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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Zur äußern Lage der Volksschule in Preußen

Gesetze den Hochschul- und den höhern Schulunterricht zugleich mit dem Volks-
schulunterricht zu regeln, ist längst ebenso anerkannt wie die Unmöglichkeit,
das Volksschulrecht in einem Gesetze zusammenzufassen, und längst sind einzelne
Angelegenheiten der Volksschule gesetzlich geordnet worden. Die Verfassung
giebt ja zudem selbst die Möglichkeit, Abänderungen ihres materiellen Inhalts
zu treffen, ohne daß ihre formellen Bestimmungen jedesmal aufgehoben werden
müßten. Wie und in welchem Rahmen die Unterhaltungspflicht zu regeln ist,
erscheint danach einfach als Frage der Zweckmäßigkeit. Jedenfalls ist das
klar, daß die Unterhaltungspflicht nur geregelt werden kann ohne nennens¬
werte, besondre Belastung bisher beitragsfreier Rechtssubjekte, daß demnach
die Ungerechtigkeiten in der bisherigen Belastung im wesentlichen nur durch
unmittelbare Heranziehung der Staatskasse beseitigt werden können, daß dann
aber auch der Einfluß des Staats auf die Schule nach einem allgemeinen
Naturgesetz noch weiter verstärkt werden wird. Dagegen erheben sich nun die
Bedenken der Gegner eines Schulunterhaltnngsgesetzes. Sie gründen sich auf
die Artikel 24 und 25 der Verfassung, wonach die Leitung der äußern An¬
gelegenheiten der Volksschule der Gemeinde zustehen soll, und die Mittel zur
Errichtung und Unterhaltung und Erweiterung der Volksschule von den Ge¬
meinden und nur im Falle nachgewiesenen Unvermögens ergänzungsweise
vom Staate aufgebracht werden sollen. Man fürchtet "Staatsomnipotenz,"
man will "die natürlichen Rechte" der Eltern gewahrt wissen und die Staats¬
aufsicht möglichst beschränken und fest begrenzen. Bei der ganzen Frage ist
nun aber das zu bedenken, daß in Preußen die Verfassung nicht die einzige
Quelle des öffentlichen Rechts ist, daß sie vielmehr nur die Verbriefung be¬
stimmter alter und neuer Rechte (der Krone und der Volksvertretung) enthält
und gewisse Gesetze für die Zukunft in Aussicht stellt, deren Grundlinien sich
seiner Zeit noch nicht ziehen ließen, oder deren Bestimmungen sich an den be¬
stehenden Zustand anschließen sollten; daß aber neben der Verfassung und bis
zum Erlaß verheißner neuer Gesetze das bestehende, geschichtlich erwachsene
Recht aufrecht erhalten geblieben ist. Mit Fug und Recht fordert der Staat
demgemäß noch heute äominus nsgotii, Herr der Schule zu sein, wie das All¬
gemeine Landrecht die Schulen für Veranstaltungen des Staats erklärt hat.
Wenn aber die Volksvertretung alljährlich mit der ganzen Wucht ihres Ein¬
flusses über der Schule wacht und sie im Sinne der Berücksichtigung der
natürlichen Rechte der Eltern, der gebührenden Mitwirkung der Kirche, der
Hintanhaltung bürokratischer Über- und Mißgriffe sorgsam beobachtet und
schirmt, so muß das genügen und ebenso gut sei", wie gesetzliche, schwer
sormulierbare Schranken zu errichten, die sich in erregten Zeiten ebenso leicht
beseitigen lassen, wie zur Zeit des Kulturkampfs die Artikel 15, 16 und 18
der Verfassung weggefegt worden sind.

Wie ist nun die geschichtliche Stellung der Volksschule in Preußen? In


Zur äußern Lage der Volksschule in Preußen

Gesetze den Hochschul- und den höhern Schulunterricht zugleich mit dem Volks-
schulunterricht zu regeln, ist längst ebenso anerkannt wie die Unmöglichkeit,
das Volksschulrecht in einem Gesetze zusammenzufassen, und längst sind einzelne
Angelegenheiten der Volksschule gesetzlich geordnet worden. Die Verfassung
giebt ja zudem selbst die Möglichkeit, Abänderungen ihres materiellen Inhalts
zu treffen, ohne daß ihre formellen Bestimmungen jedesmal aufgehoben werden
müßten. Wie und in welchem Rahmen die Unterhaltungspflicht zu regeln ist,
erscheint danach einfach als Frage der Zweckmäßigkeit. Jedenfalls ist das
klar, daß die Unterhaltungspflicht nur geregelt werden kann ohne nennens¬
werte, besondre Belastung bisher beitragsfreier Rechtssubjekte, daß demnach
die Ungerechtigkeiten in der bisherigen Belastung im wesentlichen nur durch
unmittelbare Heranziehung der Staatskasse beseitigt werden können, daß dann
aber auch der Einfluß des Staats auf die Schule nach einem allgemeinen
Naturgesetz noch weiter verstärkt werden wird. Dagegen erheben sich nun die
Bedenken der Gegner eines Schulunterhaltnngsgesetzes. Sie gründen sich auf
die Artikel 24 und 25 der Verfassung, wonach die Leitung der äußern An¬
gelegenheiten der Volksschule der Gemeinde zustehen soll, und die Mittel zur
Errichtung und Unterhaltung und Erweiterung der Volksschule von den Ge¬
meinden und nur im Falle nachgewiesenen Unvermögens ergänzungsweise
vom Staate aufgebracht werden sollen. Man fürchtet „Staatsomnipotenz,"
man will „die natürlichen Rechte" der Eltern gewahrt wissen und die Staats¬
aufsicht möglichst beschränken und fest begrenzen. Bei der ganzen Frage ist
nun aber das zu bedenken, daß in Preußen die Verfassung nicht die einzige
Quelle des öffentlichen Rechts ist, daß sie vielmehr nur die Verbriefung be¬
stimmter alter und neuer Rechte (der Krone und der Volksvertretung) enthält
und gewisse Gesetze für die Zukunft in Aussicht stellt, deren Grundlinien sich
seiner Zeit noch nicht ziehen ließen, oder deren Bestimmungen sich an den be¬
stehenden Zustand anschließen sollten; daß aber neben der Verfassung und bis
zum Erlaß verheißner neuer Gesetze das bestehende, geschichtlich erwachsene
Recht aufrecht erhalten geblieben ist. Mit Fug und Recht fordert der Staat
demgemäß noch heute äominus nsgotii, Herr der Schule zu sein, wie das All¬
gemeine Landrecht die Schulen für Veranstaltungen des Staats erklärt hat.
Wenn aber die Volksvertretung alljährlich mit der ganzen Wucht ihres Ein¬
flusses über der Schule wacht und sie im Sinne der Berücksichtigung der
natürlichen Rechte der Eltern, der gebührenden Mitwirkung der Kirche, der
Hintanhaltung bürokratischer Über- und Mißgriffe sorgsam beobachtet und
schirmt, so muß das genügen und ebenso gut sei«, wie gesetzliche, schwer
sormulierbare Schranken zu errichten, die sich in erregten Zeiten ebenso leicht
beseitigen lassen, wie zur Zeit des Kulturkampfs die Artikel 15, 16 und 18
der Verfassung weggefegt worden sind.

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[0683] Zur äußern Lage der Volksschule in Preußen Gesetze den Hochschul- und den höhern Schulunterricht zugleich mit dem Volks- schulunterricht zu regeln, ist längst ebenso anerkannt wie die Unmöglichkeit, das Volksschulrecht in einem Gesetze zusammenzufassen, und längst sind einzelne Angelegenheiten der Volksschule gesetzlich geordnet worden. Die Verfassung giebt ja zudem selbst die Möglichkeit, Abänderungen ihres materiellen Inhalts zu treffen, ohne daß ihre formellen Bestimmungen jedesmal aufgehoben werden müßten. Wie und in welchem Rahmen die Unterhaltungspflicht zu regeln ist, erscheint danach einfach als Frage der Zweckmäßigkeit. Jedenfalls ist das klar, daß die Unterhaltungspflicht nur geregelt werden kann ohne nennens¬ werte, besondre Belastung bisher beitragsfreier Rechtssubjekte, daß demnach die Ungerechtigkeiten in der bisherigen Belastung im wesentlichen nur durch unmittelbare Heranziehung der Staatskasse beseitigt werden können, daß dann aber auch der Einfluß des Staats auf die Schule nach einem allgemeinen Naturgesetz noch weiter verstärkt werden wird. Dagegen erheben sich nun die Bedenken der Gegner eines Schulunterhaltnngsgesetzes. Sie gründen sich auf die Artikel 24 und 25 der Verfassung, wonach die Leitung der äußern An¬ gelegenheiten der Volksschule der Gemeinde zustehen soll, und die Mittel zur Errichtung und Unterhaltung und Erweiterung der Volksschule von den Ge¬ meinden und nur im Falle nachgewiesenen Unvermögens ergänzungsweise vom Staate aufgebracht werden sollen. Man fürchtet „Staatsomnipotenz," man will „die natürlichen Rechte" der Eltern gewahrt wissen und die Staats¬ aufsicht möglichst beschränken und fest begrenzen. Bei der ganzen Frage ist nun aber das zu bedenken, daß in Preußen die Verfassung nicht die einzige Quelle des öffentlichen Rechts ist, daß sie vielmehr nur die Verbriefung be¬ stimmter alter und neuer Rechte (der Krone und der Volksvertretung) enthält und gewisse Gesetze für die Zukunft in Aussicht stellt, deren Grundlinien sich seiner Zeit noch nicht ziehen ließen, oder deren Bestimmungen sich an den be¬ stehenden Zustand anschließen sollten; daß aber neben der Verfassung und bis zum Erlaß verheißner neuer Gesetze das bestehende, geschichtlich erwachsene Recht aufrecht erhalten geblieben ist. Mit Fug und Recht fordert der Staat demgemäß noch heute äominus nsgotii, Herr der Schule zu sein, wie das All¬ gemeine Landrecht die Schulen für Veranstaltungen des Staats erklärt hat. Wenn aber die Volksvertretung alljährlich mit der ganzen Wucht ihres Ein¬ flusses über der Schule wacht und sie im Sinne der Berücksichtigung der natürlichen Rechte der Eltern, der gebührenden Mitwirkung der Kirche, der Hintanhaltung bürokratischer Über- und Mißgriffe sorgsam beobachtet und schirmt, so muß das genügen und ebenso gut sei«, wie gesetzliche, schwer sormulierbare Schranken zu errichten, die sich in erregten Zeiten ebenso leicht beseitigen lassen, wie zur Zeit des Kulturkampfs die Artikel 15, 16 und 18 der Verfassung weggefegt worden sind. Wie ist nun die geschichtliche Stellung der Volksschule in Preußen? In

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/683>, abgerufen am 28.09.2024.