volkes anzunehmen und es in ähnlicher Weise und
mit gleicher Berechtigung wie zum Kriegsdienste auch zu der mit weltlichen
Mitteln zu unterhaltenden Schule heranzuziehen." Nachdem die in jenen
Tagen entstandnen Schulen im Dreißigjährigen Kriege wieder zu Grunde ge¬
gangen waren, nahmen sich im siebzehnten Jahrhundert die absoluten Fürsten
von neuem der Volksschule an, in Preußen namentlich der Große Kurfürst
und später Friedrich Wilhelm I. Zwar wurden damals die Schulen an die
Küstereien angeknüpft und die Aussicht den Geistlichen übertragen, aber damit
wurden lediglich von Landeshoheits wegen den Küstern und Geistlichen als
Staatsunterthanen neue Pflichten auferlegt, die mit den kirchlichen Ämtern
als solchen nichts gemein hatten. Die Unterhaltung der Schule wurde den
lokalen Organen: den Städten, den Gutsherren usw. in derselben Weise ge¬
wissermaßen in Selbstverwaltung gegeben, wie die meisten andern Aufgaben,
die der Landesherr der Staatsverwaltung, "dem gemeinsamen Wesen" stellte,
bei dem Mangel unmittelbarer staatlicher, "herrschaftlicher" Lokalbehörden und
bereiter Staatsmittel den lokalen Organen als staatliche Last aufgebürdet
werden mußten.

Es beruht also die Verbindung der Volksschule mit den Gemeinden ledig¬
lich auf zufälligen ünßern Umstünden, nicht aber ans innerer sachlicher Not¬
wendigkeit oder einer besondern sozialpolitischen Absicht und Meinung. Der
schon von den Reformatoren betonte Gedanke von der Gleichartigkeit der Schul-
und Wehrpflicht ist in der That nicht abzuweisen. Und warum sollte es
Staatsaufgabe sein, für den höhern Unterricht zu sorgen und dessen Kosten zu
tragen, aber staatswidrig, die Volksschule zu unterhalten? In immer steigendem
Maße hat denn auch der preußische Staat seine Mittel der Volksschule zu¬
gewandt, wie er von jeher eine strenge Aufsicht geübt und für deu Unterricht
eingehende Vorschriften aufgestellt hat, thatsächlich, wenn auch nicht überall der
Form, so doch durchweg der Sache nach die Lehrer anstellt, kurz im wesentlichen
alleiniger Herr und Gebieter der Schule ist. Die Gemeinden und Schulvor¬
stände haben ja im wesentlichen nur das Recht und die Pflicht, die Unterhal¬
tungskosten aufzubringen, ihr Einfluß auf die innere Einrichtung der Schule,
auf die Erziehung u. a. ist äußerst gering.


Zur äußern Lage der Volksschule in Preußen

einem längern Aufsatz über die Kosten der Volksschule in Preußen im Schmoller-
schen Jahrbuch für Gesetzgebung usw. von 1898, Heft 4, Seite 251 ff. ist
dargethan worden, wie die Schule in den deutschen Landen seit den Tagen
der Reformation keineswegs durch die Kirche, sondern von der weltlichen
Obrigkeit ins Leben gerufen worden ist und nichts weniger war oder sein sollte
als ein integrierender Teil der spezifisch kirchlichen Einrichtungen. Die Re¬
formation gab auf dem Gebiete des Bildungswesens manche Anregung, aber
„die Reformatoren, voran Luther, betonten von vornherein, daß es eine heilige
Pflicht der weltlichen Obrigkeit sei, sich des sittlich gesunknen, ungebildeten
und unwissenden hilflosen Volkes anzunehmen und es in ähnlicher Weise und
mit gleicher Berechtigung wie zum Kriegsdienste auch zu der mit weltlichen
Mitteln zu unterhaltenden Schule heranzuziehen." Nachdem die in jenen
Tagen entstandnen Schulen im Dreißigjährigen Kriege wieder zu Grunde ge¬
gangen waren, nahmen sich im siebzehnten Jahrhundert die absoluten Fürsten
von neuem der Volksschule an, in Preußen namentlich der Große Kurfürst
und später Friedrich Wilhelm I. Zwar wurden damals die Schulen an die
Küstereien angeknüpft und die Aussicht den Geistlichen übertragen, aber damit
wurden lediglich von Landeshoheits wegen den Küstern und Geistlichen als
Staatsunterthanen neue Pflichten auferlegt, die mit den kirchlichen Ämtern
als solchen nichts gemein hatten. Die Unterhaltung der Schule wurde den
lokalen Organen: den Städten, den Gutsherren usw. in derselben Weise ge¬
wissermaßen in Selbstverwaltung gegeben, wie die meisten andern Aufgaben,
die der Landesherr der Staatsverwaltung, „dem gemeinsamen Wesen" stellte,
bei dem Mangel unmittelbarer staatlicher, „herrschaftlicher" Lokalbehörden und
bereiter Staatsmittel den lokalen Organen als staatliche Last aufgebürdet
werden mußten.

Es beruht also die Verbindung der Volksschule mit den Gemeinden ledig¬
lich auf zufälligen ünßern Umstünden, nicht aber ans innerer sachlicher Not¬
wendigkeit oder einer besondern sozialpolitischen Absicht und Meinung. Der
schon von den Reformatoren betonte Gedanke von der Gleichartigkeit der Schul-
und Wehrpflicht ist in der That nicht abzuweisen. Und warum sollte es
Staatsaufgabe sein, für den höhern Unterricht zu sorgen und dessen Kosten zu
tragen, aber staatswidrig, die Volksschule zu unterhalten? In immer steigendem
Maße hat denn auch der preußische Staat seine Mittel der Volksschule zu¬
gewandt, wie er von jeher eine strenge Aufsicht geübt und für deu Unterricht
eingehende Vorschriften aufgestellt hat, thatsächlich, wenn auch nicht überall der
Form, so doch durchweg der Sache nach die Lehrer anstellt, kurz im wesentlichen
alleiniger Herr und Gebieter der Schule ist. Die Gemeinden und Schulvor¬
stände haben ja im wesentlichen nur das Recht und die Pflicht, die Unterhal¬
tungskosten aufzubringen, ihr Einfluß auf die innere Einrichtung der Schule,
auf die Erziehung u. a. ist äußerst gering.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/684>, abgerufen am 28.09.2024.