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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Aus den schwarzen Bergen

noch vergönnt, in die Werkstatt des Epos hineinzusehen? Waren nicht so
einst, an primitivem Herde, von blinden Barden die Gesänge der Jliade und
Odyssee gesungen worden, bis die geschickte Hand eines Homer sie zu einem
Ganzen vereinigte? Und sang nicht auch damals bei den Phäaken der edle
Sänger Deodokos den Ruhm des Odysseus, "von des nischen Rosses Er¬
findung, die in die Burg zum Betrüge geführt der edle Held voll griechischer
Männer"?, bis dem antiken Touristen die Thränen in den Bart liefen und
er sich zu erkennen gab: "Ich bin der Mann, von dem Ihr singt." Wer weiß,
ob die Wohnung des Phäakenkönigs, dessen Tochter Nausikaa der Strohwitwer
der Penelope auf so merkwürdige Weise kennen gelernt hatte, viel anheimelnder
ausgesehen, ob die Wände dort nicht denselben kärglichen Schmuck zeigten --
ohne das Heiligenbild und das von Nußland geschickte Magazingewehr. Viel
fehlte nicht, und ich verglich mein Globetrotterleben mit dem des ithakensischen
Alleinherrschers, den -- darin unterschieden wir uns -- der Zorn des Po¬
seidon und nicht das Verlangen, in den Grenzboten gedruckt zu werden, in
fremde Länder getrieben hatte.

Ach, er hat es trotz Götterzorns und Seekrankheit doch besser gehabt, der
Odysseus! Dort bei der schönen Göttin Circe, die ein silberhelles Gewand
und einen künstlich gearbeiteten Gürtel trug, und die ihn so liebenswürdig
einlud, mit ihr das Lager zu besteigen, auf daß sie "mehr Vertrauen zu
einander gewonnen." Auch mich begleitete die tschernagorzische Circe zu dem
Lager, aber ihr einst weißes Gewand war durch langen Gebrauch weniger
silberhell geworden als Cirees, und auch das Lager, mit einem Ziegenfell be¬
decktes Stroh, sah nicht so "köstlich" und "schönbereitet" aus, wie das der
gefühlvollen griechischen Göttin. Nicht ohne Neid auf den andern legte ich
mich nieder. . .

Das Lager war unerträglich gewesen! Mitten in der Nacht hatten wir
Circe und den Wirt gerufen und gebeten, die abseits bei den Pferden liegenden
Führer zu wecken, satteln und das Gepäck aufladen zu lassen, und waren
davon gegangen, plötzlich -- wie Odysseus auch -- wenn es ihm irgendwo
zu warm geworden war.

Es war eine herrliche, stille Mondnacht. In den Felsspalten und Thälern
trieb der Wind die Wolken vor sich her, das silberne Nachtgestirn erleuchtete
die kahlen, grauen Berge, deren Gipfel frostig zu uns herüberlächelten, und
der tiefe, schwarzblaue Schatten von Reiter und Pferd zeichnete sich scharf auf
dem zerrissenen Boden vor uns ab. Wir mochten schweigend ungefähr eine
Stunde geritten sein, als der Schatten an scharfem Umriß verlor und all¬
mählich in ein milderes Blau hinüberzuspielen begann. Hinter uns am Hori¬
zont beginnt ein schmaler Streifen sich zu lichten. Der Schatten ist jetzt ein
reines Blau und wird noch undeutlicher, der Mond hat einen Rivalen er¬
halten, noch glänzt er in einsamer Pracht dort oben am Zenith, doch schon
beginnen die Trabanten, die Sterne, vor eines Mächtigern Ankunft zu er-


Aus den schwarzen Bergen

noch vergönnt, in die Werkstatt des Epos hineinzusehen? Waren nicht so
einst, an primitivem Herde, von blinden Barden die Gesänge der Jliade und
Odyssee gesungen worden, bis die geschickte Hand eines Homer sie zu einem
Ganzen vereinigte? Und sang nicht auch damals bei den Phäaken der edle
Sänger Deodokos den Ruhm des Odysseus, „von des nischen Rosses Er¬
findung, die in die Burg zum Betrüge geführt der edle Held voll griechischer
Männer"?, bis dem antiken Touristen die Thränen in den Bart liefen und
er sich zu erkennen gab: „Ich bin der Mann, von dem Ihr singt." Wer weiß,
ob die Wohnung des Phäakenkönigs, dessen Tochter Nausikaa der Strohwitwer
der Penelope auf so merkwürdige Weise kennen gelernt hatte, viel anheimelnder
ausgesehen, ob die Wände dort nicht denselben kärglichen Schmuck zeigten —
ohne das Heiligenbild und das von Nußland geschickte Magazingewehr. Viel
fehlte nicht, und ich verglich mein Globetrotterleben mit dem des ithakensischen
Alleinherrschers, den — darin unterschieden wir uns — der Zorn des Po¬
seidon und nicht das Verlangen, in den Grenzboten gedruckt zu werden, in
fremde Länder getrieben hatte.

Ach, er hat es trotz Götterzorns und Seekrankheit doch besser gehabt, der
Odysseus! Dort bei der schönen Göttin Circe, die ein silberhelles Gewand
und einen künstlich gearbeiteten Gürtel trug, und die ihn so liebenswürdig
einlud, mit ihr das Lager zu besteigen, auf daß sie „mehr Vertrauen zu
einander gewonnen." Auch mich begleitete die tschernagorzische Circe zu dem
Lager, aber ihr einst weißes Gewand war durch langen Gebrauch weniger
silberhell geworden als Cirees, und auch das Lager, mit einem Ziegenfell be¬
decktes Stroh, sah nicht so „köstlich" und „schönbereitet" aus, wie das der
gefühlvollen griechischen Göttin. Nicht ohne Neid auf den andern legte ich
mich nieder. . .

Das Lager war unerträglich gewesen! Mitten in der Nacht hatten wir
Circe und den Wirt gerufen und gebeten, die abseits bei den Pferden liegenden
Führer zu wecken, satteln und das Gepäck aufladen zu lassen, und waren
davon gegangen, plötzlich — wie Odysseus auch — wenn es ihm irgendwo
zu warm geworden war.

Es war eine herrliche, stille Mondnacht. In den Felsspalten und Thälern
trieb der Wind die Wolken vor sich her, das silberne Nachtgestirn erleuchtete
die kahlen, grauen Berge, deren Gipfel frostig zu uns herüberlächelten, und
der tiefe, schwarzblaue Schatten von Reiter und Pferd zeichnete sich scharf auf
dem zerrissenen Boden vor uns ab. Wir mochten schweigend ungefähr eine
Stunde geritten sein, als der Schatten an scharfem Umriß verlor und all¬
mählich in ein milderes Blau hinüberzuspielen begann. Hinter uns am Hori¬
zont beginnt ein schmaler Streifen sich zu lichten. Der Schatten ist jetzt ein
reines Blau und wird noch undeutlicher, der Mond hat einen Rivalen er¬
halten, noch glänzt er in einsamer Pracht dort oben am Zenith, doch schon
beginnen die Trabanten, die Sterne, vor eines Mächtigern Ankunft zu er-


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[0664] Aus den schwarzen Bergen noch vergönnt, in die Werkstatt des Epos hineinzusehen? Waren nicht so einst, an primitivem Herde, von blinden Barden die Gesänge der Jliade und Odyssee gesungen worden, bis die geschickte Hand eines Homer sie zu einem Ganzen vereinigte? Und sang nicht auch damals bei den Phäaken der edle Sänger Deodokos den Ruhm des Odysseus, „von des nischen Rosses Er¬ findung, die in die Burg zum Betrüge geführt der edle Held voll griechischer Männer"?, bis dem antiken Touristen die Thränen in den Bart liefen und er sich zu erkennen gab: „Ich bin der Mann, von dem Ihr singt." Wer weiß, ob die Wohnung des Phäakenkönigs, dessen Tochter Nausikaa der Strohwitwer der Penelope auf so merkwürdige Weise kennen gelernt hatte, viel anheimelnder ausgesehen, ob die Wände dort nicht denselben kärglichen Schmuck zeigten — ohne das Heiligenbild und das von Nußland geschickte Magazingewehr. Viel fehlte nicht, und ich verglich mein Globetrotterleben mit dem des ithakensischen Alleinherrschers, den — darin unterschieden wir uns — der Zorn des Po¬ seidon und nicht das Verlangen, in den Grenzboten gedruckt zu werden, in fremde Länder getrieben hatte. Ach, er hat es trotz Götterzorns und Seekrankheit doch besser gehabt, der Odysseus! Dort bei der schönen Göttin Circe, die ein silberhelles Gewand und einen künstlich gearbeiteten Gürtel trug, und die ihn so liebenswürdig einlud, mit ihr das Lager zu besteigen, auf daß sie „mehr Vertrauen zu einander gewonnen." Auch mich begleitete die tschernagorzische Circe zu dem Lager, aber ihr einst weißes Gewand war durch langen Gebrauch weniger silberhell geworden als Cirees, und auch das Lager, mit einem Ziegenfell be¬ decktes Stroh, sah nicht so „köstlich" und „schönbereitet" aus, wie das der gefühlvollen griechischen Göttin. Nicht ohne Neid auf den andern legte ich mich nieder. . . Das Lager war unerträglich gewesen! Mitten in der Nacht hatten wir Circe und den Wirt gerufen und gebeten, die abseits bei den Pferden liegenden Führer zu wecken, satteln und das Gepäck aufladen zu lassen, und waren davon gegangen, plötzlich — wie Odysseus auch — wenn es ihm irgendwo zu warm geworden war. Es war eine herrliche, stille Mondnacht. In den Felsspalten und Thälern trieb der Wind die Wolken vor sich her, das silberne Nachtgestirn erleuchtete die kahlen, grauen Berge, deren Gipfel frostig zu uns herüberlächelten, und der tiefe, schwarzblaue Schatten von Reiter und Pferd zeichnete sich scharf auf dem zerrissenen Boden vor uns ab. Wir mochten schweigend ungefähr eine Stunde geritten sein, als der Schatten an scharfem Umriß verlor und all¬ mählich in ein milderes Blau hinüberzuspielen begann. Hinter uns am Hori¬ zont beginnt ein schmaler Streifen sich zu lichten. Der Schatten ist jetzt ein reines Blau und wird noch undeutlicher, der Mond hat einen Rivalen er¬ halten, noch glänzt er in einsamer Pracht dort oben am Zenith, doch schon beginnen die Trabanten, die Sterne, vor eines Mächtigern Ankunft zu er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/664>, abgerufen am 28.09.2024.