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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen

Scheidung. . . . Worauf es mir ankommt, ist, daß wir die "Geforderten" sind." 1)
Am 12. reist er, um auf Befehl des Königs nach Ems zu gehn, nach Berlin
ab und empfängt dort am Abend bei seiner Ankunft Depeschen, daß der
König mit Benedetti zu unterhandeln fortfahre; etwas später, als er mit
Moltke und Roon bei Tische sitzt, trifft eine Pariser Depesche über den Rück¬
tritt des Prinzen von Hohenzollern ein. Im Gefühl, daß Deutschland eine
schwere Demütigung, "schlimmer als die von Olmütz," erlitten, eine "franzö¬
sische Ohrfeige" erhalten habe, ist er entschlossen seinen Abschied zu fordern
und bittet den Grafen Eulenburg, statt seiner nach Ems zu fahren, empfindet
aber schon damals den Krieg "als eine Notwendigkeit, der wir mit Ehren
nicht mehr ausweichen konnten," obwohl "wir ... als Händelsucher erscheinen
würden, wenn wir ^jetzt noch^j zum Kriege schritten, durch den allein wir den
Flecken abwaschen könnten." In dieser Stimmung lädt er Moltke und Roon
für den 13- Juli zu Tische. Aus seiner Verlegenheit befreien ihn die Fran¬
zosen durch das Ansinnen Gramonts an Werther am 12. Juli, der noch an
demselben Tage nach Ems und Berlin telegraphierte, und die Forderung
Benedettis an den König am Morgen des 13. Juli, der eben aus Abekens
Hand ein Extrablatt der Kölnischen Zeitung mit einer Pariser Depesche vom
Nachmittage des 12. über den Rücktritt Leopolds erhalten hat. ^) Als Abekens
chiffrierte Depesche aus Ems von 3^50 nachmittags um 6''9 in Berlin
eintrifft, sitzt Bismarck mit Moltke und Roon wieder bei Tische, beide hören
"niedergeschlagen" das inzwischen entzifferte Telegramm, das ihnen Bismarck
vorliest. Dem aber geht in diesen weltgeschichtlichen Minuten, als Moltke die
volle Kriegsbereitschaft des deutschen Heeres versichert hat, eine Fülle von
Erwägungen durch das Haupt: die unerwartet gebotne Möglichkeit, die frühere
Demütigung jetzt wettzumachen, der höchst ungünstige Eindruck, den das
Zurückweichen vor dieser abermaligen Herausforderung auf Süddeutschland
machen müsse, nachdem es seit 1866 auf die Kraft Preußens hat vertrauen
lernen, die einigende Wirkung eines großen nationalen Krieges auf die Süd¬
deutschen und die neuen preußischen Provinzen, also zugleich die Notwendigkeit
und die fortreißende Kraft eines Krieges, und in dieser Erkenntnis benutzt er die
Ermächtigung des Königs zur Veröffentlichung der Depesche und macht aus der
"Chamade" eine "Fanfare," die Worte des Textes nicht verändernd, sondern
nur in einer Form kürzend, "die diese Kundgebung flie Abweisung Benedettis^
als eine abschließende erscheinen ließ, während die Redaktion Abekens nur als
ein Bruchstück einer schwebenden und in Berlin fortzusetzenden Verhandlung
erschienen sein würde." Er thut das mit dem klaren Bewußtsein, daß die
Depesche "nicht nur wegen des Inhalts, sondern auch wegen der Art der Ver-




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) Abeken 375.
Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen

Scheidung. . . . Worauf es mir ankommt, ist, daß wir die »Geforderten« sind." 1)
Am 12. reist er, um auf Befehl des Königs nach Ems zu gehn, nach Berlin
ab und empfängt dort am Abend bei seiner Ankunft Depeschen, daß der
König mit Benedetti zu unterhandeln fortfahre; etwas später, als er mit
Moltke und Roon bei Tische sitzt, trifft eine Pariser Depesche über den Rück¬
tritt des Prinzen von Hohenzollern ein. Im Gefühl, daß Deutschland eine
schwere Demütigung, „schlimmer als die von Olmütz," erlitten, eine „franzö¬
sische Ohrfeige" erhalten habe, ist er entschlossen seinen Abschied zu fordern
und bittet den Grafen Eulenburg, statt seiner nach Ems zu fahren, empfindet
aber schon damals den Krieg „als eine Notwendigkeit, der wir mit Ehren
nicht mehr ausweichen konnten," obwohl „wir ... als Händelsucher erscheinen
würden, wenn wir ^jetzt noch^j zum Kriege schritten, durch den allein wir den
Flecken abwaschen könnten." In dieser Stimmung lädt er Moltke und Roon
für den 13- Juli zu Tische. Aus seiner Verlegenheit befreien ihn die Fran¬
zosen durch das Ansinnen Gramonts an Werther am 12. Juli, der noch an
demselben Tage nach Ems und Berlin telegraphierte, und die Forderung
Benedettis an den König am Morgen des 13. Juli, der eben aus Abekens
Hand ein Extrablatt der Kölnischen Zeitung mit einer Pariser Depesche vom
Nachmittage des 12. über den Rücktritt Leopolds erhalten hat. ^) Als Abekens
chiffrierte Depesche aus Ems von 3^50 nachmittags um 6''9 in Berlin
eintrifft, sitzt Bismarck mit Moltke und Roon wieder bei Tische, beide hören
„niedergeschlagen" das inzwischen entzifferte Telegramm, das ihnen Bismarck
vorliest. Dem aber geht in diesen weltgeschichtlichen Minuten, als Moltke die
volle Kriegsbereitschaft des deutschen Heeres versichert hat, eine Fülle von
Erwägungen durch das Haupt: die unerwartet gebotne Möglichkeit, die frühere
Demütigung jetzt wettzumachen, der höchst ungünstige Eindruck, den das
Zurückweichen vor dieser abermaligen Herausforderung auf Süddeutschland
machen müsse, nachdem es seit 1866 auf die Kraft Preußens hat vertrauen
lernen, die einigende Wirkung eines großen nationalen Krieges auf die Süd¬
deutschen und die neuen preußischen Provinzen, also zugleich die Notwendigkeit
und die fortreißende Kraft eines Krieges, und in dieser Erkenntnis benutzt er die
Ermächtigung des Königs zur Veröffentlichung der Depesche und macht aus der
„Chamade" eine „Fanfare," die Worte des Textes nicht verändernd, sondern
nur in einer Form kürzend, „die diese Kundgebung flie Abweisung Benedettis^
als eine abschließende erscheinen ließ, während die Redaktion Abekens nur als
ein Bruchstück einer schwebenden und in Berlin fortzusetzenden Verhandlung
erschienen sein würde." Er thut das mit dem klaren Bewußtsein, daß die
Depesche „nicht nur wegen des Inhalts, sondern auch wegen der Art der Ver-




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[0642] Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen Scheidung. . . . Worauf es mir ankommt, ist, daß wir die »Geforderten« sind." 1) Am 12. reist er, um auf Befehl des Königs nach Ems zu gehn, nach Berlin ab und empfängt dort am Abend bei seiner Ankunft Depeschen, daß der König mit Benedetti zu unterhandeln fortfahre; etwas später, als er mit Moltke und Roon bei Tische sitzt, trifft eine Pariser Depesche über den Rück¬ tritt des Prinzen von Hohenzollern ein. Im Gefühl, daß Deutschland eine schwere Demütigung, „schlimmer als die von Olmütz," erlitten, eine „franzö¬ sische Ohrfeige" erhalten habe, ist er entschlossen seinen Abschied zu fordern und bittet den Grafen Eulenburg, statt seiner nach Ems zu fahren, empfindet aber schon damals den Krieg „als eine Notwendigkeit, der wir mit Ehren nicht mehr ausweichen konnten," obwohl „wir ... als Händelsucher erscheinen würden, wenn wir ^jetzt noch^j zum Kriege schritten, durch den allein wir den Flecken abwaschen könnten." In dieser Stimmung lädt er Moltke und Roon für den 13- Juli zu Tische. Aus seiner Verlegenheit befreien ihn die Fran¬ zosen durch das Ansinnen Gramonts an Werther am 12. Juli, der noch an demselben Tage nach Ems und Berlin telegraphierte, und die Forderung Benedettis an den König am Morgen des 13. Juli, der eben aus Abekens Hand ein Extrablatt der Kölnischen Zeitung mit einer Pariser Depesche vom Nachmittage des 12. über den Rücktritt Leopolds erhalten hat. ^) Als Abekens chiffrierte Depesche aus Ems von 3^50 nachmittags um 6''9 in Berlin eintrifft, sitzt Bismarck mit Moltke und Roon wieder bei Tische, beide hören „niedergeschlagen" das inzwischen entzifferte Telegramm, das ihnen Bismarck vorliest. Dem aber geht in diesen weltgeschichtlichen Minuten, als Moltke die volle Kriegsbereitschaft des deutschen Heeres versichert hat, eine Fülle von Erwägungen durch das Haupt: die unerwartet gebotne Möglichkeit, die frühere Demütigung jetzt wettzumachen, der höchst ungünstige Eindruck, den das Zurückweichen vor dieser abermaligen Herausforderung auf Süddeutschland machen müsse, nachdem es seit 1866 auf die Kraft Preußens hat vertrauen lernen, die einigende Wirkung eines großen nationalen Krieges auf die Süd¬ deutschen und die neuen preußischen Provinzen, also zugleich die Notwendigkeit und die fortreißende Kraft eines Krieges, und in dieser Erkenntnis benutzt er die Ermächtigung des Königs zur Veröffentlichung der Depesche und macht aus der „Chamade" eine „Fanfare," die Worte des Textes nicht verändernd, sondern nur in einer Form kürzend, „die diese Kundgebung flie Abweisung Benedettis^ als eine abschließende erscheinen ließ, während die Redaktion Abekens nur als ein Bruchstück einer schwebenden und in Berlin fortzusetzenden Verhandlung erschienen sein würde." Er thut das mit dem klaren Bewußtsein, daß die Depesche „nicht nur wegen des Inhalts, sondern auch wegen der Art der Ver- >> a, a. O. 47. ° ) Abeken 375.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/642>, abgerufen am 28.09.2024.