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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Dekorative Kunst

namentlich immer wieder neue Bestellungen gemacht worden. Der Ausschuß,
der bisher die Produktion der "Vereinigten Werkstätten für Kunst im Hand¬
werk" überwachte und mit seinem Namen deckte, ist inzwischen von dieser Auf¬
gabe zurückgetreten, wodurch sich jedoch in Bezug auf die gemeinsamen Be¬
strebungen beider Vereine und die gegenseitige Unterstützung nichts geändert
hat. Die Zeitschrift "Dekorative Kunst" giebt uns auf vielen Tafeln (nament¬
lich Heft 4) einen Begriff von den Leistungen der "Vereinigten Werkstätten,"
die ihren Vorbildern aus England und Belgien nachstreben. Man sucht jetzt
auch mit Vorliebe in der frühern Kunst der einzelnen Völker Beispiele solcher
ursachlichen Liniendekoration zusammen, und wenn es sich dann zeigt, daß sich
auch die Schöpfer der historischen Stile in unbewachten Augenblicken und in
bescheidnen Gattungen (italienische Fayencen und Kleinbronzen) an sinnlosen
Linien erlustigt haben, so steigt dadurch das ganze Gebiet der "Vauernkunst"
im Werte, und man ahmt wohl einmal wieder alte Hamburger oder Schwälmer
Möbel nach (Heft 2), wozu indessen der Text seine Fragezeichen macht. Wir
finden ferner englische Glasfenster (Heft 4), Tiffanysche (Newyork) Fenster und
Glasvasen, daneben auch recht bedenkliche Wandbekleidungen, Kamine und
Möbel, sintemal doch Glas nie und nimmer Holz oder Stein werden kann (3),
endlich Köppings Ziergläser, die von ihrer frühern Pflanzengestalt aus nun¬
mehr die beruhigende Linie gefunden haben (2).

Diese solide, aber für uns historisch gestimmte Menschen auch recht ein¬
tönige Linienmusik beruht, wie dem Völkerpsychologen nicht entgehn wird, zur
Zeit durchaus auf der germanischen und angelsächsischen Rasse; zufällig sind
die stark beteiligten Dänen und Skandinavier in diesen Heften gerade mit
Möbeln nicht vertreten. Die Franzosen wollen nicht mit, ihnen sind ihre
historischen Stile zu lieb. Ihre Plakate sind noch zu "sachlich," sodaß ein
vereinzelter Arabesken- und Linienzeichner, Josfot, um so höher zählt (2. 5),
in der Architektur machen sie sich schwer von ihrem Louis Quinze los, wes¬
wegen die Beispiele des neuen Stils an einigen Pariser Wohnhäusern und
Restaurants (5) ausführlich in Abbildungen und Text behandelt werden. In
diese Lücke treten zwei Meister der "hohen" Kunst ein, der 1898 gestorbne
Maler Puvis de Chavannes (3), der, wie die Redaktion ausführt, um des
großen Stils seiner Wandgemälde willen nur mit Giotto verglichen werden
darf, obschon "Barbaren darin Zeichnung und Farbe vermißt haben," und
der einzige Bildhauer, den Frankreich neben feine vielen glänzenden Maler
stellen kann, Robim (5).

Puvis also, der nicht, wie sein Landsmann Degas, als Kolorist, sondern
als streng rationeller, für unser deutsches Auge leicht etwas klassizistischer
Zeichner geschätzt wird (der Text der Zeitschrift drückt das alles viel schöner
aus), ist mit sieben Abbildungen vertreten. Er "legte den Grundstein zu einer
Schule, der die Zukunft der Malerei gehören muß, wenn sie überhaupt eine


Dekorative Kunst

namentlich immer wieder neue Bestellungen gemacht worden. Der Ausschuß,
der bisher die Produktion der „Vereinigten Werkstätten für Kunst im Hand¬
werk" überwachte und mit seinem Namen deckte, ist inzwischen von dieser Auf¬
gabe zurückgetreten, wodurch sich jedoch in Bezug auf die gemeinsamen Be¬
strebungen beider Vereine und die gegenseitige Unterstützung nichts geändert
hat. Die Zeitschrift „Dekorative Kunst" giebt uns auf vielen Tafeln (nament¬
lich Heft 4) einen Begriff von den Leistungen der „Vereinigten Werkstätten,"
die ihren Vorbildern aus England und Belgien nachstreben. Man sucht jetzt
auch mit Vorliebe in der frühern Kunst der einzelnen Völker Beispiele solcher
ursachlichen Liniendekoration zusammen, und wenn es sich dann zeigt, daß sich
auch die Schöpfer der historischen Stile in unbewachten Augenblicken und in
bescheidnen Gattungen (italienische Fayencen und Kleinbronzen) an sinnlosen
Linien erlustigt haben, so steigt dadurch das ganze Gebiet der „Vauernkunst"
im Werte, und man ahmt wohl einmal wieder alte Hamburger oder Schwälmer
Möbel nach (Heft 2), wozu indessen der Text seine Fragezeichen macht. Wir
finden ferner englische Glasfenster (Heft 4), Tiffanysche (Newyork) Fenster und
Glasvasen, daneben auch recht bedenkliche Wandbekleidungen, Kamine und
Möbel, sintemal doch Glas nie und nimmer Holz oder Stein werden kann (3),
endlich Köppings Ziergläser, die von ihrer frühern Pflanzengestalt aus nun¬
mehr die beruhigende Linie gefunden haben (2).

Diese solide, aber für uns historisch gestimmte Menschen auch recht ein¬
tönige Linienmusik beruht, wie dem Völkerpsychologen nicht entgehn wird, zur
Zeit durchaus auf der germanischen und angelsächsischen Rasse; zufällig sind
die stark beteiligten Dänen und Skandinavier in diesen Heften gerade mit
Möbeln nicht vertreten. Die Franzosen wollen nicht mit, ihnen sind ihre
historischen Stile zu lieb. Ihre Plakate sind noch zu „sachlich," sodaß ein
vereinzelter Arabesken- und Linienzeichner, Josfot, um so höher zählt (2. 5),
in der Architektur machen sie sich schwer von ihrem Louis Quinze los, wes¬
wegen die Beispiele des neuen Stils an einigen Pariser Wohnhäusern und
Restaurants (5) ausführlich in Abbildungen und Text behandelt werden. In
diese Lücke treten zwei Meister der „hohen" Kunst ein, der 1898 gestorbne
Maler Puvis de Chavannes (3), der, wie die Redaktion ausführt, um des
großen Stils seiner Wandgemälde willen nur mit Giotto verglichen werden
darf, obschon „Barbaren darin Zeichnung und Farbe vermißt haben," und
der einzige Bildhauer, den Frankreich neben feine vielen glänzenden Maler
stellen kann, Robim (5).

Puvis also, der nicht, wie sein Landsmann Degas, als Kolorist, sondern
als streng rationeller, für unser deutsches Auge leicht etwas klassizistischer
Zeichner geschätzt wird (der Text der Zeitschrift drückt das alles viel schöner
aus), ist mit sieben Abbildungen vertreten. Er „legte den Grundstein zu einer
Schule, der die Zukunft der Malerei gehören muß, wenn sie überhaupt eine


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[0646] Dekorative Kunst namentlich immer wieder neue Bestellungen gemacht worden. Der Ausschuß, der bisher die Produktion der „Vereinigten Werkstätten für Kunst im Hand¬ werk" überwachte und mit seinem Namen deckte, ist inzwischen von dieser Auf¬ gabe zurückgetreten, wodurch sich jedoch in Bezug auf die gemeinsamen Be¬ strebungen beider Vereine und die gegenseitige Unterstützung nichts geändert hat. Die Zeitschrift „Dekorative Kunst" giebt uns auf vielen Tafeln (nament¬ lich Heft 4) einen Begriff von den Leistungen der „Vereinigten Werkstätten," die ihren Vorbildern aus England und Belgien nachstreben. Man sucht jetzt auch mit Vorliebe in der frühern Kunst der einzelnen Völker Beispiele solcher ursachlichen Liniendekoration zusammen, und wenn es sich dann zeigt, daß sich auch die Schöpfer der historischen Stile in unbewachten Augenblicken und in bescheidnen Gattungen (italienische Fayencen und Kleinbronzen) an sinnlosen Linien erlustigt haben, so steigt dadurch das ganze Gebiet der „Vauernkunst" im Werte, und man ahmt wohl einmal wieder alte Hamburger oder Schwälmer Möbel nach (Heft 2), wozu indessen der Text seine Fragezeichen macht. Wir finden ferner englische Glasfenster (Heft 4), Tiffanysche (Newyork) Fenster und Glasvasen, daneben auch recht bedenkliche Wandbekleidungen, Kamine und Möbel, sintemal doch Glas nie und nimmer Holz oder Stein werden kann (3), endlich Köppings Ziergläser, die von ihrer frühern Pflanzengestalt aus nun¬ mehr die beruhigende Linie gefunden haben (2). Diese solide, aber für uns historisch gestimmte Menschen auch recht ein¬ tönige Linienmusik beruht, wie dem Völkerpsychologen nicht entgehn wird, zur Zeit durchaus auf der germanischen und angelsächsischen Rasse; zufällig sind die stark beteiligten Dänen und Skandinavier in diesen Heften gerade mit Möbeln nicht vertreten. Die Franzosen wollen nicht mit, ihnen sind ihre historischen Stile zu lieb. Ihre Plakate sind noch zu „sachlich," sodaß ein vereinzelter Arabesken- und Linienzeichner, Josfot, um so höher zählt (2. 5), in der Architektur machen sie sich schwer von ihrem Louis Quinze los, wes¬ wegen die Beispiele des neuen Stils an einigen Pariser Wohnhäusern und Restaurants (5) ausführlich in Abbildungen und Text behandelt werden. In diese Lücke treten zwei Meister der „hohen" Kunst ein, der 1898 gestorbne Maler Puvis de Chavannes (3), der, wie die Redaktion ausführt, um des großen Stils seiner Wandgemälde willen nur mit Giotto verglichen werden darf, obschon „Barbaren darin Zeichnung und Farbe vermißt haben," und der einzige Bildhauer, den Frankreich neben feine vielen glänzenden Maler stellen kann, Robim (5). Puvis also, der nicht, wie sein Landsmann Degas, als Kolorist, sondern als streng rationeller, für unser deutsches Auge leicht etwas klassizistischer Zeichner geschätzt wird (der Text der Zeitschrift drückt das alles viel schöner aus), ist mit sieben Abbildungen vertreten. Er „legte den Grundstein zu einer Schule, der die Zukunft der Malerei gehören muß, wenn sie überhaupt eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/646>, abgerufen am 28.09.2024.