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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Badische Airchenpolitik

der Sittlichkeit und Kultur geleistet oder nicht geleistet haben. Aber man sehe
die Wirkungen, die die Ordensniederlassungen in konfessionell gemischten Gegenden
oder die fremden Missionen in Baden selbst haben, deren Thätigkeit, seitdem
sie gesetzlich zulässig ist, die badische Regierung nie Schwierigkeiten in den Weg
gelegt hat. Wer würde sich nicht freuen, wenn so manchmal in einer Ge¬
meinde ein himmlischer Bote erscheinen könnte, der da die Leute anhielte, zu
thun, was sie schuldig sind. Vielen erscheint der fremde Kuttenträger ja als
so ein Bote des Himmels. Aber sieht man näher zu, so erkennt man den
Irrtum. Alle die kleinen oder großen Sünden blühen in der Gemeinde weiter,
als einziger Erfolg bleibt eine gewisse konfessionelle Verhärtung und Selbst¬
gerechtigkeit bestehn, die da Unfrieden schafft zwischen Mann und Frau, zwischen
Eltern und Kind, zwischen Herrin und Magd und so herum in der ganzen
Gemeinde. Die Leute haben nicht neue Kraft daraus gewonnen, die ihnen
auf dieser Welt gesteckte sittliche Aufgabe zu erfüllen, daß ihren Weg ein solcher
Wanderprediger kreuzte, dem nun doch fehlt, was uns einmal heute als das
Höchste erscheint: die Persönlichkeit, die ohne Eigentum, Familie und Freiheit
nicht denkbar ist.

Was wir von der außerhalb der geistlichen Hilfssunktionen liegenden
Thätigkeit der Orden denken, haben wir schon vorhin angedeutet. Wie die
badische Regierung hierüber und über andre grundsätzliche Dinge denkt, wissen
wir nicht; es ist nicht Sitte der Regierungsvertreter, ihre Weltanschauung
vor dem Parlament auszukramen. Aber wenn anders der Präsident des
badischen Staatsministeriums und der junge W. Nott, von dessen Freundschaft
mit Heinrich von Treitschke, diesem Apostel der Mission des Staates, uns
Theodor Schiemanns "Lehr- und Wanderjahre" erzählen, derselbe sind, so darf
mau glauben, daß ihm die Anschauung nicht fern liegt, die, zwar die Gewissens¬
freiheit über alles setzend, doch heute dem Staate und dem Wirken sür ihn die
höhere sittliche Wertung zu teil werden läßt als der Kirche. Aber auch ganz
" priori dürfen wir annehmen, daß ein Staat eine Maßnahme, die zunächst die
katholische Bevölkerung trifft, auch zunächst zu deren Nutzen und aus Wohlwollen
gegen sie faßt; anders wäre sie im tiefen Grunde ja kaum zu rechtfertigen.
Wenn das aber so ist, so können wir nicht begreifen, wie man dem Staate
zumuten will, er solle, wenn dies oder jenes eintritt: wenn das Zentrum von
der Demokratie, sei es die bürgerliche oder die der "Arbeiter," wie der für
die letzten Karlsruher Stadtverordnetenwahlen geprägte Ausdruck lautet, ab¬
rückt und stramm monarchisch und national wird, seine Haltung in dieser Sache
ändern. Je mehr sich das Zentrum in der angedeuteten Richtung wandeln
würde, desto weniger eifrig würde es selber die Forderung stellen, und weshalb
sich infolge einer so wünschenswerten Wandlung die Fürsorge und das Wohl¬
wollen der Regierung mindern sollte, ist nicht abzusehn. Zu einem Handels¬
geschäft ist die Sache nicht angethan; ob die badische Residenzstadt in den


Badische Airchenpolitik

der Sittlichkeit und Kultur geleistet oder nicht geleistet haben. Aber man sehe
die Wirkungen, die die Ordensniederlassungen in konfessionell gemischten Gegenden
oder die fremden Missionen in Baden selbst haben, deren Thätigkeit, seitdem
sie gesetzlich zulässig ist, die badische Regierung nie Schwierigkeiten in den Weg
gelegt hat. Wer würde sich nicht freuen, wenn so manchmal in einer Ge¬
meinde ein himmlischer Bote erscheinen könnte, der da die Leute anhielte, zu
thun, was sie schuldig sind. Vielen erscheint der fremde Kuttenträger ja als
so ein Bote des Himmels. Aber sieht man näher zu, so erkennt man den
Irrtum. Alle die kleinen oder großen Sünden blühen in der Gemeinde weiter,
als einziger Erfolg bleibt eine gewisse konfessionelle Verhärtung und Selbst¬
gerechtigkeit bestehn, die da Unfrieden schafft zwischen Mann und Frau, zwischen
Eltern und Kind, zwischen Herrin und Magd und so herum in der ganzen
Gemeinde. Die Leute haben nicht neue Kraft daraus gewonnen, die ihnen
auf dieser Welt gesteckte sittliche Aufgabe zu erfüllen, daß ihren Weg ein solcher
Wanderprediger kreuzte, dem nun doch fehlt, was uns einmal heute als das
Höchste erscheint: die Persönlichkeit, die ohne Eigentum, Familie und Freiheit
nicht denkbar ist.

Was wir von der außerhalb der geistlichen Hilfssunktionen liegenden
Thätigkeit der Orden denken, haben wir schon vorhin angedeutet. Wie die
badische Regierung hierüber und über andre grundsätzliche Dinge denkt, wissen
wir nicht; es ist nicht Sitte der Regierungsvertreter, ihre Weltanschauung
vor dem Parlament auszukramen. Aber wenn anders der Präsident des
badischen Staatsministeriums und der junge W. Nott, von dessen Freundschaft
mit Heinrich von Treitschke, diesem Apostel der Mission des Staates, uns
Theodor Schiemanns „Lehr- und Wanderjahre" erzählen, derselbe sind, so darf
mau glauben, daß ihm die Anschauung nicht fern liegt, die, zwar die Gewissens¬
freiheit über alles setzend, doch heute dem Staate und dem Wirken sür ihn die
höhere sittliche Wertung zu teil werden läßt als der Kirche. Aber auch ganz
» priori dürfen wir annehmen, daß ein Staat eine Maßnahme, die zunächst die
katholische Bevölkerung trifft, auch zunächst zu deren Nutzen und aus Wohlwollen
gegen sie faßt; anders wäre sie im tiefen Grunde ja kaum zu rechtfertigen.
Wenn das aber so ist, so können wir nicht begreifen, wie man dem Staate
zumuten will, er solle, wenn dies oder jenes eintritt: wenn das Zentrum von
der Demokratie, sei es die bürgerliche oder die der „Arbeiter," wie der für
die letzten Karlsruher Stadtverordnetenwahlen geprägte Ausdruck lautet, ab¬
rückt und stramm monarchisch und national wird, seine Haltung in dieser Sache
ändern. Je mehr sich das Zentrum in der angedeuteten Richtung wandeln
würde, desto weniger eifrig würde es selber die Forderung stellen, und weshalb
sich infolge einer so wünschenswerten Wandlung die Fürsorge und das Wohl¬
wollen der Regierung mindern sollte, ist nicht abzusehn. Zu einem Handels¬
geschäft ist die Sache nicht angethan; ob die badische Residenzstadt in den


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[0631] Badische Airchenpolitik der Sittlichkeit und Kultur geleistet oder nicht geleistet haben. Aber man sehe die Wirkungen, die die Ordensniederlassungen in konfessionell gemischten Gegenden oder die fremden Missionen in Baden selbst haben, deren Thätigkeit, seitdem sie gesetzlich zulässig ist, die badische Regierung nie Schwierigkeiten in den Weg gelegt hat. Wer würde sich nicht freuen, wenn so manchmal in einer Ge¬ meinde ein himmlischer Bote erscheinen könnte, der da die Leute anhielte, zu thun, was sie schuldig sind. Vielen erscheint der fremde Kuttenträger ja als so ein Bote des Himmels. Aber sieht man näher zu, so erkennt man den Irrtum. Alle die kleinen oder großen Sünden blühen in der Gemeinde weiter, als einziger Erfolg bleibt eine gewisse konfessionelle Verhärtung und Selbst¬ gerechtigkeit bestehn, die da Unfrieden schafft zwischen Mann und Frau, zwischen Eltern und Kind, zwischen Herrin und Magd und so herum in der ganzen Gemeinde. Die Leute haben nicht neue Kraft daraus gewonnen, die ihnen auf dieser Welt gesteckte sittliche Aufgabe zu erfüllen, daß ihren Weg ein solcher Wanderprediger kreuzte, dem nun doch fehlt, was uns einmal heute als das Höchste erscheint: die Persönlichkeit, die ohne Eigentum, Familie und Freiheit nicht denkbar ist. Was wir von der außerhalb der geistlichen Hilfssunktionen liegenden Thätigkeit der Orden denken, haben wir schon vorhin angedeutet. Wie die badische Regierung hierüber und über andre grundsätzliche Dinge denkt, wissen wir nicht; es ist nicht Sitte der Regierungsvertreter, ihre Weltanschauung vor dem Parlament auszukramen. Aber wenn anders der Präsident des badischen Staatsministeriums und der junge W. Nott, von dessen Freundschaft mit Heinrich von Treitschke, diesem Apostel der Mission des Staates, uns Theodor Schiemanns „Lehr- und Wanderjahre" erzählen, derselbe sind, so darf mau glauben, daß ihm die Anschauung nicht fern liegt, die, zwar die Gewissens¬ freiheit über alles setzend, doch heute dem Staate und dem Wirken sür ihn die höhere sittliche Wertung zu teil werden läßt als der Kirche. Aber auch ganz » priori dürfen wir annehmen, daß ein Staat eine Maßnahme, die zunächst die katholische Bevölkerung trifft, auch zunächst zu deren Nutzen und aus Wohlwollen gegen sie faßt; anders wäre sie im tiefen Grunde ja kaum zu rechtfertigen. Wenn das aber so ist, so können wir nicht begreifen, wie man dem Staate zumuten will, er solle, wenn dies oder jenes eintritt: wenn das Zentrum von der Demokratie, sei es die bürgerliche oder die der „Arbeiter," wie der für die letzten Karlsruher Stadtverordnetenwahlen geprägte Ausdruck lautet, ab¬ rückt und stramm monarchisch und national wird, seine Haltung in dieser Sache ändern. Je mehr sich das Zentrum in der angedeuteten Richtung wandeln würde, desto weniger eifrig würde es selber die Forderung stellen, und weshalb sich infolge einer so wünschenswerten Wandlung die Fürsorge und das Wohl¬ wollen der Regierung mindern sollte, ist nicht abzusehn. Zu einem Handels¬ geschäft ist die Sache nicht angethan; ob die badische Residenzstadt in den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/631>, abgerufen am 28.09.2024.