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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Aus den schwarzen Bergen

in Pvdgoritza ein Fluß, die Moratscha, die tief in einer Schlucht vergraben
sich dem Auge des Ankommenden entzieht, und die sich nur darin von der
zwischen steil abfallenden Ufern die Mitte der Stadt Tiflis durchschneidenden
Kura unterscheidet, daß kein Friedrich Bodenstedt sie je in beredten Dichter¬
worten deutschen Herzen nahe gebracht hat. Auch dort in Tiflis überschaute
eine alte zerfallne Türkenfeste eine baumlose, sonnendurchglühte, im Hinter¬
grunde vom "tausendwipfligen" Kaukasus abgeschlossene Ebne, wie hier in
Pvdgoritza am Fuße der Kutschi- und Albanerberge die Zitadellenruine, die
auf dem linken Ufer der kleinen Nibnitza bei ihrem Einfluß in die Moratscha
gelegen ist; und wenn Tiflis zu erzählen weiß von Brand und Mord und
den von asiatischen Räuberhorden aufgetürmten Schädelpyramiden, so wiegt
das Leid Podgoritzas, das erst nach dem letzten Kriege an Montenegro kam,
das der Königin Trcmskaukasiens auf.

Oft haben hier die mohammedanischen Frauen, wenn die Bergesfalken, um
nicht in ihren Einöden zu verhungern, plündernd und mordend eindrangen,
unter Verwünschungen den Knäuel schwarzer Wolle abgewickelt, um die Wieder¬
kehr des Feindes zu verschreien, ja noch kurz vor dem Ausbruche des letzten
Krieges hat der Türke blutige Rache genommen, und edles, verräterisch ver¬
gossenes Tschernagorzenblut floß in den Straßen der Stadt. Jetzt ist ein
großer Teil der Türken davongezogen, in ihrem Viertel auf dem linken Ufer
der Nibnitza sieht es traurig aus, das Straßenpflaster weist große Löcher auf,
die Häuser sinken zusammen, und die vergitterten Fenster ihrer Harems drohen
auf die Straße zu fallen. Und nun gar erst die Feste, die die Not der Zeiten,
die Nachlässigkeit der Türken und ein Blitzstrahl des Himmels in Schutt ge¬
legt hat! Gehört man auch nicht zu den sentimentalen Naturen, die mit
Vorliebe auf alten Trümmern trauern und das Lied von der vaiiiws og,me>g.tum,,
onmig. vMit^s anstimmen, so zieht doch in unserm Geiste bei der Erinnerung
an die beiden so weit von einander entfernten Städte, die einstmals dem tura-
nischen Erobererstamme gehorcht haben, die Geschichte des Volkes vorüber,
mit dem einst deutschen Kindern von ihren Ammen gedroht wurde, und das
selbst heute noch in seiner Ohnmacht den Schlaf der spitzfindigsten Diplomaten
von Vujukdere, Therapia und Pera stört.'

Majoritätsbeschlüsse, allgemeines und geheimes Wahlrecht, die ^60^
^o/c-^, sowie Mitleid und Milde haben nie in der Geschichte einen Staat groß
gemacht, wohl aber die Energie, die eiserne Rücksichtslosigkeit, der brennende
Ehrgeiz einzelner.") Vor unserm Auge tauchen die Kraftgcftalten der ersten



") Indem ich aber manches las, manches hörte, was das römische Volk zu Hause und
im Felde, zu Wasser und zu Lande an herrlichen Thaten vollbracht hat, kam mir so zufällig
der Gedanke, darüber nachzusinnen, was denn allermeist so großen Ereignissen zur Grundlage
gedient hatte. , , , Indem ich nun viel darüber nachdachte, stellte sich bei mir die Ansicht fest,
die ausnehmende Thätigkeit Weniger habe daS alles zu wege gebracht. LMist. lÄtUiua, oax. 53.
Grenzboten II 1899 74
Aus den schwarzen Bergen

in Pvdgoritza ein Fluß, die Moratscha, die tief in einer Schlucht vergraben
sich dem Auge des Ankommenden entzieht, und die sich nur darin von der
zwischen steil abfallenden Ufern die Mitte der Stadt Tiflis durchschneidenden
Kura unterscheidet, daß kein Friedrich Bodenstedt sie je in beredten Dichter¬
worten deutschen Herzen nahe gebracht hat. Auch dort in Tiflis überschaute
eine alte zerfallne Türkenfeste eine baumlose, sonnendurchglühte, im Hinter¬
grunde vom „tausendwipfligen" Kaukasus abgeschlossene Ebne, wie hier in
Pvdgoritza am Fuße der Kutschi- und Albanerberge die Zitadellenruine, die
auf dem linken Ufer der kleinen Nibnitza bei ihrem Einfluß in die Moratscha
gelegen ist; und wenn Tiflis zu erzählen weiß von Brand und Mord und
den von asiatischen Räuberhorden aufgetürmten Schädelpyramiden, so wiegt
das Leid Podgoritzas, das erst nach dem letzten Kriege an Montenegro kam,
das der Königin Trcmskaukasiens auf.

Oft haben hier die mohammedanischen Frauen, wenn die Bergesfalken, um
nicht in ihren Einöden zu verhungern, plündernd und mordend eindrangen,
unter Verwünschungen den Knäuel schwarzer Wolle abgewickelt, um die Wieder¬
kehr des Feindes zu verschreien, ja noch kurz vor dem Ausbruche des letzten
Krieges hat der Türke blutige Rache genommen, und edles, verräterisch ver¬
gossenes Tschernagorzenblut floß in den Straßen der Stadt. Jetzt ist ein
großer Teil der Türken davongezogen, in ihrem Viertel auf dem linken Ufer
der Nibnitza sieht es traurig aus, das Straßenpflaster weist große Löcher auf,
die Häuser sinken zusammen, und die vergitterten Fenster ihrer Harems drohen
auf die Straße zu fallen. Und nun gar erst die Feste, die die Not der Zeiten,
die Nachlässigkeit der Türken und ein Blitzstrahl des Himmels in Schutt ge¬
legt hat! Gehört man auch nicht zu den sentimentalen Naturen, die mit
Vorliebe auf alten Trümmern trauern und das Lied von der vaiiiws og,me>g.tum,,
onmig. vMit^s anstimmen, so zieht doch in unserm Geiste bei der Erinnerung
an die beiden so weit von einander entfernten Städte, die einstmals dem tura-
nischen Erobererstamme gehorcht haben, die Geschichte des Volkes vorüber,
mit dem einst deutschen Kindern von ihren Ammen gedroht wurde, und das
selbst heute noch in seiner Ohnmacht den Schlaf der spitzfindigsten Diplomaten
von Vujukdere, Therapia und Pera stört.'

Majoritätsbeschlüsse, allgemeines und geheimes Wahlrecht, die ^60^
^o/c-^, sowie Mitleid und Milde haben nie in der Geschichte einen Staat groß
gemacht, wohl aber die Energie, die eiserne Rücksichtslosigkeit, der brennende
Ehrgeiz einzelner.") Vor unserm Auge tauchen die Kraftgcftalten der ersten



") Indem ich aber manches las, manches hörte, was das römische Volk zu Hause und
im Felde, zu Wasser und zu Lande an herrlichen Thaten vollbracht hat, kam mir so zufällig
der Gedanke, darüber nachzusinnen, was denn allermeist so großen Ereignissen zur Grundlage
gedient hatte. , , , Indem ich nun viel darüber nachdachte, stellte sich bei mir die Ansicht fest,
die ausnehmende Thätigkeit Weniger habe daS alles zu wege gebracht. LMist. lÄtUiua, oax. 53.
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[0593] Aus den schwarzen Bergen in Pvdgoritza ein Fluß, die Moratscha, die tief in einer Schlucht vergraben sich dem Auge des Ankommenden entzieht, und die sich nur darin von der zwischen steil abfallenden Ufern die Mitte der Stadt Tiflis durchschneidenden Kura unterscheidet, daß kein Friedrich Bodenstedt sie je in beredten Dichter¬ worten deutschen Herzen nahe gebracht hat. Auch dort in Tiflis überschaute eine alte zerfallne Türkenfeste eine baumlose, sonnendurchglühte, im Hinter¬ grunde vom „tausendwipfligen" Kaukasus abgeschlossene Ebne, wie hier in Pvdgoritza am Fuße der Kutschi- und Albanerberge die Zitadellenruine, die auf dem linken Ufer der kleinen Nibnitza bei ihrem Einfluß in die Moratscha gelegen ist; und wenn Tiflis zu erzählen weiß von Brand und Mord und den von asiatischen Räuberhorden aufgetürmten Schädelpyramiden, so wiegt das Leid Podgoritzas, das erst nach dem letzten Kriege an Montenegro kam, das der Königin Trcmskaukasiens auf. Oft haben hier die mohammedanischen Frauen, wenn die Bergesfalken, um nicht in ihren Einöden zu verhungern, plündernd und mordend eindrangen, unter Verwünschungen den Knäuel schwarzer Wolle abgewickelt, um die Wieder¬ kehr des Feindes zu verschreien, ja noch kurz vor dem Ausbruche des letzten Krieges hat der Türke blutige Rache genommen, und edles, verräterisch ver¬ gossenes Tschernagorzenblut floß in den Straßen der Stadt. Jetzt ist ein großer Teil der Türken davongezogen, in ihrem Viertel auf dem linken Ufer der Nibnitza sieht es traurig aus, das Straßenpflaster weist große Löcher auf, die Häuser sinken zusammen, und die vergitterten Fenster ihrer Harems drohen auf die Straße zu fallen. Und nun gar erst die Feste, die die Not der Zeiten, die Nachlässigkeit der Türken und ein Blitzstrahl des Himmels in Schutt ge¬ legt hat! Gehört man auch nicht zu den sentimentalen Naturen, die mit Vorliebe auf alten Trümmern trauern und das Lied von der vaiiiws og,me>g.tum,, onmig. vMit^s anstimmen, so zieht doch in unserm Geiste bei der Erinnerung an die beiden so weit von einander entfernten Städte, die einstmals dem tura- nischen Erobererstamme gehorcht haben, die Geschichte des Volkes vorüber, mit dem einst deutschen Kindern von ihren Ammen gedroht wurde, und das selbst heute noch in seiner Ohnmacht den Schlaf der spitzfindigsten Diplomaten von Vujukdere, Therapia und Pera stört.' Majoritätsbeschlüsse, allgemeines und geheimes Wahlrecht, die ^60^ ^o/c-^, sowie Mitleid und Milde haben nie in der Geschichte einen Staat groß gemacht, wohl aber die Energie, die eiserne Rücksichtslosigkeit, der brennende Ehrgeiz einzelner.") Vor unserm Auge tauchen die Kraftgcftalten der ersten ") Indem ich aber manches las, manches hörte, was das römische Volk zu Hause und im Felde, zu Wasser und zu Lande an herrlichen Thaten vollbracht hat, kam mir so zufällig der Gedanke, darüber nachzusinnen, was denn allermeist so großen Ereignissen zur Grundlage gedient hatte. , , , Indem ich nun viel darüber nachdachte, stellte sich bei mir die Ansicht fest, die ausnehmende Thätigkeit Weniger habe daS alles zu wege gebracht. LMist. lÄtUiua, oax. 53. Grenzboten II 1899 74

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/593>, abgerufen am 28.09.2024.