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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Zur äußern Lage der Volksschule in Preußen

genannten Hausväter, im übrigen die politischen Gemeinden ihre Volksschulen
zu unterhalten, und nur bei nachgewiesenen Unvermögen tritt der Staat
helfend ein; so war es bis zur Verfassungsurkunde von 1850, so will es
diese. Erst in der neuern Zeit hat sich der Staat herbeigelassen, zu den
Lehrerbesoldungen bestimmte, gesetzlich festgelegte Beiträge zu gewähren, ebenso
zu den Ruhegehalten usw., ohne aber dadurch den Schulunterhaltungspflichtigen
eine fühlbare Erleichterung geschafft zu haben. Denn Hand in Hand mit
diesen Staatsleistungen ging die Aufhebung des Schulgeldes und die Erhöhung
der Lehrerbesoldungen. Der Rechtszustand, der in der Hauptsache auf dem
Allgemeinen Landrechte beruht, war in früherer Zeit erträglich, so lange im
großen und ganzen die Verhältnisse der einzelnen Schulen jahrzehntelang
gleich waren, wo die Gemeinden in ihren Schulen die in ihren Grenzen ge-
bornen Kinder sahen, die auch später in der Gemeinde blieben. Seit der
Einführung der Freizügigkeit, der Lockerung der Seßhaftigkeit der Landbewohner,
seit der modernen Entwicklung des Verkehrs, dem Aufschwung der Industrie usw.
ist eine Beweglichkeit in die Verhältnisse der Schulverbände gekommen,
die jeder Voraussicht spottet: es braucht ja z. B. nur in einer Nachbar¬
gemeinde eine große Fabrik zu entstehen, so siedeln sich häufig in einer Ge¬
meinde zahlreiche jüngere Familien an, deren Kinderreichtum die Schule auf
das Vielfache der Kinder-, der Klassen- und Lehrerzahl bringt, ohne die Steuer¬
kraft irgend zu verstärken; ohne daß der Fabrikherr, der das Zuströmen der
Kinder veranlaßt hat, der den Vorteil des Arbeiterzuzugs hat, irgend einen
Beitrag an die belastete Gemeinde zu zahlen hat. Da ist es natürlich, daß
jede Verbesserung der Schuleinrichtungen den größten Widerstand findet.

Die Notlage ist von der Staatsregierung, von allen politischen Parteien
des Landtags anerkannt worden, aber man streitet sich um den Weg zur
Abhilfe: dort will man eine Neuregelung der Unterhaltungspflicht nur zugleich
mit einer gesetzlichen Festlegung der innern Schulfragen, des konfessionellen
Charakters der Schule, des Maßes der Mitwirkung der Kirche usw., d. h. der
Fragen, über die nach den Erfahrungen der letzten Jahre eine Einigung der
gesetzgebenden Mächte kaum zu erreichen ist; hier will man nur die äußern
Beziehungen, wie z. B. die Heranziehung der Gutsherren, das Maß der Be-
lastung der Schulgemeinde, die Bedingungen, unter denen der Staat einzutreten
hat, festlegen, man will an die Stelle der "Schulsozictäten," d. h. der Gesamt¬
heit der Hausväter, die politische Gemeinde setzen, man will aber die großen
und an sich tief einschneidenden innern Fragen, die heute nach allgemeinem
Zugeständnis im Verwaltungswege im großen Ganzen glücklich geregelt sind,
beiseite lassen. Von beiden Seiten wird behauptet, man wolle nur das Beste
und nichts Unerreichbares; ans beiden Seiten beruft man sich auf die Ver¬
fassung. Diese sagt zwar im Artikel 26: Ein besondres Gesetz regelt das
ganze Unterrichtswesen. Aber die Unmöglichkeit, das zu thun, in einem


Zur äußern Lage der Volksschule in Preußen

genannten Hausväter, im übrigen die politischen Gemeinden ihre Volksschulen
zu unterhalten, und nur bei nachgewiesenen Unvermögen tritt der Staat
helfend ein; so war es bis zur Verfassungsurkunde von 1850, so will es
diese. Erst in der neuern Zeit hat sich der Staat herbeigelassen, zu den
Lehrerbesoldungen bestimmte, gesetzlich festgelegte Beiträge zu gewähren, ebenso
zu den Ruhegehalten usw., ohne aber dadurch den Schulunterhaltungspflichtigen
eine fühlbare Erleichterung geschafft zu haben. Denn Hand in Hand mit
diesen Staatsleistungen ging die Aufhebung des Schulgeldes und die Erhöhung
der Lehrerbesoldungen. Der Rechtszustand, der in der Hauptsache auf dem
Allgemeinen Landrechte beruht, war in früherer Zeit erträglich, so lange im
großen und ganzen die Verhältnisse der einzelnen Schulen jahrzehntelang
gleich waren, wo die Gemeinden in ihren Schulen die in ihren Grenzen ge-
bornen Kinder sahen, die auch später in der Gemeinde blieben. Seit der
Einführung der Freizügigkeit, der Lockerung der Seßhaftigkeit der Landbewohner,
seit der modernen Entwicklung des Verkehrs, dem Aufschwung der Industrie usw.
ist eine Beweglichkeit in die Verhältnisse der Schulverbände gekommen,
die jeder Voraussicht spottet: es braucht ja z. B. nur in einer Nachbar¬
gemeinde eine große Fabrik zu entstehen, so siedeln sich häufig in einer Ge¬
meinde zahlreiche jüngere Familien an, deren Kinderreichtum die Schule auf
das Vielfache der Kinder-, der Klassen- und Lehrerzahl bringt, ohne die Steuer¬
kraft irgend zu verstärken; ohne daß der Fabrikherr, der das Zuströmen der
Kinder veranlaßt hat, der den Vorteil des Arbeiterzuzugs hat, irgend einen
Beitrag an die belastete Gemeinde zu zahlen hat. Da ist es natürlich, daß
jede Verbesserung der Schuleinrichtungen den größten Widerstand findet.

Die Notlage ist von der Staatsregierung, von allen politischen Parteien
des Landtags anerkannt worden, aber man streitet sich um den Weg zur
Abhilfe: dort will man eine Neuregelung der Unterhaltungspflicht nur zugleich
mit einer gesetzlichen Festlegung der innern Schulfragen, des konfessionellen
Charakters der Schule, des Maßes der Mitwirkung der Kirche usw., d. h. der
Fragen, über die nach den Erfahrungen der letzten Jahre eine Einigung der
gesetzgebenden Mächte kaum zu erreichen ist; hier will man nur die äußern
Beziehungen, wie z. B. die Heranziehung der Gutsherren, das Maß der Be-
lastung der Schulgemeinde, die Bedingungen, unter denen der Staat einzutreten
hat, festlegen, man will an die Stelle der „Schulsozictäten," d. h. der Gesamt¬
heit der Hausväter, die politische Gemeinde setzen, man will aber die großen
und an sich tief einschneidenden innern Fragen, die heute nach allgemeinem
Zugeständnis im Verwaltungswege im großen Ganzen glücklich geregelt sind,
beiseite lassen. Von beiden Seiten wird behauptet, man wolle nur das Beste
und nichts Unerreichbares; ans beiden Seiten beruft man sich auf die Ver¬
fassung. Diese sagt zwar im Artikel 26: Ein besondres Gesetz regelt das
ganze Unterrichtswesen. Aber die Unmöglichkeit, das zu thun, in einem


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[0682] Zur äußern Lage der Volksschule in Preußen genannten Hausväter, im übrigen die politischen Gemeinden ihre Volksschulen zu unterhalten, und nur bei nachgewiesenen Unvermögen tritt der Staat helfend ein; so war es bis zur Verfassungsurkunde von 1850, so will es diese. Erst in der neuern Zeit hat sich der Staat herbeigelassen, zu den Lehrerbesoldungen bestimmte, gesetzlich festgelegte Beiträge zu gewähren, ebenso zu den Ruhegehalten usw., ohne aber dadurch den Schulunterhaltungspflichtigen eine fühlbare Erleichterung geschafft zu haben. Denn Hand in Hand mit diesen Staatsleistungen ging die Aufhebung des Schulgeldes und die Erhöhung der Lehrerbesoldungen. Der Rechtszustand, der in der Hauptsache auf dem Allgemeinen Landrechte beruht, war in früherer Zeit erträglich, so lange im großen und ganzen die Verhältnisse der einzelnen Schulen jahrzehntelang gleich waren, wo die Gemeinden in ihren Schulen die in ihren Grenzen ge- bornen Kinder sahen, die auch später in der Gemeinde blieben. Seit der Einführung der Freizügigkeit, der Lockerung der Seßhaftigkeit der Landbewohner, seit der modernen Entwicklung des Verkehrs, dem Aufschwung der Industrie usw. ist eine Beweglichkeit in die Verhältnisse der Schulverbände gekommen, die jeder Voraussicht spottet: es braucht ja z. B. nur in einer Nachbar¬ gemeinde eine große Fabrik zu entstehen, so siedeln sich häufig in einer Ge¬ meinde zahlreiche jüngere Familien an, deren Kinderreichtum die Schule auf das Vielfache der Kinder-, der Klassen- und Lehrerzahl bringt, ohne die Steuer¬ kraft irgend zu verstärken; ohne daß der Fabrikherr, der das Zuströmen der Kinder veranlaßt hat, der den Vorteil des Arbeiterzuzugs hat, irgend einen Beitrag an die belastete Gemeinde zu zahlen hat. Da ist es natürlich, daß jede Verbesserung der Schuleinrichtungen den größten Widerstand findet. Die Notlage ist von der Staatsregierung, von allen politischen Parteien des Landtags anerkannt worden, aber man streitet sich um den Weg zur Abhilfe: dort will man eine Neuregelung der Unterhaltungspflicht nur zugleich mit einer gesetzlichen Festlegung der innern Schulfragen, des konfessionellen Charakters der Schule, des Maßes der Mitwirkung der Kirche usw., d. h. der Fragen, über die nach den Erfahrungen der letzten Jahre eine Einigung der gesetzgebenden Mächte kaum zu erreichen ist; hier will man nur die äußern Beziehungen, wie z. B. die Heranziehung der Gutsherren, das Maß der Be- lastung der Schulgemeinde, die Bedingungen, unter denen der Staat einzutreten hat, festlegen, man will an die Stelle der „Schulsozictäten," d. h. der Gesamt¬ heit der Hausväter, die politische Gemeinde setzen, man will aber die großen und an sich tief einschneidenden innern Fragen, die heute nach allgemeinem Zugeständnis im Verwaltungswege im großen Ganzen glücklich geregelt sind, beiseite lassen. Von beiden Seiten wird behauptet, man wolle nur das Beste und nichts Unerreichbares; ans beiden Seiten beruft man sich auf die Ver¬ fassung. Diese sagt zwar im Artikel 26: Ein besondres Gesetz regelt das ganze Unterrichtswesen. Aber die Unmöglichkeit, das zu thun, in einem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/682>, abgerufen am 28.09.2024.