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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Auch einer, der dabei war

seiner plattdeutschen Worte --, und ein bischen auch mir selbst. Und hoffentlich
ist alles, was mir die Brust beklemmen will, nichts als Einbildung und Aberglauben.
Wir werden uns wiedersehen. Aber, wenn Gott es auch anders fügt, bleib gut
und brav. Und meine Harmonika -- du sollst sie zum Andenken haben -- halt
meine Harmonika in Ehren!

Noch zündete er umständlich mit Feuerstahl und Zündschwamm seine Pfeife
an; dann machte er Kehrt, ohne sich noch einmal nach mir umzusehen. Rauchend
und handschlenkernd entfernte er sich in der Richtung nach der Wohnung seiner
Mutter, den Häusern von Krummhorn, deren Dachsoden über die Knickhagen
leuchteten.

Ich sah ihm nach bis Böckh-Koppel. Dort machte der Knick eine Biegung und
entzog ihn meinen Augen.




Wir haben uns nicht wieder gesehen.

Bei Jdstedt ist er den tapfern Soldatentod gestorben.

Die Harmonika meines armen Freundes halte ich nicht allein in Ehren, ich
spiele auch darauf, wenn auch nur mit besondern Maßnahmen der Vorsicht, ganz
heimlich in der Dachkammer, wie es die Rücksicht auf meine Umgebung verlangt.
Es ist ein Glück, daß das alte Instrument durch Kunstfertigkeit nicht verwöhnt ist,
denn auch bei nur haben die Töne, die ich aus dem Blasebalg ziehe, nichts mit¬
einander zu thun. Wir beide, die Harmonika und ich, sind in voller Freiheit
dressiert. Wir spielen nach unserm freien Belieben hoch und niedrig, wie es uns
gerade paßt, wir erfreuen uns regellos an dem kräftigen Baß. Denn das bleibt
bestehen für und für -- kein andres Instrument verleitet die Erinnerung zu so
prächtigen Spaziergängen wie die Harmonika. Führt in ihren Tönen die Schwer¬
mut auch das Wort, so fehlt doch ebensowenig die Anmut der Ergebenheit, die
alles Düstere, alles Beklemmende aufhebt. So wanderte ich denn auch heute unter
ihrer Führung wieder die Wege im großen Knüll und saß mit Hinrich auf dem
Baumstamm. Die Harmonika erst hat mir den Sinn all der Abschiedslicder, ja
auch alle frühern Katzenlieder und Trompetenstöße erschlossen, oder jedenfalls voll¬
ständiger mitgeteilt, als ich ihn damals verstehn konnte. Einem zwar verborgnen,
aber doch ungeahnten Schatze gleich lag in meinem Gemüte, was ich hier so
unvollkommen, so nüchtern und kalt den weißen Blättern aufzwang.

Die Uniform unsers Hinrich wurde seiner Mutter, der alten Wieb, von dem
Regiment mit der kurzen, kanzleimäßig mitleidsloser Sterbenachricht zugeschickt. Als
Knabe habe ich die alte Frau oft besucht. Dann haben wir zusammen unsern
Schmerz ausgeweint. Sie kettete die Thür ihres Stäbchens zu und holte den
von seinem Herzblut getränkten Waffenrock aus dem Schränkchen. Die schmucke,
schirmlose Mütze war nicht dabei, sie war in Verlust geraten, von de" Kanonen
in den Schmutz gedrückt, von den Pferden zerstampft. Hinrich ist irgendwo im
Sand verscharrt.

Wer zeigt die Stelle?




Auch einer, der dabei war

seiner plattdeutschen Worte —, und ein bischen auch mir selbst. Und hoffentlich
ist alles, was mir die Brust beklemmen will, nichts als Einbildung und Aberglauben.
Wir werden uns wiedersehen. Aber, wenn Gott es auch anders fügt, bleib gut
und brav. Und meine Harmonika — du sollst sie zum Andenken haben — halt
meine Harmonika in Ehren!

Noch zündete er umständlich mit Feuerstahl und Zündschwamm seine Pfeife
an; dann machte er Kehrt, ohne sich noch einmal nach mir umzusehen. Rauchend
und handschlenkernd entfernte er sich in der Richtung nach der Wohnung seiner
Mutter, den Häusern von Krummhorn, deren Dachsoden über die Knickhagen
leuchteten.

Ich sah ihm nach bis Böckh-Koppel. Dort machte der Knick eine Biegung und
entzog ihn meinen Augen.




Wir haben uns nicht wieder gesehen.

Bei Jdstedt ist er den tapfern Soldatentod gestorben.

Die Harmonika meines armen Freundes halte ich nicht allein in Ehren, ich
spiele auch darauf, wenn auch nur mit besondern Maßnahmen der Vorsicht, ganz
heimlich in der Dachkammer, wie es die Rücksicht auf meine Umgebung verlangt.
Es ist ein Glück, daß das alte Instrument durch Kunstfertigkeit nicht verwöhnt ist,
denn auch bei nur haben die Töne, die ich aus dem Blasebalg ziehe, nichts mit¬
einander zu thun. Wir beide, die Harmonika und ich, sind in voller Freiheit
dressiert. Wir spielen nach unserm freien Belieben hoch und niedrig, wie es uns
gerade paßt, wir erfreuen uns regellos an dem kräftigen Baß. Denn das bleibt
bestehen für und für — kein andres Instrument verleitet die Erinnerung zu so
prächtigen Spaziergängen wie die Harmonika. Führt in ihren Tönen die Schwer¬
mut auch das Wort, so fehlt doch ebensowenig die Anmut der Ergebenheit, die
alles Düstere, alles Beklemmende aufhebt. So wanderte ich denn auch heute unter
ihrer Führung wieder die Wege im großen Knüll und saß mit Hinrich auf dem
Baumstamm. Die Harmonika erst hat mir den Sinn all der Abschiedslicder, ja
auch alle frühern Katzenlieder und Trompetenstöße erschlossen, oder jedenfalls voll¬
ständiger mitgeteilt, als ich ihn damals verstehn konnte. Einem zwar verborgnen,
aber doch ungeahnten Schatze gleich lag in meinem Gemüte, was ich hier so
unvollkommen, so nüchtern und kalt den weißen Blättern aufzwang.

Die Uniform unsers Hinrich wurde seiner Mutter, der alten Wieb, von dem
Regiment mit der kurzen, kanzleimäßig mitleidsloser Sterbenachricht zugeschickt. Als
Knabe habe ich die alte Frau oft besucht. Dann haben wir zusammen unsern
Schmerz ausgeweint. Sie kettete die Thür ihres Stäbchens zu und holte den
von seinem Herzblut getränkten Waffenrock aus dem Schränkchen. Die schmucke,
schirmlose Mütze war nicht dabei, sie war in Verlust geraten, von de» Kanonen
in den Schmutz gedrückt, von den Pferden zerstampft. Hinrich ist irgendwo im
Sand verscharrt.

Wer zeigt die Stelle?




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[0055] Auch einer, der dabei war seiner plattdeutschen Worte —, und ein bischen auch mir selbst. Und hoffentlich ist alles, was mir die Brust beklemmen will, nichts als Einbildung und Aberglauben. Wir werden uns wiedersehen. Aber, wenn Gott es auch anders fügt, bleib gut und brav. Und meine Harmonika — du sollst sie zum Andenken haben — halt meine Harmonika in Ehren! Noch zündete er umständlich mit Feuerstahl und Zündschwamm seine Pfeife an; dann machte er Kehrt, ohne sich noch einmal nach mir umzusehen. Rauchend und handschlenkernd entfernte er sich in der Richtung nach der Wohnung seiner Mutter, den Häusern von Krummhorn, deren Dachsoden über die Knickhagen leuchteten. Ich sah ihm nach bis Böckh-Koppel. Dort machte der Knick eine Biegung und entzog ihn meinen Augen. Wir haben uns nicht wieder gesehen. Bei Jdstedt ist er den tapfern Soldatentod gestorben. Die Harmonika meines armen Freundes halte ich nicht allein in Ehren, ich spiele auch darauf, wenn auch nur mit besondern Maßnahmen der Vorsicht, ganz heimlich in der Dachkammer, wie es die Rücksicht auf meine Umgebung verlangt. Es ist ein Glück, daß das alte Instrument durch Kunstfertigkeit nicht verwöhnt ist, denn auch bei nur haben die Töne, die ich aus dem Blasebalg ziehe, nichts mit¬ einander zu thun. Wir beide, die Harmonika und ich, sind in voller Freiheit dressiert. Wir spielen nach unserm freien Belieben hoch und niedrig, wie es uns gerade paßt, wir erfreuen uns regellos an dem kräftigen Baß. Denn das bleibt bestehen für und für — kein andres Instrument verleitet die Erinnerung zu so prächtigen Spaziergängen wie die Harmonika. Führt in ihren Tönen die Schwer¬ mut auch das Wort, so fehlt doch ebensowenig die Anmut der Ergebenheit, die alles Düstere, alles Beklemmende aufhebt. So wanderte ich denn auch heute unter ihrer Führung wieder die Wege im großen Knüll und saß mit Hinrich auf dem Baumstamm. Die Harmonika erst hat mir den Sinn all der Abschiedslicder, ja auch alle frühern Katzenlieder und Trompetenstöße erschlossen, oder jedenfalls voll¬ ständiger mitgeteilt, als ich ihn damals verstehn konnte. Einem zwar verborgnen, aber doch ungeahnten Schatze gleich lag in meinem Gemüte, was ich hier so unvollkommen, so nüchtern und kalt den weißen Blättern aufzwang. Die Uniform unsers Hinrich wurde seiner Mutter, der alten Wieb, von dem Regiment mit der kurzen, kanzleimäßig mitleidsloser Sterbenachricht zugeschickt. Als Knabe habe ich die alte Frau oft besucht. Dann haben wir zusammen unsern Schmerz ausgeweint. Sie kettete die Thür ihres Stäbchens zu und holte den von seinem Herzblut getränkten Waffenrock aus dem Schränkchen. Die schmucke, schirmlose Mütze war nicht dabei, sie war in Verlust geraten, von de» Kanonen in den Schmutz gedrückt, von den Pferden zerstampft. Hinrich ist irgendwo im Sand verscharrt. Wer zeigt die Stelle?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/55>, abgerufen am 28.09.2024.