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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Über griechische und römische Verfluchungstafeln

er soll sich von iimerm Feuer verzehren: "verzehre ihn, verdirb ihn, laß ihn
keine Gesundheit genießen; er soll mit dem Wasser dahinfließen; führe ihn
schnell weg zu den Unterirdischen; halte ihn in Gewahrsam; mache ihn tot;
bringe ihn in den Tartarus" usw. Bisweilen wird auch für die Erfüllung
des Wunsches eine Frist vorgesehen, also z. B. hinzufügt: "das soll innerhalb
eines Jahres geschehen."

Eine ganz besondre Klasse unter diesen Verwünschungen sind nun die, die
sich auf die Wettrennen bei den Zirkusspielen beziehen. Eine ganze Menge
derartiger Tnfelchen sind, zum Teil freilich arg zerstört und fragmentiert, im
Jahre 1850 an der Via Appia gesunden und später ins Nusso KirongriÄvo
übertragen worden; doch sind sie, mit Ausnahme einer von de Rossi im Jahre
1880 mitgeteilten, erst jetzt von Wünsch entziffert und in einer sorgfältigen
Publikation mitgeteilt und besprochen worden.*) Nicht alles Erhaltene ist
lesbar; viele Fragmente enthalten nur wenige Buchstaben, andre lassen sich
nicht mehr aufrollen. Die Publikation von Wünsch enthält achtundvierzig
Nummern, und zwar fünf lateinische und dreiundvierzig griechische, die eben¬
falls im An8so I5ir<zb.8runo liegen, aber von anderm Fundort und schon länger
bekannt sind. Durch verschiedne Kombinationen, namentlich durch Vergleichung
der aus Contorniaten vorkommenden Namen von Wagenlenkern ist es Wünsch
gelungen, die Zeit dieser Tafeln ungefähr zu bestimmen: sie rühren danach
ans den Jahrzehnten vor und nach 400 n. Chr. her; nur die zuletzt erwähnte
Tafel ist etwa um ein Jahrhundert älter. Fast alle beziehen sich, wie
erwähnt worden ist, auf Wagenlenker (g-Zitatorss), nur ein paar Stücke
jenes Fundes beziehen sich auf andre Persönlichkeiten. So geht eins gegen
einen Bueler, der in der neunten Regio wohnt und dort auch sein Geschäft
hat, wie eigens bemerkt ist; "er soll dem Pluto, dem Vorgesetzten der Toten,
übergeben werden, und wenn er die Götter verachtet, so soll er heimgesucht
werden von Fieber, Kälte, Krümvfen, Blässe, Schweiß, Schauer, um Mittag,
am Abend, bei Nacht, von dieser Stunde und von dieser Nacht an" u. s. f.
Doch auch diese Tafeln gehören nach Charakter und Formeln mit den übrigen
gegen Wagenlenker gerichteten in eine Reihe, während die karthagischen, die
Wünsch in der vorliegenden Abhandlung ausgeschlossen hat, zwar inhaltlich
nahe stehn, da sie auf gleiche Veranlassung zurückgehn, sich aber hinsichtlich der
angerufnen Gottheiten und der angewandten Formeln wesentlich von jenen
unterscheiden.

Welche Bedeutung im römischen Leben die Zirkusspiele und besonders das
Wagenrennen hatten, ist bekannt genug. Das ganze Publikum, hoch und
niedrig, ergriff Partei für die auftretenden Faktionen; der Sieg der "Grünen"



*) Sethianische Nerfluchungstafeln aus Rom, herausgegeben von Richard Wünsch.
Leipzig, Teubner, 1898.
Über griechische und römische Verfluchungstafeln

er soll sich von iimerm Feuer verzehren: „verzehre ihn, verdirb ihn, laß ihn
keine Gesundheit genießen; er soll mit dem Wasser dahinfließen; führe ihn
schnell weg zu den Unterirdischen; halte ihn in Gewahrsam; mache ihn tot;
bringe ihn in den Tartarus" usw. Bisweilen wird auch für die Erfüllung
des Wunsches eine Frist vorgesehen, also z. B. hinzufügt: „das soll innerhalb
eines Jahres geschehen."

Eine ganz besondre Klasse unter diesen Verwünschungen sind nun die, die
sich auf die Wettrennen bei den Zirkusspielen beziehen. Eine ganze Menge
derartiger Tnfelchen sind, zum Teil freilich arg zerstört und fragmentiert, im
Jahre 1850 an der Via Appia gesunden und später ins Nusso KirongriÄvo
übertragen worden; doch sind sie, mit Ausnahme einer von de Rossi im Jahre
1880 mitgeteilten, erst jetzt von Wünsch entziffert und in einer sorgfältigen
Publikation mitgeteilt und besprochen worden.*) Nicht alles Erhaltene ist
lesbar; viele Fragmente enthalten nur wenige Buchstaben, andre lassen sich
nicht mehr aufrollen. Die Publikation von Wünsch enthält achtundvierzig
Nummern, und zwar fünf lateinische und dreiundvierzig griechische, die eben¬
falls im An8so I5ir<zb.8runo liegen, aber von anderm Fundort und schon länger
bekannt sind. Durch verschiedne Kombinationen, namentlich durch Vergleichung
der aus Contorniaten vorkommenden Namen von Wagenlenkern ist es Wünsch
gelungen, die Zeit dieser Tafeln ungefähr zu bestimmen: sie rühren danach
ans den Jahrzehnten vor und nach 400 n. Chr. her; nur die zuletzt erwähnte
Tafel ist etwa um ein Jahrhundert älter. Fast alle beziehen sich, wie
erwähnt worden ist, auf Wagenlenker (g-Zitatorss), nur ein paar Stücke
jenes Fundes beziehen sich auf andre Persönlichkeiten. So geht eins gegen
einen Bueler, der in der neunten Regio wohnt und dort auch sein Geschäft
hat, wie eigens bemerkt ist; „er soll dem Pluto, dem Vorgesetzten der Toten,
übergeben werden, und wenn er die Götter verachtet, so soll er heimgesucht
werden von Fieber, Kälte, Krümvfen, Blässe, Schweiß, Schauer, um Mittag,
am Abend, bei Nacht, von dieser Stunde und von dieser Nacht an" u. s. f.
Doch auch diese Tafeln gehören nach Charakter und Formeln mit den übrigen
gegen Wagenlenker gerichteten in eine Reihe, während die karthagischen, die
Wünsch in der vorliegenden Abhandlung ausgeschlossen hat, zwar inhaltlich
nahe stehn, da sie auf gleiche Veranlassung zurückgehn, sich aber hinsichtlich der
angerufnen Gottheiten und der angewandten Formeln wesentlich von jenen
unterscheiden.

Welche Bedeutung im römischen Leben die Zirkusspiele und besonders das
Wagenrennen hatten, ist bekannt genug. Das ganze Publikum, hoch und
niedrig, ergriff Partei für die auftretenden Faktionen; der Sieg der „Grünen"



*) Sethianische Nerfluchungstafeln aus Rom, herausgegeben von Richard Wünsch.
Leipzig, Teubner, 1898.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/542>, abgerufen am 28.09.2024.