Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Franz Stücks Malereien für das deutsche Reichstagsgebände

ihn uns vorstellen, gegen die Versuche, abgestorbnes, mittelalterliches Wesen
unserm Leben wieder gewaltsam einimpfen zu wollen. Wir wollen dem Adel,
der kleinen Zahl von Leuten, die sich mit dem Studium und der wissenschaft¬
lichen Bearbeitung der Heraldik beschäftigen, und den bürgerlichen Narren, die
ihnen aus lächerlichen Eitelkeitsinteressen nachlaufen, ihre Freude nicht ver¬
derben. Aber in den breiten Schichten der bürgerlichen Gesellschaft ist das
Interesse an mittelalterlichen Wappenwesen unwiederbringlich dahin, und daran
wird selbst ein Künstler von der rücksichtslosen Energie und Beharrlichkeit
eines Wallot nichts ändern, obwohl er mit seiner einseitigen Vorliebe für
Wappenschmuck in Berlin schon Nachahmer gefunden hat. Schon werden die
Fassaden gewöhnlicher Mietkasernen in den vornehmen Stadtteilen des Westens
mit gipsernen Wappen beklebt, denen sogar die Zier des Nitterhelms nicht
fehlt. Dieses gedankenlose Spiel mit mittelalterlichen Emblemen, bei dem
vielleicht auch die Spekulation auf die Hoffart der zukünftigen Bewohner
etwas mitwirkt, ist jedoch nicht ernsthaft zu nehmen. Selbst die Männer, die
sich durch ihre Beschäftigung zu Wächtern über die Reinheit des Stils in der
Heraldik berufen glauben, haben an diesem Mißbrauch keine Freude, und sie
haben sich auch gegen die Willkür ausgesprochen, mit der sich Wallot der
heraldischen Kunstsprache bedient hat.

Man wird bei der Beurteilung des ganzen durch die Ablehnung des
Deckengemäldes für das Reichstagsgebäude hervorgerufenen Streitfalles weder
Wallot noch Stuck Unrecht thun, wenn man sagt, daß beide die Schuld am
Mißlingen zu ungefähr gleichen Teilen zu tragen haben: Wallot, weil er durch
seinen Wappenkram, der ihm als die Hauptsache erschien, der künstlerischen
Phantasie die engsten Schranken gezogen hat, und Stuck, weil er einen Auf¬
trag übernahm, der ihm zur Entfaltung seiner eigentlichen künstlerischen Art
keine Freiheit ließ. Die Frage, ob diese künstlerische Art überhaupt zur be¬
friedigenden Lösung einer monumentalen oder auch nur dekorativen Aufgabe
großen Stils geeignet ist, wollen wir dabei unerörtert lassen. Wie sich das
Gemälde jetzt darstellt, ist es in seiner Gesamtwirkung wie in seinen Einzel¬
heiten gleich unerfreulich, und jedenfalls haben die Leute Recht, die jeden Zu¬
sammenhang zwischen dem Motiv, der Jagd nach dem Glück, und der Be¬
stimmung des Gebäudes vermissen. Als improvisierte Dekoration für ein
Volksfest, etwa zum Schmuck eines Fortunatempels, würde es sich dagegen
vortrefflich eignen.




Grenzboten II 18M82
Franz Stücks Malereien für das deutsche Reichstagsgebände

ihn uns vorstellen, gegen die Versuche, abgestorbnes, mittelalterliches Wesen
unserm Leben wieder gewaltsam einimpfen zu wollen. Wir wollen dem Adel,
der kleinen Zahl von Leuten, die sich mit dem Studium und der wissenschaft¬
lichen Bearbeitung der Heraldik beschäftigen, und den bürgerlichen Narren, die
ihnen aus lächerlichen Eitelkeitsinteressen nachlaufen, ihre Freude nicht ver¬
derben. Aber in den breiten Schichten der bürgerlichen Gesellschaft ist das
Interesse an mittelalterlichen Wappenwesen unwiederbringlich dahin, und daran
wird selbst ein Künstler von der rücksichtslosen Energie und Beharrlichkeit
eines Wallot nichts ändern, obwohl er mit seiner einseitigen Vorliebe für
Wappenschmuck in Berlin schon Nachahmer gefunden hat. Schon werden die
Fassaden gewöhnlicher Mietkasernen in den vornehmen Stadtteilen des Westens
mit gipsernen Wappen beklebt, denen sogar die Zier des Nitterhelms nicht
fehlt. Dieses gedankenlose Spiel mit mittelalterlichen Emblemen, bei dem
vielleicht auch die Spekulation auf die Hoffart der zukünftigen Bewohner
etwas mitwirkt, ist jedoch nicht ernsthaft zu nehmen. Selbst die Männer, die
sich durch ihre Beschäftigung zu Wächtern über die Reinheit des Stils in der
Heraldik berufen glauben, haben an diesem Mißbrauch keine Freude, und sie
haben sich auch gegen die Willkür ausgesprochen, mit der sich Wallot der
heraldischen Kunstsprache bedient hat.

Man wird bei der Beurteilung des ganzen durch die Ablehnung des
Deckengemäldes für das Reichstagsgebäude hervorgerufenen Streitfalles weder
Wallot noch Stuck Unrecht thun, wenn man sagt, daß beide die Schuld am
Mißlingen zu ungefähr gleichen Teilen zu tragen haben: Wallot, weil er durch
seinen Wappenkram, der ihm als die Hauptsache erschien, der künstlerischen
Phantasie die engsten Schranken gezogen hat, und Stuck, weil er einen Auf¬
trag übernahm, der ihm zur Entfaltung seiner eigentlichen künstlerischen Art
keine Freiheit ließ. Die Frage, ob diese künstlerische Art überhaupt zur be¬
friedigenden Lösung einer monumentalen oder auch nur dekorativen Aufgabe
großen Stils geeignet ist, wollen wir dabei unerörtert lassen. Wie sich das
Gemälde jetzt darstellt, ist es in seiner Gesamtwirkung wie in seinen Einzel¬
heiten gleich unerfreulich, und jedenfalls haben die Leute Recht, die jeden Zu¬
sammenhang zwischen dem Motiv, der Jagd nach dem Glück, und der Be¬
stimmung des Gebäudes vermissen. Als improvisierte Dekoration für ein
Volksfest, etwa zum Schmuck eines Fortunatempels, würde es sich dagegen
vortrefflich eignen.




Grenzboten II 18M82
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0657" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231089"/>
          <fw type="header" place="top"> Franz Stücks Malereien für das deutsche Reichstagsgebände</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2215" prev="#ID_2214"> ihn uns vorstellen, gegen die Versuche, abgestorbnes, mittelalterliches Wesen<lb/>
unserm Leben wieder gewaltsam einimpfen zu wollen. Wir wollen dem Adel,<lb/>
der kleinen Zahl von Leuten, die sich mit dem Studium und der wissenschaft¬<lb/>
lichen Bearbeitung der Heraldik beschäftigen, und den bürgerlichen Narren, die<lb/>
ihnen aus lächerlichen Eitelkeitsinteressen nachlaufen, ihre Freude nicht ver¬<lb/>
derben. Aber in den breiten Schichten der bürgerlichen Gesellschaft ist das<lb/>
Interesse an mittelalterlichen Wappenwesen unwiederbringlich dahin, und daran<lb/>
wird selbst ein Künstler von der rücksichtslosen Energie und Beharrlichkeit<lb/>
eines Wallot nichts ändern, obwohl er mit seiner einseitigen Vorliebe für<lb/>
Wappenschmuck in Berlin schon Nachahmer gefunden hat. Schon werden die<lb/>
Fassaden gewöhnlicher Mietkasernen in den vornehmen Stadtteilen des Westens<lb/>
mit gipsernen Wappen beklebt, denen sogar die Zier des Nitterhelms nicht<lb/>
fehlt. Dieses gedankenlose Spiel mit mittelalterlichen Emblemen, bei dem<lb/>
vielleicht auch die Spekulation auf die Hoffart der zukünftigen Bewohner<lb/>
etwas mitwirkt, ist jedoch nicht ernsthaft zu nehmen. Selbst die Männer, die<lb/>
sich durch ihre Beschäftigung zu Wächtern über die Reinheit des Stils in der<lb/>
Heraldik berufen glauben, haben an diesem Mißbrauch keine Freude, und sie<lb/>
haben sich auch gegen die Willkür ausgesprochen, mit der sich Wallot der<lb/>
heraldischen Kunstsprache bedient hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2216"> Man wird bei der Beurteilung des ganzen durch die Ablehnung des<lb/>
Deckengemäldes für das Reichstagsgebäude hervorgerufenen Streitfalles weder<lb/>
Wallot noch Stuck Unrecht thun, wenn man sagt, daß beide die Schuld am<lb/>
Mißlingen zu ungefähr gleichen Teilen zu tragen haben: Wallot, weil er durch<lb/>
seinen Wappenkram, der ihm als die Hauptsache erschien, der künstlerischen<lb/>
Phantasie die engsten Schranken gezogen hat, und Stuck, weil er einen Auf¬<lb/>
trag übernahm, der ihm zur Entfaltung seiner eigentlichen künstlerischen Art<lb/>
keine Freiheit ließ. Die Frage, ob diese künstlerische Art überhaupt zur be¬<lb/>
friedigenden Lösung einer monumentalen oder auch nur dekorativen Aufgabe<lb/>
großen Stils geeignet ist, wollen wir dabei unerörtert lassen. Wie sich das<lb/>
Gemälde jetzt darstellt, ist es in seiner Gesamtwirkung wie in seinen Einzel¬<lb/>
heiten gleich unerfreulich, und jedenfalls haben die Leute Recht, die jeden Zu¬<lb/>
sammenhang zwischen dem Motiv, der Jagd nach dem Glück, und der Be¬<lb/>
stimmung des Gebäudes vermissen. Als improvisierte Dekoration für ein<lb/>
Volksfest, etwa zum Schmuck eines Fortunatempels, würde es sich dagegen<lb/>
vortrefflich eignen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 18M82</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0657] Franz Stücks Malereien für das deutsche Reichstagsgebände ihn uns vorstellen, gegen die Versuche, abgestorbnes, mittelalterliches Wesen unserm Leben wieder gewaltsam einimpfen zu wollen. Wir wollen dem Adel, der kleinen Zahl von Leuten, die sich mit dem Studium und der wissenschaft¬ lichen Bearbeitung der Heraldik beschäftigen, und den bürgerlichen Narren, die ihnen aus lächerlichen Eitelkeitsinteressen nachlaufen, ihre Freude nicht ver¬ derben. Aber in den breiten Schichten der bürgerlichen Gesellschaft ist das Interesse an mittelalterlichen Wappenwesen unwiederbringlich dahin, und daran wird selbst ein Künstler von der rücksichtslosen Energie und Beharrlichkeit eines Wallot nichts ändern, obwohl er mit seiner einseitigen Vorliebe für Wappenschmuck in Berlin schon Nachahmer gefunden hat. Schon werden die Fassaden gewöhnlicher Mietkasernen in den vornehmen Stadtteilen des Westens mit gipsernen Wappen beklebt, denen sogar die Zier des Nitterhelms nicht fehlt. Dieses gedankenlose Spiel mit mittelalterlichen Emblemen, bei dem vielleicht auch die Spekulation auf die Hoffart der zukünftigen Bewohner etwas mitwirkt, ist jedoch nicht ernsthaft zu nehmen. Selbst die Männer, die sich durch ihre Beschäftigung zu Wächtern über die Reinheit des Stils in der Heraldik berufen glauben, haben an diesem Mißbrauch keine Freude, und sie haben sich auch gegen die Willkür ausgesprochen, mit der sich Wallot der heraldischen Kunstsprache bedient hat. Man wird bei der Beurteilung des ganzen durch die Ablehnung des Deckengemäldes für das Reichstagsgebäude hervorgerufenen Streitfalles weder Wallot noch Stuck Unrecht thun, wenn man sagt, daß beide die Schuld am Mißlingen zu ungefähr gleichen Teilen zu tragen haben: Wallot, weil er durch seinen Wappenkram, der ihm als die Hauptsache erschien, der künstlerischen Phantasie die engsten Schranken gezogen hat, und Stuck, weil er einen Auf¬ trag übernahm, der ihm zur Entfaltung seiner eigentlichen künstlerischen Art keine Freiheit ließ. Die Frage, ob diese künstlerische Art überhaupt zur be¬ friedigenden Lösung einer monumentalen oder auch nur dekorativen Aufgabe großen Stils geeignet ist, wollen wir dabei unerörtert lassen. Wie sich das Gemälde jetzt darstellt, ist es in seiner Gesamtwirkung wie in seinen Einzel¬ heiten gleich unerfreulich, und jedenfalls haben die Leute Recht, die jeden Zu¬ sammenhang zwischen dem Motiv, der Jagd nach dem Glück, und der Be¬ stimmung des Gebäudes vermissen. Als improvisierte Dekoration für ein Volksfest, etwa zum Schmuck eines Fortunatempels, würde es sich dagegen vortrefflich eignen. Grenzboten II 18M82

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/657
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/657>, abgerufen am 28.09.2024.