Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

sowohl bei Österreich wie bei Italien Versuche, das lange geplante Bündnis
endlich zum Abschluß zu bringen. Entsprach doch der Kriegsvorwand voll¬
kommen der kurz vorher von Kaiser Franz Joseph gestellten Bedingung, daß
er nicht die nationalen Leidenschaften der Deutschen aufregen dürfe! Nun er¬
kannte wirklich Graf Beust die Verpflichtung Österreichs gegenüber Frankreich
an, denn er schrieb in einem Briefe vom 20. Juli an den kaiserlichen Bot¬
schafter Fürst Metternich, den dieser am 23. Juli dem Herzog vou Gramont
mitteilte: "Wollen Sie wiederholen, daß wir, getreu unsern Verpflichtungen,
wie dieselben niedergelegt sind in den im vorigen Jahre zwischen beiden Souve¬
ränen ausgetauschten Briefen, die Sache Frankreichs als unsre eigne ansehen,
und daß wir zu dem Erfolge seiner Waffen in den Grenzen des Möglichen
beitragen werden." Doch müsse Österreich vorläufig neutral bleiben, um seine
Rüstungen zu vollenden, und könne (wie Metternich hinzufügte) nicht vor An¬
fang September in den Krieg eintreten. Italien aber hoffte Napoleon zu ge¬
winnen, indem er in Florenz die Wiederherstellung der Septemberkouvention
von 1365 anbot und seine Truppen aus Rom zurückzog; und wirklich war
König Viktor Emanuel persönlich Feuer und Flamme für den Krieg, wie er
noch 1873 bei seinem Besuche in Berlin dem Kaiser Wilhelm offen gestanden
hat.") Nach dem Vorgange Österreichs (20. Juli) erklärte trotzdem auch
Italien am 24. Juli seine Neutralität, aber die drei Mächte verhandelten
eifrig in Paris, und obgleich manche einzelnen Angaben, namentlich Gramonts,
darüber unzuverlässig sein mögen, soviel steht doch fest, daß Österreich und
Italien unter gewissen Bedingungen zu einer bewaffneten Vermittlung bereit
waren, die zum Kriege an Frankreichs Seite führen mußte und sollte. Wenn
es dazu nicht kam, so lag dies wahrhaftig nicht an dem guten Willen der
Verbündeten, sondern an der mangelhaften Rüstung Frankreichs, die hinter
aller Erwartung zurückblieb, an dem Widerstreben der Ungarn gegen einen
Krieg, der Österreich die Verlorne Hegemonie in Deutschland wiedergeben
konnte, an der begeisterten nationalen Erhebung Deutschlands, die alle Be¬
rechnungen zu schänden machte, an den glänzenden Erfolgen der deutschen
Waffen im August und an der drohenden Haltung Rußlands. Dem steg¬
reichen Frankreich wären Österreich und Italien zu Hilfe gekommen, das be¬
siegte überließen sie seinem Schicksale.

Wenn Fürst Bismarck in den Gedanken und Erinnerungen von allen
diesen Dingen so gut wie nichts sagt, so mag das seine Rechtfertigung darin
finden, daß er sie nach den Darstellungen Shbels u. a. als bekannt voraus¬
setzen durfte, allerdings nur bei historisch gebildeten Lesern. Diese Voraus¬
setzung trifft aber nicht mehr ganz oder überhaupt nicht mehr zu, sobald mau



>) Suhel VII, W1 sf" der freilich Beusts Worte" und den österreichischen Rüstungen jede
gefährliche Bedeutung zu nehmen sucht.

sowohl bei Österreich wie bei Italien Versuche, das lange geplante Bündnis
endlich zum Abschluß zu bringen. Entsprach doch der Kriegsvorwand voll¬
kommen der kurz vorher von Kaiser Franz Joseph gestellten Bedingung, daß
er nicht die nationalen Leidenschaften der Deutschen aufregen dürfe! Nun er¬
kannte wirklich Graf Beust die Verpflichtung Österreichs gegenüber Frankreich
an, denn er schrieb in einem Briefe vom 20. Juli an den kaiserlichen Bot¬
schafter Fürst Metternich, den dieser am 23. Juli dem Herzog vou Gramont
mitteilte: „Wollen Sie wiederholen, daß wir, getreu unsern Verpflichtungen,
wie dieselben niedergelegt sind in den im vorigen Jahre zwischen beiden Souve¬
ränen ausgetauschten Briefen, die Sache Frankreichs als unsre eigne ansehen,
und daß wir zu dem Erfolge seiner Waffen in den Grenzen des Möglichen
beitragen werden." Doch müsse Österreich vorläufig neutral bleiben, um seine
Rüstungen zu vollenden, und könne (wie Metternich hinzufügte) nicht vor An¬
fang September in den Krieg eintreten. Italien aber hoffte Napoleon zu ge¬
winnen, indem er in Florenz die Wiederherstellung der Septemberkouvention
von 1365 anbot und seine Truppen aus Rom zurückzog; und wirklich war
König Viktor Emanuel persönlich Feuer und Flamme für den Krieg, wie er
noch 1873 bei seinem Besuche in Berlin dem Kaiser Wilhelm offen gestanden
hat.") Nach dem Vorgange Österreichs (20. Juli) erklärte trotzdem auch
Italien am 24. Juli seine Neutralität, aber die drei Mächte verhandelten
eifrig in Paris, und obgleich manche einzelnen Angaben, namentlich Gramonts,
darüber unzuverlässig sein mögen, soviel steht doch fest, daß Österreich und
Italien unter gewissen Bedingungen zu einer bewaffneten Vermittlung bereit
waren, die zum Kriege an Frankreichs Seite führen mußte und sollte. Wenn
es dazu nicht kam, so lag dies wahrhaftig nicht an dem guten Willen der
Verbündeten, sondern an der mangelhaften Rüstung Frankreichs, die hinter
aller Erwartung zurückblieb, an dem Widerstreben der Ungarn gegen einen
Krieg, der Österreich die Verlorne Hegemonie in Deutschland wiedergeben
konnte, an der begeisterten nationalen Erhebung Deutschlands, die alle Be¬
rechnungen zu schänden machte, an den glänzenden Erfolgen der deutschen
Waffen im August und an der drohenden Haltung Rußlands. Dem steg¬
reichen Frankreich wären Österreich und Italien zu Hilfe gekommen, das be¬
siegte überließen sie seinem Schicksale.

Wenn Fürst Bismarck in den Gedanken und Erinnerungen von allen
diesen Dingen so gut wie nichts sagt, so mag das seine Rechtfertigung darin
finden, daß er sie nach den Darstellungen Shbels u. a. als bekannt voraus¬
setzen durfte, allerdings nur bei historisch gebildeten Lesern. Diese Voraus¬
setzung trifft aber nicht mehr ganz oder überhaupt nicht mehr zu, sobald mau



>) Suhel VII, W1 sf„ der freilich Beusts Worte» und den österreichischen Rüstungen jede
gefährliche Bedeutung zu nehmen sucht.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0573" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231005"/>
            <fw type="header" place="top"/><lb/>
            <p xml:id="ID_1937" prev="#ID_1936"> sowohl bei Österreich wie bei Italien Versuche, das lange geplante Bündnis<lb/>
endlich zum Abschluß zu bringen. Entsprach doch der Kriegsvorwand voll¬<lb/>
kommen der kurz vorher von Kaiser Franz Joseph gestellten Bedingung, daß<lb/>
er nicht die nationalen Leidenschaften der Deutschen aufregen dürfe! Nun er¬<lb/>
kannte wirklich Graf Beust die Verpflichtung Österreichs gegenüber Frankreich<lb/>
an, denn er schrieb in einem Briefe vom 20. Juli an den kaiserlichen Bot¬<lb/>
schafter Fürst Metternich, den dieser am 23. Juli dem Herzog vou Gramont<lb/>
mitteilte: &#x201E;Wollen Sie wiederholen, daß wir, getreu unsern Verpflichtungen,<lb/>
wie dieselben niedergelegt sind in den im vorigen Jahre zwischen beiden Souve¬<lb/>
ränen ausgetauschten Briefen, die Sache Frankreichs als unsre eigne ansehen,<lb/>
und daß wir zu dem Erfolge seiner Waffen in den Grenzen des Möglichen<lb/>
beitragen werden." Doch müsse Österreich vorläufig neutral bleiben, um seine<lb/>
Rüstungen zu vollenden, und könne (wie Metternich hinzufügte) nicht vor An¬<lb/>
fang September in den Krieg eintreten. Italien aber hoffte Napoleon zu ge¬<lb/>
winnen, indem er in Florenz die Wiederherstellung der Septemberkouvention<lb/>
von 1365 anbot und seine Truppen aus Rom zurückzog; und wirklich war<lb/>
König Viktor Emanuel persönlich Feuer und Flamme für den Krieg, wie er<lb/>
noch 1873 bei seinem Besuche in Berlin dem Kaiser Wilhelm offen gestanden<lb/>
hat.") Nach dem Vorgange Österreichs (20. Juli) erklärte trotzdem auch<lb/>
Italien am 24. Juli seine Neutralität, aber die drei Mächte verhandelten<lb/>
eifrig in Paris, und obgleich manche einzelnen Angaben, namentlich Gramonts,<lb/>
darüber unzuverlässig sein mögen, soviel steht doch fest, daß Österreich und<lb/>
Italien unter gewissen Bedingungen zu einer bewaffneten Vermittlung bereit<lb/>
waren, die zum Kriege an Frankreichs Seite führen mußte und sollte. Wenn<lb/>
es dazu nicht kam, so lag dies wahrhaftig nicht an dem guten Willen der<lb/>
Verbündeten, sondern an der mangelhaften Rüstung Frankreichs, die hinter<lb/>
aller Erwartung zurückblieb, an dem Widerstreben der Ungarn gegen einen<lb/>
Krieg, der Österreich die Verlorne Hegemonie in Deutschland wiedergeben<lb/>
konnte, an der begeisterten nationalen Erhebung Deutschlands, die alle Be¬<lb/>
rechnungen zu schänden machte, an den glänzenden Erfolgen der deutschen<lb/>
Waffen im August und an der drohenden Haltung Rußlands. Dem steg¬<lb/>
reichen Frankreich wären Österreich und Italien zu Hilfe gekommen, das be¬<lb/>
siegte überließen sie seinem Schicksale.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1938" next="#ID_1939"> Wenn Fürst Bismarck in den Gedanken und Erinnerungen von allen<lb/>
diesen Dingen so gut wie nichts sagt, so mag das seine Rechtfertigung darin<lb/>
finden, daß er sie nach den Darstellungen Shbels u. a. als bekannt voraus¬<lb/>
setzen durfte, allerdings nur bei historisch gebildeten Lesern. Diese Voraus¬<lb/>
setzung trifft aber nicht mehr ganz oder überhaupt nicht mehr zu, sobald mau</p><lb/>
            <note xml:id="FID_144" place="foot"> &gt;) Suhel VII, W1 sf&#x201E; der freilich Beusts Worte» und den österreichischen Rüstungen jede<lb/>
gefährliche Bedeutung zu nehmen sucht.</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0573] sowohl bei Österreich wie bei Italien Versuche, das lange geplante Bündnis endlich zum Abschluß zu bringen. Entsprach doch der Kriegsvorwand voll¬ kommen der kurz vorher von Kaiser Franz Joseph gestellten Bedingung, daß er nicht die nationalen Leidenschaften der Deutschen aufregen dürfe! Nun er¬ kannte wirklich Graf Beust die Verpflichtung Österreichs gegenüber Frankreich an, denn er schrieb in einem Briefe vom 20. Juli an den kaiserlichen Bot¬ schafter Fürst Metternich, den dieser am 23. Juli dem Herzog vou Gramont mitteilte: „Wollen Sie wiederholen, daß wir, getreu unsern Verpflichtungen, wie dieselben niedergelegt sind in den im vorigen Jahre zwischen beiden Souve¬ ränen ausgetauschten Briefen, die Sache Frankreichs als unsre eigne ansehen, und daß wir zu dem Erfolge seiner Waffen in den Grenzen des Möglichen beitragen werden." Doch müsse Österreich vorläufig neutral bleiben, um seine Rüstungen zu vollenden, und könne (wie Metternich hinzufügte) nicht vor An¬ fang September in den Krieg eintreten. Italien aber hoffte Napoleon zu ge¬ winnen, indem er in Florenz die Wiederherstellung der Septemberkouvention von 1365 anbot und seine Truppen aus Rom zurückzog; und wirklich war König Viktor Emanuel persönlich Feuer und Flamme für den Krieg, wie er noch 1873 bei seinem Besuche in Berlin dem Kaiser Wilhelm offen gestanden hat.") Nach dem Vorgange Österreichs (20. Juli) erklärte trotzdem auch Italien am 24. Juli seine Neutralität, aber die drei Mächte verhandelten eifrig in Paris, und obgleich manche einzelnen Angaben, namentlich Gramonts, darüber unzuverlässig sein mögen, soviel steht doch fest, daß Österreich und Italien unter gewissen Bedingungen zu einer bewaffneten Vermittlung bereit waren, die zum Kriege an Frankreichs Seite führen mußte und sollte. Wenn es dazu nicht kam, so lag dies wahrhaftig nicht an dem guten Willen der Verbündeten, sondern an der mangelhaften Rüstung Frankreichs, die hinter aller Erwartung zurückblieb, an dem Widerstreben der Ungarn gegen einen Krieg, der Österreich die Verlorne Hegemonie in Deutschland wiedergeben konnte, an der begeisterten nationalen Erhebung Deutschlands, die alle Be¬ rechnungen zu schänden machte, an den glänzenden Erfolgen der deutschen Waffen im August und an der drohenden Haltung Rußlands. Dem steg¬ reichen Frankreich wären Österreich und Italien zu Hilfe gekommen, das be¬ siegte überließen sie seinem Schicksale. Wenn Fürst Bismarck in den Gedanken und Erinnerungen von allen diesen Dingen so gut wie nichts sagt, so mag das seine Rechtfertigung darin finden, daß er sie nach den Darstellungen Shbels u. a. als bekannt voraus¬ setzen durfte, allerdings nur bei historisch gebildeten Lesern. Diese Voraus¬ setzung trifft aber nicht mehr ganz oder überhaupt nicht mehr zu, sobald mau >) Suhel VII, W1 sf„ der freilich Beusts Worte» und den österreichischen Rüstungen jede gefährliche Bedeutung zu nehmen sucht.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/573
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/573>, abgerufen am 28.09.2024.