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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Die Kunst für alle oder für wenige?

"Der Musciget Böcklins." Auch Lichtwark gehört ja zu den Verehrern und
Förderern der Böcklinschen Kunst. Man sollte nur in der Freude, daß der
große Künstler endlich durchgedrungen ist. allmählich auch die Bitterkeiten
darüber, daß es so spät geschah, vergessen sein lassen. Es war doch wirklich
keine so ganz leichte und kleine Sache, sich zu finden in diese Renaissance der
Renaissance (um ein jetzt vielgebrauchtes Wort anzuwenden). So natürlich
und echt auch alles in Böcklins Entwicklung zugegangen ist, mit Genuß kann
^ ja jetzt jeder in manchem guten Buche lesen: es wird doch keiner, wenn er
aufrichtig sein und nicht nur äußerlich die Verehrung mitmachen will, ein
Verhältnis zu ihm bekommen, der nicht in der ersten und eigentlichen Renaissance,
bei den Italienern einigermaßen zu Hause ist. Es braucht ja aber auch nicht
alles für jedermann zu sein. -- Im Pan (IV, 2 und 3) finden wir auch
weitere Tagebuchaufzeichnungen Rudolf Schlaks (1866) über Böcklin, die wieder
von dem allergrößten Interesse sind. Wie er seine Vorgänger kannte, wird
am besten aus einem Beispiel klar werden.

Dunkle Gewänder auf alten, besonders venezianischen und deutschen
Bildern seien infolge der schwachen Modellierung tief. Das beruhe auf dem¬
selben Gesetz, wie die lichtvolle Erscheinung eines Stoffs, die erhöht werde,
wenn bei dem lichtvollen Aufstrahlen die Einzelformen schwinden. "Sowohl
dunkle wie helle Stoffe verlieren an Modellationsstürke, und wie im dunkeln
Schatten sieht man auch weniger im hellen Licht. So hat Hans Holbein ein
schwarzes Gewand oft gar nicht mehr als Form behandelt, sondern nur als
tiefe Tonerscheinung ohne Modellierung, darauf dann, um den Kontrast zu
erhöhen, eine scharfgezeichnete goldne Kette, die dann auch wieder, indem sie
der Körperform nachgeht, diese nicht ganz im Dunkeln verschwinden läßt. Die
Altdeutschen scheinen aber nur dieses Verschwinden der Formen im Dunkel
bemerkt zu haben. denn ihr Licht haben sie gewöhnlich durch tausend Kleinig¬
keiten zerstört." Und nun noch eine Stelle über Böcklins Impressionismus
und seine tief ins einzelne gehende Erfindung. Als er einer von zwei auf
ferner Wiese wandelnden Frauengestalten einen schwachen Anilinton giebt,
äußert er. er hätte oft beobachtet, daß Violett in der Landschaft etwas un¬
gemein Wehmütiges habe. "Das Terrain ließ er rundlich nach hinten hinunter
gehn. Die Sehnsucht hinaus in die Ferne drückt sich nicht durch die Ferne
selbst aus, sondern gerade, wenn man sie nicht zeigt, aber ahnen läßt, daß es
hinten weiter geht. Dann fühlt man Verlangen, hinten auf die kleinen Hügel
zu klettern, um in die Ferne hinauszuschauen. Vorn die horizontale Fels¬
flache und darauf senkrechtes Gras drücken recht das horizontale weite Hinaus¬
gehen der Wiese aus." Man wird nicht erwarten, daß sich solchen Empfindungen
die Herzen aller Besucher der frühern Nationalgalerie öffnen. Für die sind
dann eben noch die gemalten Nniformknöpfe da. "Auf daß jedes was habe,"
wie Goethe zu sagen pflegte.


Die Kunst für alle oder für wenige?

»Der Musciget Böcklins." Auch Lichtwark gehört ja zu den Verehrern und
Förderern der Böcklinschen Kunst. Man sollte nur in der Freude, daß der
große Künstler endlich durchgedrungen ist. allmählich auch die Bitterkeiten
darüber, daß es so spät geschah, vergessen sein lassen. Es war doch wirklich
keine so ganz leichte und kleine Sache, sich zu finden in diese Renaissance der
Renaissance (um ein jetzt vielgebrauchtes Wort anzuwenden). So natürlich
und echt auch alles in Böcklins Entwicklung zugegangen ist, mit Genuß kann
^ ja jetzt jeder in manchem guten Buche lesen: es wird doch keiner, wenn er
aufrichtig sein und nicht nur äußerlich die Verehrung mitmachen will, ein
Verhältnis zu ihm bekommen, der nicht in der ersten und eigentlichen Renaissance,
bei den Italienern einigermaßen zu Hause ist. Es braucht ja aber auch nicht
alles für jedermann zu sein. — Im Pan (IV, 2 und 3) finden wir auch
weitere Tagebuchaufzeichnungen Rudolf Schlaks (1866) über Böcklin, die wieder
von dem allergrößten Interesse sind. Wie er seine Vorgänger kannte, wird
am besten aus einem Beispiel klar werden.

Dunkle Gewänder auf alten, besonders venezianischen und deutschen
Bildern seien infolge der schwachen Modellierung tief. Das beruhe auf dem¬
selben Gesetz, wie die lichtvolle Erscheinung eines Stoffs, die erhöht werde,
wenn bei dem lichtvollen Aufstrahlen die Einzelformen schwinden. „Sowohl
dunkle wie helle Stoffe verlieren an Modellationsstürke, und wie im dunkeln
Schatten sieht man auch weniger im hellen Licht. So hat Hans Holbein ein
schwarzes Gewand oft gar nicht mehr als Form behandelt, sondern nur als
tiefe Tonerscheinung ohne Modellierung, darauf dann, um den Kontrast zu
erhöhen, eine scharfgezeichnete goldne Kette, die dann auch wieder, indem sie
der Körperform nachgeht, diese nicht ganz im Dunkeln verschwinden läßt. Die
Altdeutschen scheinen aber nur dieses Verschwinden der Formen im Dunkel
bemerkt zu haben. denn ihr Licht haben sie gewöhnlich durch tausend Kleinig¬
keiten zerstört." Und nun noch eine Stelle über Böcklins Impressionismus
und seine tief ins einzelne gehende Erfindung. Als er einer von zwei auf
ferner Wiese wandelnden Frauengestalten einen schwachen Anilinton giebt,
äußert er. er hätte oft beobachtet, daß Violett in der Landschaft etwas un¬
gemein Wehmütiges habe. „Das Terrain ließ er rundlich nach hinten hinunter
gehn. Die Sehnsucht hinaus in die Ferne drückt sich nicht durch die Ferne
selbst aus, sondern gerade, wenn man sie nicht zeigt, aber ahnen läßt, daß es
hinten weiter geht. Dann fühlt man Verlangen, hinten auf die kleinen Hügel
zu klettern, um in die Ferne hinauszuschauen. Vorn die horizontale Fels¬
flache und darauf senkrechtes Gras drücken recht das horizontale weite Hinaus¬
gehen der Wiese aus." Man wird nicht erwarten, daß sich solchen Empfindungen
die Herzen aller Besucher der frühern Nationalgalerie öffnen. Für die sind
dann eben noch die gemalten Nniformknöpfe da. „Auf daß jedes was habe,"
wie Goethe zu sagen pflegte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/603>, abgerufen am 28.09.2024.