Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus den schwarzen Bergen

Luken stellten, um den Feinden zu beweisen, daß sie auf ihrer Hut seien. Wir
glaubten nicht anders, als daß jene ungekannten Bergteufel schon unter uns
seien, als wir einst mitten in der Nacht ein gewaltiges Feuer in der Stadt
erblickten und gleichzeitig ganze Salven von Pistolenschüssen vor dem Hause,
in dem unser kümmerliches Nachtlager aufgeschlagen war, ertönten. Schon
wurden unsre Revolver in Bereitschaft gesetzt, als es uns klar gemacht wurde,
daß das Schießen der ländlich-sittliche Feuerlärm der Montenegriner sei.

Die Flamme leckte noch hoch an den leichtgebauten Häusern empor, als
wir eines frühen Sonntagmorgens Podgoritza den Rücken kehrten. Vom
Kranze des Minaret rief der Muezzin die Gläubigen zum Gebet, und schwer
beturbante Türken in safrangelben Schuhen, engbehoste Stadtalbanesen und
andre in dem kleidsamen, Weißen, kurzen Weiberrock, der dem Kilt der schot¬
tischen Hochländer ähnelt, folgten seinem Rufe, dazu erschollen mißtönend
durch einander lautend die Glocken der orthodoxen und der katholischen Kirchen.
Läutet nur, ihr Glocken, singe nur dein Lied hinaus in die Lüfte, Muezzin,
schlagt eure Kreuze vor euern Ikons, ihr Orthodoxen, wir ziehen mit Freuden
hinweg von euern düstern Hallen zum größern Tempel der Natur, in dem
statt näselnder Priester die Lerche das Lob des Schöpfers singt, hinweg von
euch Wahnwitzigen, die ihr euch auf Erden schon um den Himmel herumschlägt,
zu Menschen, die von Rcligionskämpfen kein Sterbenswörtchen wußten, hinweg
von den Juden -- zu den Heiden!

Dort, eine halbe Stunde nordwestlich von Podgoritza, wo sich die blonde
Moratscha mit der von Norden kommenden schwarzen Zeta vermählt, er¬
scheint, genau in dem Winkel der beiden Flüsse gelegen, ein riesiges, wei߬
schimmerndes Trümmerfeld: es ist das alte Doelea*) oder Dioelea, wie frühere
Geschichtschreiber, die die Stadt als den Geburtsort Dioelctians ansahen, es
genannt haben. Um von der Straße von Podgoritza nach Niksitsch dorthin
zu gelangen, müssen wir eine neue Brücke über die Zeta kreuzen, dann auf
dem linken Ufer des Flusses zurückgehn und einen tief eingeschnittnen Gebirgs-
bach auf einer zweiten Brücke überschreiten, die, wie der erste Blick lehrt, fast
gänzlich aus alten Säulenfragmenten und -daher und Stücken kunstvoll be¬
arbeiteter Steine hergestellt ist, um auf der andern Seite auf einen Weg zu
kommen, der von einer Reihe Inschriften tragender Blöcke zu beiden Seiten
begrenzt wird. Er führt uns direkt auf eine Lücke in der Stadtmauer zu.
Unter Dornbüschen, Brombeerstrüucheu und Unkraut schlummern hier, halb
versteckt dem Blicke des Suchenden, die Ruinen von Dioelea. Hier und da hat
der Bauer, um Platz für seine Maisfelder zu schaffen, Steine und Ziegel
sorglich auf einen Haufen zusammengetragen, an andern Stellen bieten sich



") Für den folgenden Abschnitt s. ^roKasoloKi", Vol. 8b x, 33--92. On elf Roman
tour ok voolöÄ, in NontonsAro. I?7 ^. L.. L. Nuri'0, w O. I< H.lläoi'80it, 5. 6, Niluo
unä 2u>vorüolä.
Aus den schwarzen Bergen

Luken stellten, um den Feinden zu beweisen, daß sie auf ihrer Hut seien. Wir
glaubten nicht anders, als daß jene ungekannten Bergteufel schon unter uns
seien, als wir einst mitten in der Nacht ein gewaltiges Feuer in der Stadt
erblickten und gleichzeitig ganze Salven von Pistolenschüssen vor dem Hause,
in dem unser kümmerliches Nachtlager aufgeschlagen war, ertönten. Schon
wurden unsre Revolver in Bereitschaft gesetzt, als es uns klar gemacht wurde,
daß das Schießen der ländlich-sittliche Feuerlärm der Montenegriner sei.

Die Flamme leckte noch hoch an den leichtgebauten Häusern empor, als
wir eines frühen Sonntagmorgens Podgoritza den Rücken kehrten. Vom
Kranze des Minaret rief der Muezzin die Gläubigen zum Gebet, und schwer
beturbante Türken in safrangelben Schuhen, engbehoste Stadtalbanesen und
andre in dem kleidsamen, Weißen, kurzen Weiberrock, der dem Kilt der schot¬
tischen Hochländer ähnelt, folgten seinem Rufe, dazu erschollen mißtönend
durch einander lautend die Glocken der orthodoxen und der katholischen Kirchen.
Läutet nur, ihr Glocken, singe nur dein Lied hinaus in die Lüfte, Muezzin,
schlagt eure Kreuze vor euern Ikons, ihr Orthodoxen, wir ziehen mit Freuden
hinweg von euern düstern Hallen zum größern Tempel der Natur, in dem
statt näselnder Priester die Lerche das Lob des Schöpfers singt, hinweg von
euch Wahnwitzigen, die ihr euch auf Erden schon um den Himmel herumschlägt,
zu Menschen, die von Rcligionskämpfen kein Sterbenswörtchen wußten, hinweg
von den Juden — zu den Heiden!

Dort, eine halbe Stunde nordwestlich von Podgoritza, wo sich die blonde
Moratscha mit der von Norden kommenden schwarzen Zeta vermählt, er¬
scheint, genau in dem Winkel der beiden Flüsse gelegen, ein riesiges, wei߬
schimmerndes Trümmerfeld: es ist das alte Doelea*) oder Dioelea, wie frühere
Geschichtschreiber, die die Stadt als den Geburtsort Dioelctians ansahen, es
genannt haben. Um von der Straße von Podgoritza nach Niksitsch dorthin
zu gelangen, müssen wir eine neue Brücke über die Zeta kreuzen, dann auf
dem linken Ufer des Flusses zurückgehn und einen tief eingeschnittnen Gebirgs-
bach auf einer zweiten Brücke überschreiten, die, wie der erste Blick lehrt, fast
gänzlich aus alten Säulenfragmenten und -daher und Stücken kunstvoll be¬
arbeiteter Steine hergestellt ist, um auf der andern Seite auf einen Weg zu
kommen, der von einer Reihe Inschriften tragender Blöcke zu beiden Seiten
begrenzt wird. Er führt uns direkt auf eine Lücke in der Stadtmauer zu.
Unter Dornbüschen, Brombeerstrüucheu und Unkraut schlummern hier, halb
versteckt dem Blicke des Suchenden, die Ruinen von Dioelea. Hier und da hat
der Bauer, um Platz für seine Maisfelder zu schaffen, Steine und Ziegel
sorglich auf einen Haufen zusammengetragen, an andern Stellen bieten sich



») Für den folgenden Abschnitt s. ^roKasoloKi», Vol. 8b x, 33—92. On elf Roman
tour ok voolöÄ, in NontonsAro. I?7 ^. L.. L. Nuri'0, w O. I< H.lläoi'80it, 5. 6, Niluo
unä 2u>vorüolä.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0597" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231029"/>
          <fw type="header" place="top"> Aus den schwarzen Bergen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1992" prev="#ID_1991"> Luken stellten, um den Feinden zu beweisen, daß sie auf ihrer Hut seien. Wir<lb/>
glaubten nicht anders, als daß jene ungekannten Bergteufel schon unter uns<lb/>
seien, als wir einst mitten in der Nacht ein gewaltiges Feuer in der Stadt<lb/>
erblickten und gleichzeitig ganze Salven von Pistolenschüssen vor dem Hause,<lb/>
in dem unser kümmerliches Nachtlager aufgeschlagen war, ertönten. Schon<lb/>
wurden unsre Revolver in Bereitschaft gesetzt, als es uns klar gemacht wurde,<lb/>
daß das Schießen der ländlich-sittliche Feuerlärm der Montenegriner sei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1993"> Die Flamme leckte noch hoch an den leichtgebauten Häusern empor, als<lb/>
wir eines frühen Sonntagmorgens Podgoritza den Rücken kehrten. Vom<lb/>
Kranze des Minaret rief der Muezzin die Gläubigen zum Gebet, und schwer<lb/>
beturbante Türken in safrangelben Schuhen, engbehoste Stadtalbanesen und<lb/>
andre in dem kleidsamen, Weißen, kurzen Weiberrock, der dem Kilt der schot¬<lb/>
tischen Hochländer ähnelt, folgten seinem Rufe, dazu erschollen mißtönend<lb/>
durch einander lautend die Glocken der orthodoxen und der katholischen Kirchen.<lb/>
Läutet nur, ihr Glocken, singe nur dein Lied hinaus in die Lüfte, Muezzin,<lb/>
schlagt eure Kreuze vor euern Ikons, ihr Orthodoxen, wir ziehen mit Freuden<lb/>
hinweg von euern düstern Hallen zum größern Tempel der Natur, in dem<lb/>
statt näselnder Priester die Lerche das Lob des Schöpfers singt, hinweg von<lb/>
euch Wahnwitzigen, die ihr euch auf Erden schon um den Himmel herumschlägt,<lb/>
zu Menschen, die von Rcligionskämpfen kein Sterbenswörtchen wußten, hinweg<lb/>
von den Juden &#x2014; zu den Heiden!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1994" next="#ID_1995"> Dort, eine halbe Stunde nordwestlich von Podgoritza, wo sich die blonde<lb/>
Moratscha mit der von Norden kommenden schwarzen Zeta vermählt, er¬<lb/>
scheint, genau in dem Winkel der beiden Flüsse gelegen, ein riesiges, wei߬<lb/>
schimmerndes Trümmerfeld: es ist das alte Doelea*) oder Dioelea, wie frühere<lb/>
Geschichtschreiber, die die Stadt als den Geburtsort Dioelctians ansahen, es<lb/>
genannt haben. Um von der Straße von Podgoritza nach Niksitsch dorthin<lb/>
zu gelangen, müssen wir eine neue Brücke über die Zeta kreuzen, dann auf<lb/>
dem linken Ufer des Flusses zurückgehn und einen tief eingeschnittnen Gebirgs-<lb/>
bach auf einer zweiten Brücke überschreiten, die, wie der erste Blick lehrt, fast<lb/>
gänzlich aus alten Säulenfragmenten und -daher und Stücken kunstvoll be¬<lb/>
arbeiteter Steine hergestellt ist, um auf der andern Seite auf einen Weg zu<lb/>
kommen, der von einer Reihe Inschriften tragender Blöcke zu beiden Seiten<lb/>
begrenzt wird. Er führt uns direkt auf eine Lücke in der Stadtmauer zu.<lb/>
Unter Dornbüschen, Brombeerstrüucheu und Unkraut schlummern hier, halb<lb/>
versteckt dem Blicke des Suchenden, die Ruinen von Dioelea. Hier und da hat<lb/>
der Bauer, um Platz für seine Maisfelder zu schaffen, Steine und Ziegel<lb/>
sorglich auf einen Haufen zusammengetragen, an andern Stellen bieten sich</p><lb/>
          <note xml:id="FID_165" place="foot"> ») Für den folgenden Abschnitt s. ^roKasoloKi», Vol. 8b x, 33&#x2014;92. On elf Roman<lb/>
tour ok voolöÄ, in NontonsAro. I?7 ^. L.. L. Nuri'0, w O. I&lt; H.lläoi'80it, 5. 6, Niluo<lb/>
unä 2u&gt;vorüolä.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0597] Aus den schwarzen Bergen Luken stellten, um den Feinden zu beweisen, daß sie auf ihrer Hut seien. Wir glaubten nicht anders, als daß jene ungekannten Bergteufel schon unter uns seien, als wir einst mitten in der Nacht ein gewaltiges Feuer in der Stadt erblickten und gleichzeitig ganze Salven von Pistolenschüssen vor dem Hause, in dem unser kümmerliches Nachtlager aufgeschlagen war, ertönten. Schon wurden unsre Revolver in Bereitschaft gesetzt, als es uns klar gemacht wurde, daß das Schießen der ländlich-sittliche Feuerlärm der Montenegriner sei. Die Flamme leckte noch hoch an den leichtgebauten Häusern empor, als wir eines frühen Sonntagmorgens Podgoritza den Rücken kehrten. Vom Kranze des Minaret rief der Muezzin die Gläubigen zum Gebet, und schwer beturbante Türken in safrangelben Schuhen, engbehoste Stadtalbanesen und andre in dem kleidsamen, Weißen, kurzen Weiberrock, der dem Kilt der schot¬ tischen Hochländer ähnelt, folgten seinem Rufe, dazu erschollen mißtönend durch einander lautend die Glocken der orthodoxen und der katholischen Kirchen. Läutet nur, ihr Glocken, singe nur dein Lied hinaus in die Lüfte, Muezzin, schlagt eure Kreuze vor euern Ikons, ihr Orthodoxen, wir ziehen mit Freuden hinweg von euern düstern Hallen zum größern Tempel der Natur, in dem statt näselnder Priester die Lerche das Lob des Schöpfers singt, hinweg von euch Wahnwitzigen, die ihr euch auf Erden schon um den Himmel herumschlägt, zu Menschen, die von Rcligionskämpfen kein Sterbenswörtchen wußten, hinweg von den Juden — zu den Heiden! Dort, eine halbe Stunde nordwestlich von Podgoritza, wo sich die blonde Moratscha mit der von Norden kommenden schwarzen Zeta vermählt, er¬ scheint, genau in dem Winkel der beiden Flüsse gelegen, ein riesiges, wei߬ schimmerndes Trümmerfeld: es ist das alte Doelea*) oder Dioelea, wie frühere Geschichtschreiber, die die Stadt als den Geburtsort Dioelctians ansahen, es genannt haben. Um von der Straße von Podgoritza nach Niksitsch dorthin zu gelangen, müssen wir eine neue Brücke über die Zeta kreuzen, dann auf dem linken Ufer des Flusses zurückgehn und einen tief eingeschnittnen Gebirgs- bach auf einer zweiten Brücke überschreiten, die, wie der erste Blick lehrt, fast gänzlich aus alten Säulenfragmenten und -daher und Stücken kunstvoll be¬ arbeiteter Steine hergestellt ist, um auf der andern Seite auf einen Weg zu kommen, der von einer Reihe Inschriften tragender Blöcke zu beiden Seiten begrenzt wird. Er führt uns direkt auf eine Lücke in der Stadtmauer zu. Unter Dornbüschen, Brombeerstrüucheu und Unkraut schlummern hier, halb versteckt dem Blicke des Suchenden, die Ruinen von Dioelea. Hier und da hat der Bauer, um Platz für seine Maisfelder zu schaffen, Steine und Ziegel sorglich auf einen Haufen zusammengetragen, an andern Stellen bieten sich ») Für den folgenden Abschnitt s. ^roKasoloKi», Vol. 8b x, 33—92. On elf Roman tour ok voolöÄ, in NontonsAro. I?7 ^. L.. L. Nuri'0, w O. I< H.lläoi'80it, 5. 6, Niluo unä 2u>vorüolä.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/597
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/597>, abgerufen am 28.09.2024.