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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Über griechische und römische verfluchungstafeln

oder der "Blauen" war ein Ereignis, nicht kleiner als der Ausgang der Derby-
Rennen oder der (^rana?iix as ?aris. Die Wagenlenker waren, ähnlich den
englischen Jockeys, meist Leute von niedriger Herkunft und geringer Bildung;
aber sie spielten eine wichtige Rolle, waren sehr beliebt und erwarben sich
große Vermögen. An Bestechungen oder noch unredlichern Manövern, um den
Sieg eines Konkurrenten zu hintertreiben, fehlte es begreiflicherweise nicht; und
da lag es denn nahe, daß man, um dem Gegner zu schaden, auch zu dem
Mittel der Verfluchungstafeln griff. Die betreffenden Gegner werden nament¬
lich angeführt; es sind teils griechische, teils lateinische Eigennamen, denen
wir da begegnen, nicht selten mit beigefügten Spitznamen, wie Korax (der
Rabe). Hospes (der Fremde). Strumosus (der Kropfige), Asellus (der Esel).
Zur deutlichern Kennzeichnung wird oft der Name der Mutter (wie auch in
andern Defixiouen, und ganz gewöhnlich in den ägyptischen Pavyrnsurkunden)
hinzugefügt: denn nur die Mutter ist zweifellos, beim Vater ist auf den Zivil¬
stand kein Verlaß, da könnten die Götter leicht irregeleitet werden. Von
Interesse sind auch die Namen der Pferde (übrigens fast ausschließlich Hengste),
deren auch die karthagischen Tafeln viele enthalten; sie sind verschiedner Art:
teils sind es mythologische Namen, wie Cupido, Achilles, Laomedvn, Uranius;
teils gehn sie auf die Farbe zurück, wie Aureus, Purpureus (für Füchse), Äthiops
(für Rappen) oder auf die Herkunft des Pferdes, wie Dardanus, Maurus, Oriens.
Andre sind des guten Omens wegen gewühlt, wie Victor, Dominator, Derisvr.
oder sie geben Tugenden und Lob wieder, wie Blandus, Dignus, Pretiosus,
Eximius, Präclarus, Napidus u. dergl. Endlich finden wir auch die ohne jeden
Grund aus freiem Ermessen und oft mit Humor gewählten Namen, wie sie
auch der moderne Turf kennt, z. B. Index, Pugio, Veteranus, Advocatus,
Floridus, Chrysaspis u. a. in.

Was nun den Inhalt dieser Tafeln anlangt, so wenden sich die kartha¬
gischen unter Anrufung des "Totendämons, wer immer du fein magst," d. h.
des Dämons oder Schattens dessen, der in dem Grabe bestattet ist, und von
allerlei "heiligen Namen," ganz besonders gegen die Rennpferde. "Ich be¬
schwöre dich, binde die Pferde (der grünen Partei), deren Namen und Art ich
hier hinsetze (folgen die Namen); binde ihnen den Lauf, die Kraft, die Seele,
den Mut, die Schnelligkeit; nimm ihnen den Sieg, hemme ihre Füße, lähme
und entnerve sie, auf daß sie am morgigen Tage im Hippodrom weder laufen
noch gehen können, noch siegen, noch aus den Thoren der Ablaufschranken
herauskommen, noch in den Zirkus gelangen; sondern sie sollen stürzen mit¬
samt ihren Lenkern (folgen die Namen)." Bei der Wiederholung des Fluches
kommt wohl noch das eine oder andre hinzu, z. B. daß die Pferde nicht um
die Meta (die Spitzsäule, wo eine scharfe Kehre gemacht werden muß. der ge¬
fährlichste Punkt der Bahn) herumkommen sollen, oder daß den Lenkern der
Blick geblendet werde, auf daß sie ihre Gegner nicht sehen können; "reiße sie


Über griechische und römische verfluchungstafeln

oder der „Blauen" war ein Ereignis, nicht kleiner als der Ausgang der Derby-
Rennen oder der (^rana?iix as ?aris. Die Wagenlenker waren, ähnlich den
englischen Jockeys, meist Leute von niedriger Herkunft und geringer Bildung;
aber sie spielten eine wichtige Rolle, waren sehr beliebt und erwarben sich
große Vermögen. An Bestechungen oder noch unredlichern Manövern, um den
Sieg eines Konkurrenten zu hintertreiben, fehlte es begreiflicherweise nicht; und
da lag es denn nahe, daß man, um dem Gegner zu schaden, auch zu dem
Mittel der Verfluchungstafeln griff. Die betreffenden Gegner werden nament¬
lich angeführt; es sind teils griechische, teils lateinische Eigennamen, denen
wir da begegnen, nicht selten mit beigefügten Spitznamen, wie Korax (der
Rabe). Hospes (der Fremde). Strumosus (der Kropfige), Asellus (der Esel).
Zur deutlichern Kennzeichnung wird oft der Name der Mutter (wie auch in
andern Defixiouen, und ganz gewöhnlich in den ägyptischen Pavyrnsurkunden)
hinzugefügt: denn nur die Mutter ist zweifellos, beim Vater ist auf den Zivil¬
stand kein Verlaß, da könnten die Götter leicht irregeleitet werden. Von
Interesse sind auch die Namen der Pferde (übrigens fast ausschließlich Hengste),
deren auch die karthagischen Tafeln viele enthalten; sie sind verschiedner Art:
teils sind es mythologische Namen, wie Cupido, Achilles, Laomedvn, Uranius;
teils gehn sie auf die Farbe zurück, wie Aureus, Purpureus (für Füchse), Äthiops
(für Rappen) oder auf die Herkunft des Pferdes, wie Dardanus, Maurus, Oriens.
Andre sind des guten Omens wegen gewühlt, wie Victor, Dominator, Derisvr.
oder sie geben Tugenden und Lob wieder, wie Blandus, Dignus, Pretiosus,
Eximius, Präclarus, Napidus u. dergl. Endlich finden wir auch die ohne jeden
Grund aus freiem Ermessen und oft mit Humor gewählten Namen, wie sie
auch der moderne Turf kennt, z. B. Index, Pugio, Veteranus, Advocatus,
Floridus, Chrysaspis u. a. in.

Was nun den Inhalt dieser Tafeln anlangt, so wenden sich die kartha¬
gischen unter Anrufung des „Totendämons, wer immer du fein magst," d. h.
des Dämons oder Schattens dessen, der in dem Grabe bestattet ist, und von
allerlei „heiligen Namen," ganz besonders gegen die Rennpferde. „Ich be¬
schwöre dich, binde die Pferde (der grünen Partei), deren Namen und Art ich
hier hinsetze (folgen die Namen); binde ihnen den Lauf, die Kraft, die Seele,
den Mut, die Schnelligkeit; nimm ihnen den Sieg, hemme ihre Füße, lähme
und entnerve sie, auf daß sie am morgigen Tage im Hippodrom weder laufen
noch gehen können, noch siegen, noch aus den Thoren der Ablaufschranken
herauskommen, noch in den Zirkus gelangen; sondern sie sollen stürzen mit¬
samt ihren Lenkern (folgen die Namen)." Bei der Wiederholung des Fluches
kommt wohl noch das eine oder andre hinzu, z. B. daß die Pferde nicht um
die Meta (die Spitzsäule, wo eine scharfe Kehre gemacht werden muß. der ge¬
fährlichste Punkt der Bahn) herumkommen sollen, oder daß den Lenkern der
Blick geblendet werde, auf daß sie ihre Gegner nicht sehen können; „reiße sie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/543>, abgerufen am 28.09.2024.