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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Ans den schwarzen Bergen

dem überraschten Auge Säulenstttmpfe und Grundmauern von großen Gebäuden
dar, die Herr Novinski, ein gelehrter Russe, der lange in Montenegro lebte,
und Herr Munro, ein Fellow des Lincoln College in Oxford, vor einigen
Jahren hier bloß gelegt haben.

Gleich am Eingange rechts liegt neben einer gebrochnen, weithin leuch¬
tenden Säule ein Tempel, den die Gelehrten als der Roma oder Minerva
geweiht bezeichneten, weiter hinein steht ein kleinerer der Diana. Beide sind
in römisch-ionischen Stile gebaut gewesen, in der Mitte der Giebel wurden
die Büsten der Göttinnen in Hochrelief entdeckt, an dem kleinern Tempel der
Diana sieht man noch jetzt die Neste zweier großer flacher Delphine, die das
Geländer zu beiden Seiten der Eingangsstufen schmückten. Östlich von diesen
Tempeln liegt eine Gruppe von zusammenhängenden Gebäuden, die die öffent¬
lichen Bäder der Stadt darstellten. Da sind Zimmer mit und ohne Heizvor-
richtnng gewesen, ein Schwimmbad, eine Reihe ganz großer, mittlerer und
kleinerer Zimmer, gedeckte Säulenhallen, offne Höfe, Gymnasien, kurz, diese
Stadt im rauhen Jllhricum, die wahrscheinlich erst unter Vespasian das
Bürgerrecht erhielt, scheint einen luxuriösern Badepalast gehabt zu haben, als
man heute auf der ganzen Valkcmhalbinfel finden könnte. Gegenüber dem
Bade und nach Stil, Ausführung und Inschriften zu urteilen der besten rö¬
mischen Zeit unter den slavischen Kaisern angehörig steht an der Westseite
eines offnen Platzes, des Forums, das Hauptgebäude der Stadt, die Basilika.
Man weiß, daß die römische Basilika, die als Börse, Stelldichein und Gerichts¬
halle diente, von den christlichen Architekten als Vorbild für ihre Kirchen be¬
nutzt wurde, und daß dem verachteten und bitter gehaßten Heidentum, gegen
das die Kirchenväter so viel Gift und Galle verspritzten, nicht nur die Idee,
sondern auch die mächtigen Marmorsäulen selbst entlehnt wurden, mit denen
man die Heiligtümer des neuen Gottes schmückte. Dabei kam es dann nicht
darauf an, Säulenbasen, Schäfte, Kcipitäle, Gebälke herauszureißen aus den
Prachtbauten der Antike und mit barbarischem Unverstand oft in einer Säulen¬
reihe die verschiedenartigsten Stile neben einander zu reihen, kurze Basen zu
verlängern, zu lange Schäfte zu kürzen, ans Kcipitäle erhöhendes Mauerwerk
zu kleben: die bekannte Geschmacklosigkeit der Mutterreligion kam an der here¬
ditär stark belasteten Tochterreligion zu erschreckendem Ausbruch, und wer sich
an das traurige Ende der herrlichen, ebenfalls auf dem Heidentum ruhenden
Renaissancekunst durch Protestantismus und Bildersturm erinnert, der weiß,
daß die hohe Patientin bis heute uoch uicht gänzlich genesen ist. Auch in
Doclea entdeckte Herr Munro unter riesigen Schutthaufen die gut erhaltnen
Wände zweier christlicher Kirchen, zu denen die erwähnte Basilika den bequem
gelegnen Steinbruch hatte abgeben müssen, man fand hier die verschiedenartigsten
Kcipitäle, römisch-korinthische von der Basilika, römisch-ionische, solche ganz ver¬
rohten ionischen und byzantinischen Stils über den Boden verstreut.


Ans den schwarzen Bergen

dem überraschten Auge Säulenstttmpfe und Grundmauern von großen Gebäuden
dar, die Herr Novinski, ein gelehrter Russe, der lange in Montenegro lebte,
und Herr Munro, ein Fellow des Lincoln College in Oxford, vor einigen
Jahren hier bloß gelegt haben.

Gleich am Eingange rechts liegt neben einer gebrochnen, weithin leuch¬
tenden Säule ein Tempel, den die Gelehrten als der Roma oder Minerva
geweiht bezeichneten, weiter hinein steht ein kleinerer der Diana. Beide sind
in römisch-ionischen Stile gebaut gewesen, in der Mitte der Giebel wurden
die Büsten der Göttinnen in Hochrelief entdeckt, an dem kleinern Tempel der
Diana sieht man noch jetzt die Neste zweier großer flacher Delphine, die das
Geländer zu beiden Seiten der Eingangsstufen schmückten. Östlich von diesen
Tempeln liegt eine Gruppe von zusammenhängenden Gebäuden, die die öffent¬
lichen Bäder der Stadt darstellten. Da sind Zimmer mit und ohne Heizvor-
richtnng gewesen, ein Schwimmbad, eine Reihe ganz großer, mittlerer und
kleinerer Zimmer, gedeckte Säulenhallen, offne Höfe, Gymnasien, kurz, diese
Stadt im rauhen Jllhricum, die wahrscheinlich erst unter Vespasian das
Bürgerrecht erhielt, scheint einen luxuriösern Badepalast gehabt zu haben, als
man heute auf der ganzen Valkcmhalbinfel finden könnte. Gegenüber dem
Bade und nach Stil, Ausführung und Inschriften zu urteilen der besten rö¬
mischen Zeit unter den slavischen Kaisern angehörig steht an der Westseite
eines offnen Platzes, des Forums, das Hauptgebäude der Stadt, die Basilika.
Man weiß, daß die römische Basilika, die als Börse, Stelldichein und Gerichts¬
halle diente, von den christlichen Architekten als Vorbild für ihre Kirchen be¬
nutzt wurde, und daß dem verachteten und bitter gehaßten Heidentum, gegen
das die Kirchenväter so viel Gift und Galle verspritzten, nicht nur die Idee,
sondern auch die mächtigen Marmorsäulen selbst entlehnt wurden, mit denen
man die Heiligtümer des neuen Gottes schmückte. Dabei kam es dann nicht
darauf an, Säulenbasen, Schäfte, Kcipitäle, Gebälke herauszureißen aus den
Prachtbauten der Antike und mit barbarischem Unverstand oft in einer Säulen¬
reihe die verschiedenartigsten Stile neben einander zu reihen, kurze Basen zu
verlängern, zu lange Schäfte zu kürzen, ans Kcipitäle erhöhendes Mauerwerk
zu kleben: die bekannte Geschmacklosigkeit der Mutterreligion kam an der here¬
ditär stark belasteten Tochterreligion zu erschreckendem Ausbruch, und wer sich
an das traurige Ende der herrlichen, ebenfalls auf dem Heidentum ruhenden
Renaissancekunst durch Protestantismus und Bildersturm erinnert, der weiß,
daß die hohe Patientin bis heute uoch uicht gänzlich genesen ist. Auch in
Doclea entdeckte Herr Munro unter riesigen Schutthaufen die gut erhaltnen
Wände zweier christlicher Kirchen, zu denen die erwähnte Basilika den bequem
gelegnen Steinbruch hatte abgeben müssen, man fand hier die verschiedenartigsten
Kcipitäle, römisch-korinthische von der Basilika, römisch-ionische, solche ganz ver¬
rohten ionischen und byzantinischen Stils über den Boden verstreut.


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[0598] Ans den schwarzen Bergen dem überraschten Auge Säulenstttmpfe und Grundmauern von großen Gebäuden dar, die Herr Novinski, ein gelehrter Russe, der lange in Montenegro lebte, und Herr Munro, ein Fellow des Lincoln College in Oxford, vor einigen Jahren hier bloß gelegt haben. Gleich am Eingange rechts liegt neben einer gebrochnen, weithin leuch¬ tenden Säule ein Tempel, den die Gelehrten als der Roma oder Minerva geweiht bezeichneten, weiter hinein steht ein kleinerer der Diana. Beide sind in römisch-ionischen Stile gebaut gewesen, in der Mitte der Giebel wurden die Büsten der Göttinnen in Hochrelief entdeckt, an dem kleinern Tempel der Diana sieht man noch jetzt die Neste zweier großer flacher Delphine, die das Geländer zu beiden Seiten der Eingangsstufen schmückten. Östlich von diesen Tempeln liegt eine Gruppe von zusammenhängenden Gebäuden, die die öffent¬ lichen Bäder der Stadt darstellten. Da sind Zimmer mit und ohne Heizvor- richtnng gewesen, ein Schwimmbad, eine Reihe ganz großer, mittlerer und kleinerer Zimmer, gedeckte Säulenhallen, offne Höfe, Gymnasien, kurz, diese Stadt im rauhen Jllhricum, die wahrscheinlich erst unter Vespasian das Bürgerrecht erhielt, scheint einen luxuriösern Badepalast gehabt zu haben, als man heute auf der ganzen Valkcmhalbinfel finden könnte. Gegenüber dem Bade und nach Stil, Ausführung und Inschriften zu urteilen der besten rö¬ mischen Zeit unter den slavischen Kaisern angehörig steht an der Westseite eines offnen Platzes, des Forums, das Hauptgebäude der Stadt, die Basilika. Man weiß, daß die römische Basilika, die als Börse, Stelldichein und Gerichts¬ halle diente, von den christlichen Architekten als Vorbild für ihre Kirchen be¬ nutzt wurde, und daß dem verachteten und bitter gehaßten Heidentum, gegen das die Kirchenväter so viel Gift und Galle verspritzten, nicht nur die Idee, sondern auch die mächtigen Marmorsäulen selbst entlehnt wurden, mit denen man die Heiligtümer des neuen Gottes schmückte. Dabei kam es dann nicht darauf an, Säulenbasen, Schäfte, Kcipitäle, Gebälke herauszureißen aus den Prachtbauten der Antike und mit barbarischem Unverstand oft in einer Säulen¬ reihe die verschiedenartigsten Stile neben einander zu reihen, kurze Basen zu verlängern, zu lange Schäfte zu kürzen, ans Kcipitäle erhöhendes Mauerwerk zu kleben: die bekannte Geschmacklosigkeit der Mutterreligion kam an der here¬ ditär stark belasteten Tochterreligion zu erschreckendem Ausbruch, und wer sich an das traurige Ende der herrlichen, ebenfalls auf dem Heidentum ruhenden Renaissancekunst durch Protestantismus und Bildersturm erinnert, der weiß, daß die hohe Patientin bis heute uoch uicht gänzlich genesen ist. Auch in Doclea entdeckte Herr Munro unter riesigen Schutthaufen die gut erhaltnen Wände zweier christlicher Kirchen, zu denen die erwähnte Basilika den bequem gelegnen Steinbruch hatte abgeben müssen, man fand hier die verschiedenartigsten Kcipitäle, römisch-korinthische von der Basilika, römisch-ionische, solche ganz ver¬ rohten ionischen und byzantinischen Stils über den Boden verstreut.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/598>, abgerufen am 28.09.2024.