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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Badische Kirchenpolitik

tretung übernahmen; daß diese Absicht bestehe, wurde von ultramontaner
Seite bestritten, aber sicherlich macht man keine Gesetze, damit sie nicht an¬
gewandt werden. Endlich sollen die erzbischöflichen Behörden, als da sind
Kapitulcirvikar, Generalvikar, die außerordentlichen Räte und Assessoren des
Ordinariats, sowie die Seminarvorsteher und -lehrer nicht mehr der Mißfallens-
erklärnng der Regierung unterliegen. Auch der zweite Zentrumsantrag wurde
in der Zweiten Kammer angenommen. Die Erste Kammer dagegen lehnte
beide mit allen gegen drei Stimmen ab. Die Regierung definierte durch den
Mund des Staatsministers Dr. Nott ihre ablehnende Haltung, nur wurde
es als möglich bezeichnet, daß die Dispensbefugnis der Regierung auch auf
die Jesuitenanstalten ausgedehnt werden könnte; da es sich aber um eine ge¬
setzliche Bestimmung handelt, kann diese Änderung natürlich nur durch Über¬
einstimmung beider Kammern herbeigeführt werden, die vorderhand noch fehlt.

So in Kürze der Gang der Verhandlungen. Es handelt sich bloß um
ein paar Dutzend braune oder schwarze Kutten, um ein paar Semester auf
den Schulen in der ewigen Stadt oder im deutschen Innsbruck und dergleichen.
Man müßte die Zeitrichtung schlecht kennen, wenn man behaupten wollte, daß
man im großen Publikum heute geneigt sei, sich über derlei Dinge besonders
aufzuregen. Wenn zwar in Baden die Liberalen wünschen, daß die Jesuiten¬
schulen in Rom und Innsbruck den angehenden Priestern weiter verboten
bleiben, so will die Mehrheit des deutschen Reichstags, von der die eigentlich
katholische Partei nur einen starken Bruchteil ausmacht, sie gar in das eigne
Land zulassen. Man sagt: "Laßt getrost auch nach Baden ein paar Männer¬
orden hinein, großen Schaden werden sie nicht anrichten, und das Zentrum
giebt dann endlich Ruhe," und hält das für realpolitische Weisheit. Wir
stehn nicht auf diesem Standpunkt- So kavaliermäßig ist die Frage nicht zu
behandeln. Wenn hüben gegen die katholischen Forderungen eine ziemliche
Gleichgiltigkeit herrscht, so ist diese Gleichgiltigkeit eben einseitig. Drüben er¬
strebt man diese Dinge mit heißem Bemühen und mit vollem Bewußtsein
dessen, was man daran hat; schon das muß bedenklich machen. Aber selbst
wenn man die Frage zu den minder wichtigen zählt, so ist das kein Grund,
nachzugeben und das Falsche zu thun.

Gehn wir nun auf die besondern Forderungen des badischen Zentrums
mit wenigen Worten ein, so müssen wir an die Spitze die Thatsache stellen,
daß es, solange es ein Großherzvgtum Baden giebt, keine Männerklöster darin
gegeben hat. Die Errichtung ist nicht durch die Verfassung verboten, vielmehr
ist es durch das Konstitutivnsedikt des Großherzogs Karl Friedrich vom
14. Mai 1807 und durch das heute giltige Gesetz vom 9. Oktober 1860 in
die Hand der Regierung gegeben, Klöster zuzulassen. Das ist ein Hoheits¬
recht, auf das kein moderner Staat verzichten kann; sämtliche übrigen deutschen
Staaten üben es aus. Das Exzeptionelle ist, daß in einem Lande mit nahezu
zwei Dritteln katholischer Bevölkerung, wo die Anregung an die Regierung


Badische Kirchenpolitik

tretung übernahmen; daß diese Absicht bestehe, wurde von ultramontaner
Seite bestritten, aber sicherlich macht man keine Gesetze, damit sie nicht an¬
gewandt werden. Endlich sollen die erzbischöflichen Behörden, als da sind
Kapitulcirvikar, Generalvikar, die außerordentlichen Räte und Assessoren des
Ordinariats, sowie die Seminarvorsteher und -lehrer nicht mehr der Mißfallens-
erklärnng der Regierung unterliegen. Auch der zweite Zentrumsantrag wurde
in der Zweiten Kammer angenommen. Die Erste Kammer dagegen lehnte
beide mit allen gegen drei Stimmen ab. Die Regierung definierte durch den
Mund des Staatsministers Dr. Nott ihre ablehnende Haltung, nur wurde
es als möglich bezeichnet, daß die Dispensbefugnis der Regierung auch auf
die Jesuitenanstalten ausgedehnt werden könnte; da es sich aber um eine ge¬
setzliche Bestimmung handelt, kann diese Änderung natürlich nur durch Über¬
einstimmung beider Kammern herbeigeführt werden, die vorderhand noch fehlt.

So in Kürze der Gang der Verhandlungen. Es handelt sich bloß um
ein paar Dutzend braune oder schwarze Kutten, um ein paar Semester auf
den Schulen in der ewigen Stadt oder im deutschen Innsbruck und dergleichen.
Man müßte die Zeitrichtung schlecht kennen, wenn man behaupten wollte, daß
man im großen Publikum heute geneigt sei, sich über derlei Dinge besonders
aufzuregen. Wenn zwar in Baden die Liberalen wünschen, daß die Jesuiten¬
schulen in Rom und Innsbruck den angehenden Priestern weiter verboten
bleiben, so will die Mehrheit des deutschen Reichstags, von der die eigentlich
katholische Partei nur einen starken Bruchteil ausmacht, sie gar in das eigne
Land zulassen. Man sagt: „Laßt getrost auch nach Baden ein paar Männer¬
orden hinein, großen Schaden werden sie nicht anrichten, und das Zentrum
giebt dann endlich Ruhe," und hält das für realpolitische Weisheit. Wir
stehn nicht auf diesem Standpunkt- So kavaliermäßig ist die Frage nicht zu
behandeln. Wenn hüben gegen die katholischen Forderungen eine ziemliche
Gleichgiltigkeit herrscht, so ist diese Gleichgiltigkeit eben einseitig. Drüben er¬
strebt man diese Dinge mit heißem Bemühen und mit vollem Bewußtsein
dessen, was man daran hat; schon das muß bedenklich machen. Aber selbst
wenn man die Frage zu den minder wichtigen zählt, so ist das kein Grund,
nachzugeben und das Falsche zu thun.

Gehn wir nun auf die besondern Forderungen des badischen Zentrums
mit wenigen Worten ein, so müssen wir an die Spitze die Thatsache stellen,
daß es, solange es ein Großherzvgtum Baden giebt, keine Männerklöster darin
gegeben hat. Die Errichtung ist nicht durch die Verfassung verboten, vielmehr
ist es durch das Konstitutivnsedikt des Großherzogs Karl Friedrich vom
14. Mai 1807 und durch das heute giltige Gesetz vom 9. Oktober 1860 in
die Hand der Regierung gegeben, Klöster zuzulassen. Das ist ein Hoheits¬
recht, auf das kein moderner Staat verzichten kann; sämtliche übrigen deutschen
Staaten üben es aus. Das Exzeptionelle ist, daß in einem Lande mit nahezu
zwei Dritteln katholischer Bevölkerung, wo die Anregung an die Regierung


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[0626] Badische Kirchenpolitik tretung übernahmen; daß diese Absicht bestehe, wurde von ultramontaner Seite bestritten, aber sicherlich macht man keine Gesetze, damit sie nicht an¬ gewandt werden. Endlich sollen die erzbischöflichen Behörden, als da sind Kapitulcirvikar, Generalvikar, die außerordentlichen Räte und Assessoren des Ordinariats, sowie die Seminarvorsteher und -lehrer nicht mehr der Mißfallens- erklärnng der Regierung unterliegen. Auch der zweite Zentrumsantrag wurde in der Zweiten Kammer angenommen. Die Erste Kammer dagegen lehnte beide mit allen gegen drei Stimmen ab. Die Regierung definierte durch den Mund des Staatsministers Dr. Nott ihre ablehnende Haltung, nur wurde es als möglich bezeichnet, daß die Dispensbefugnis der Regierung auch auf die Jesuitenanstalten ausgedehnt werden könnte; da es sich aber um eine ge¬ setzliche Bestimmung handelt, kann diese Änderung natürlich nur durch Über¬ einstimmung beider Kammern herbeigeführt werden, die vorderhand noch fehlt. So in Kürze der Gang der Verhandlungen. Es handelt sich bloß um ein paar Dutzend braune oder schwarze Kutten, um ein paar Semester auf den Schulen in der ewigen Stadt oder im deutschen Innsbruck und dergleichen. Man müßte die Zeitrichtung schlecht kennen, wenn man behaupten wollte, daß man im großen Publikum heute geneigt sei, sich über derlei Dinge besonders aufzuregen. Wenn zwar in Baden die Liberalen wünschen, daß die Jesuiten¬ schulen in Rom und Innsbruck den angehenden Priestern weiter verboten bleiben, so will die Mehrheit des deutschen Reichstags, von der die eigentlich katholische Partei nur einen starken Bruchteil ausmacht, sie gar in das eigne Land zulassen. Man sagt: „Laßt getrost auch nach Baden ein paar Männer¬ orden hinein, großen Schaden werden sie nicht anrichten, und das Zentrum giebt dann endlich Ruhe," und hält das für realpolitische Weisheit. Wir stehn nicht auf diesem Standpunkt- So kavaliermäßig ist die Frage nicht zu behandeln. Wenn hüben gegen die katholischen Forderungen eine ziemliche Gleichgiltigkeit herrscht, so ist diese Gleichgiltigkeit eben einseitig. Drüben er¬ strebt man diese Dinge mit heißem Bemühen und mit vollem Bewußtsein dessen, was man daran hat; schon das muß bedenklich machen. Aber selbst wenn man die Frage zu den minder wichtigen zählt, so ist das kein Grund, nachzugeben und das Falsche zu thun. Gehn wir nun auf die besondern Forderungen des badischen Zentrums mit wenigen Worten ein, so müssen wir an die Spitze die Thatsache stellen, daß es, solange es ein Großherzvgtum Baden giebt, keine Männerklöster darin gegeben hat. Die Errichtung ist nicht durch die Verfassung verboten, vielmehr ist es durch das Konstitutivnsedikt des Großherzogs Karl Friedrich vom 14. Mai 1807 und durch das heute giltige Gesetz vom 9. Oktober 1860 in die Hand der Regierung gegeben, Klöster zuzulassen. Das ist ein Hoheits¬ recht, auf das kein moderner Staat verzichten kann; sämtliche übrigen deutschen Staaten üben es aus. Das Exzeptionelle ist, daß in einem Lande mit nahezu zwei Dritteln katholischer Bevölkerung, wo die Anregung an die Regierung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/626>, abgerufen am 28.09.2024.