Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Heinrich Abeken

gewollte aufzufassen, hielten Abeken auch ab, in den damals schwebenden Fragen,
die andre, vor allem Bismcirck selbst, aufs tiefste erregten, leidenschaftlich Partei
zu ergreifen oder sich schärfer über sie zu äußern. Nur in sehr gedämpften
Tönen giebt er einmal seinem Unmute über die Verzögerung der Beschießung
von Paris Ausdruck ("Was die Beschießung verhindert, darüber wäre viel zu
sagen, aber nicht zu schreiben. Neben den militärischen Gründen mögen noch
andre mitwirken, die wir aber beide jetzt besser unberührt lassen," 7. Dezember),
und wenn er einmal bei Tafel, als die Reichstagsdeputation bevorstand, ärgerlich
ausrief: "Daß der Reichstag uns dreißig Kerle herschicken will, ist doch schrecklich"
(Busch, Tagebuchblätter I, 501), so war das ein nicht ganz zeitgemäßer Nach¬
klang der Stimmung, die ihm die Kaiserdeputation von 1849 erregt hatte, und
des Grolles aus der Zeit des Konflikts. Scharfe Urteile andrer, auch Vis-
marcks, zumal über fürstliche Herren waren ihm immer unbehaglich, ohne daß
er gerade den Versuch gemacht Hütte, sie entschieden zurückzuweisen (vgl. z. B.
Busch I, 473). Mit seinem sozusagen "irenischen" Wesen stand er unter den
Mitgliedern des Auswärtigen Amts, die Bismcirck in Versailles alltäglich
an seiner gastfreien Tafel versammelte, ziemlich isoliert und wohl nur dem
Legationsrat R. von Keudell, dem spätern Botschafter in Rom und Konstantinopel,
näher. Die Herren senden es komisch, wenn Abeken einmal voll Pathos
"Wanderers Sturmlied," sein "Leiblied," deklamierte oder durch häufige Zitate
aus den ihm so geläufigen Klassikern zeigte, daß er sich von der Gegenwart
nicht so ganz hinnehmen ließ wie die andern, und sie spöttelten über seine
kleinen Eitelkeiten, von denen er nicht ganz frei war, oder über sein unbegrenztes
Interesse für alles, was mit dem Hofe zusammenhing. Auch Bismarck be¬
teiligte sich gelegentlich an einer solchen Neckerei seines Geheimrath, dessen
Arbeitskraft und Gewandtheit er im übrigen sehr zu schätzen wußte. Aus dem
Nachhall solcher Urteile und Stimmungen ist auch die Charakteristik hervor¬
gegangen, die M. Busch von ihm in den Tagebuchblättern II, 200 ff. ent¬
wirft, und die ihm nicht gerecht wird, weil sie den Kern seines Wesens nicht
erfaßt hat.

Und doch stand Abeken den großen Ereignissen, an denen er mitwirkte,
keineswegs ohne innere Teilnahme gegenüber, im Gegenteil! Das lebhafteste
Interesse nahm er an den zahlreichen, bedeutenden Persönlichkeiten, die während
dieser fünf Wintermonate in Versailles beim Kanzler aus- und eingingen. Den
Großherzog von Baden nennt er "einen der besten Menschen, die es giebt,
und der sehr viel Gutes hier bewirkt hat." In dem päpstlichen Nuntius Chigi
begrüßte er einen alten Bekannten aus Rom, Thiers erschien ihm als "ein
seiner, kluger, echt französischer, ja altfranzösischer Kopf"; er empfand bei den
Friedensverhandlungen menschliche Teilnahme mit ihm und Favre, "diesen
beiden armen Leuten." "Aber, so schrieb er am einsamen Weihnachtsabend
1870 seiner Frau, es ist doch ein Glück, daß man mitarbeiten durfte an dieser
großen Zeit." Er freute sich besonders herzlich über den Abschluß mit Bayern,


Heinrich Abeken

gewollte aufzufassen, hielten Abeken auch ab, in den damals schwebenden Fragen,
die andre, vor allem Bismcirck selbst, aufs tiefste erregten, leidenschaftlich Partei
zu ergreifen oder sich schärfer über sie zu äußern. Nur in sehr gedämpften
Tönen giebt er einmal seinem Unmute über die Verzögerung der Beschießung
von Paris Ausdruck („Was die Beschießung verhindert, darüber wäre viel zu
sagen, aber nicht zu schreiben. Neben den militärischen Gründen mögen noch
andre mitwirken, die wir aber beide jetzt besser unberührt lassen," 7. Dezember),
und wenn er einmal bei Tafel, als die Reichstagsdeputation bevorstand, ärgerlich
ausrief: „Daß der Reichstag uns dreißig Kerle herschicken will, ist doch schrecklich"
(Busch, Tagebuchblätter I, 501), so war das ein nicht ganz zeitgemäßer Nach¬
klang der Stimmung, die ihm die Kaiserdeputation von 1849 erregt hatte, und
des Grolles aus der Zeit des Konflikts. Scharfe Urteile andrer, auch Vis-
marcks, zumal über fürstliche Herren waren ihm immer unbehaglich, ohne daß
er gerade den Versuch gemacht Hütte, sie entschieden zurückzuweisen (vgl. z. B.
Busch I, 473). Mit seinem sozusagen „irenischen" Wesen stand er unter den
Mitgliedern des Auswärtigen Amts, die Bismcirck in Versailles alltäglich
an seiner gastfreien Tafel versammelte, ziemlich isoliert und wohl nur dem
Legationsrat R. von Keudell, dem spätern Botschafter in Rom und Konstantinopel,
näher. Die Herren senden es komisch, wenn Abeken einmal voll Pathos
„Wanderers Sturmlied," sein „Leiblied," deklamierte oder durch häufige Zitate
aus den ihm so geläufigen Klassikern zeigte, daß er sich von der Gegenwart
nicht so ganz hinnehmen ließ wie die andern, und sie spöttelten über seine
kleinen Eitelkeiten, von denen er nicht ganz frei war, oder über sein unbegrenztes
Interesse für alles, was mit dem Hofe zusammenhing. Auch Bismarck be¬
teiligte sich gelegentlich an einer solchen Neckerei seines Geheimrath, dessen
Arbeitskraft und Gewandtheit er im übrigen sehr zu schätzen wußte. Aus dem
Nachhall solcher Urteile und Stimmungen ist auch die Charakteristik hervor¬
gegangen, die M. Busch von ihm in den Tagebuchblättern II, 200 ff. ent¬
wirft, und die ihm nicht gerecht wird, weil sie den Kern seines Wesens nicht
erfaßt hat.

Und doch stand Abeken den großen Ereignissen, an denen er mitwirkte,
keineswegs ohne innere Teilnahme gegenüber, im Gegenteil! Das lebhafteste
Interesse nahm er an den zahlreichen, bedeutenden Persönlichkeiten, die während
dieser fünf Wintermonate in Versailles beim Kanzler aus- und eingingen. Den
Großherzog von Baden nennt er „einen der besten Menschen, die es giebt,
und der sehr viel Gutes hier bewirkt hat." In dem päpstlichen Nuntius Chigi
begrüßte er einen alten Bekannten aus Rom, Thiers erschien ihm als „ein
seiner, kluger, echt französischer, ja altfranzösischer Kopf"; er empfand bei den
Friedensverhandlungen menschliche Teilnahme mit ihm und Favre, „diesen
beiden armen Leuten." „Aber, so schrieb er am einsamen Weihnachtsabend
1870 seiner Frau, es ist doch ein Glück, daß man mitarbeiten durfte an dieser
großen Zeit." Er freute sich besonders herzlich über den Abschluß mit Bayern,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0538" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230970"/>
          <fw type="header" place="top"> Heinrich Abeken</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1802" prev="#ID_1801"> gewollte aufzufassen, hielten Abeken auch ab, in den damals schwebenden Fragen,<lb/>
die andre, vor allem Bismcirck selbst, aufs tiefste erregten, leidenschaftlich Partei<lb/>
zu ergreifen oder sich schärfer über sie zu äußern. Nur in sehr gedämpften<lb/>
Tönen giebt er einmal seinem Unmute über die Verzögerung der Beschießung<lb/>
von Paris Ausdruck (&#x201E;Was die Beschießung verhindert, darüber wäre viel zu<lb/>
sagen, aber nicht zu schreiben. Neben den militärischen Gründen mögen noch<lb/>
andre mitwirken, die wir aber beide jetzt besser unberührt lassen," 7. Dezember),<lb/>
und wenn er einmal bei Tafel, als die Reichstagsdeputation bevorstand, ärgerlich<lb/>
ausrief: &#x201E;Daß der Reichstag uns dreißig Kerle herschicken will, ist doch schrecklich"<lb/>
(Busch, Tagebuchblätter I, 501), so war das ein nicht ganz zeitgemäßer Nach¬<lb/>
klang der Stimmung, die ihm die Kaiserdeputation von 1849 erregt hatte, und<lb/>
des Grolles aus der Zeit des Konflikts. Scharfe Urteile andrer, auch Vis-<lb/>
marcks, zumal über fürstliche Herren waren ihm immer unbehaglich, ohne daß<lb/>
er gerade den Versuch gemacht Hütte, sie entschieden zurückzuweisen (vgl. z. B.<lb/>
Busch I, 473). Mit seinem sozusagen &#x201E;irenischen" Wesen stand er unter den<lb/>
Mitgliedern des Auswärtigen Amts, die Bismcirck in Versailles alltäglich<lb/>
an seiner gastfreien Tafel versammelte, ziemlich isoliert und wohl nur dem<lb/>
Legationsrat R. von Keudell, dem spätern Botschafter in Rom und Konstantinopel,<lb/>
näher. Die Herren senden es komisch, wenn Abeken einmal voll Pathos<lb/>
&#x201E;Wanderers Sturmlied," sein &#x201E;Leiblied," deklamierte oder durch häufige Zitate<lb/>
aus den ihm so geläufigen Klassikern zeigte, daß er sich von der Gegenwart<lb/>
nicht so ganz hinnehmen ließ wie die andern, und sie spöttelten über seine<lb/>
kleinen Eitelkeiten, von denen er nicht ganz frei war, oder über sein unbegrenztes<lb/>
Interesse für alles, was mit dem Hofe zusammenhing. Auch Bismarck be¬<lb/>
teiligte sich gelegentlich an einer solchen Neckerei seines Geheimrath, dessen<lb/>
Arbeitskraft und Gewandtheit er im übrigen sehr zu schätzen wußte. Aus dem<lb/>
Nachhall solcher Urteile und Stimmungen ist auch die Charakteristik hervor¬<lb/>
gegangen, die M. Busch von ihm in den Tagebuchblättern II, 200 ff. ent¬<lb/>
wirft, und die ihm nicht gerecht wird, weil sie den Kern seines Wesens nicht<lb/>
erfaßt hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1803" next="#ID_1804"> Und doch stand Abeken den großen Ereignissen, an denen er mitwirkte,<lb/>
keineswegs ohne innere Teilnahme gegenüber, im Gegenteil! Das lebhafteste<lb/>
Interesse nahm er an den zahlreichen, bedeutenden Persönlichkeiten, die während<lb/>
dieser fünf Wintermonate in Versailles beim Kanzler aus- und eingingen. Den<lb/>
Großherzog von Baden nennt er &#x201E;einen der besten Menschen, die es giebt,<lb/>
und der sehr viel Gutes hier bewirkt hat." In dem päpstlichen Nuntius Chigi<lb/>
begrüßte er einen alten Bekannten aus Rom, Thiers erschien ihm als &#x201E;ein<lb/>
seiner, kluger, echt französischer, ja altfranzösischer Kopf"; er empfand bei den<lb/>
Friedensverhandlungen menschliche Teilnahme mit ihm und Favre, &#x201E;diesen<lb/>
beiden armen Leuten." &#x201E;Aber, so schrieb er am einsamen Weihnachtsabend<lb/>
1870 seiner Frau, es ist doch ein Glück, daß man mitarbeiten durfte an dieser<lb/>
großen Zeit." Er freute sich besonders herzlich über den Abschluß mit Bayern,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0538] Heinrich Abeken gewollte aufzufassen, hielten Abeken auch ab, in den damals schwebenden Fragen, die andre, vor allem Bismcirck selbst, aufs tiefste erregten, leidenschaftlich Partei zu ergreifen oder sich schärfer über sie zu äußern. Nur in sehr gedämpften Tönen giebt er einmal seinem Unmute über die Verzögerung der Beschießung von Paris Ausdruck („Was die Beschießung verhindert, darüber wäre viel zu sagen, aber nicht zu schreiben. Neben den militärischen Gründen mögen noch andre mitwirken, die wir aber beide jetzt besser unberührt lassen," 7. Dezember), und wenn er einmal bei Tafel, als die Reichstagsdeputation bevorstand, ärgerlich ausrief: „Daß der Reichstag uns dreißig Kerle herschicken will, ist doch schrecklich" (Busch, Tagebuchblätter I, 501), so war das ein nicht ganz zeitgemäßer Nach¬ klang der Stimmung, die ihm die Kaiserdeputation von 1849 erregt hatte, und des Grolles aus der Zeit des Konflikts. Scharfe Urteile andrer, auch Vis- marcks, zumal über fürstliche Herren waren ihm immer unbehaglich, ohne daß er gerade den Versuch gemacht Hütte, sie entschieden zurückzuweisen (vgl. z. B. Busch I, 473). Mit seinem sozusagen „irenischen" Wesen stand er unter den Mitgliedern des Auswärtigen Amts, die Bismcirck in Versailles alltäglich an seiner gastfreien Tafel versammelte, ziemlich isoliert und wohl nur dem Legationsrat R. von Keudell, dem spätern Botschafter in Rom und Konstantinopel, näher. Die Herren senden es komisch, wenn Abeken einmal voll Pathos „Wanderers Sturmlied," sein „Leiblied," deklamierte oder durch häufige Zitate aus den ihm so geläufigen Klassikern zeigte, daß er sich von der Gegenwart nicht so ganz hinnehmen ließ wie die andern, und sie spöttelten über seine kleinen Eitelkeiten, von denen er nicht ganz frei war, oder über sein unbegrenztes Interesse für alles, was mit dem Hofe zusammenhing. Auch Bismarck be¬ teiligte sich gelegentlich an einer solchen Neckerei seines Geheimrath, dessen Arbeitskraft und Gewandtheit er im übrigen sehr zu schätzen wußte. Aus dem Nachhall solcher Urteile und Stimmungen ist auch die Charakteristik hervor¬ gegangen, die M. Busch von ihm in den Tagebuchblättern II, 200 ff. ent¬ wirft, und die ihm nicht gerecht wird, weil sie den Kern seines Wesens nicht erfaßt hat. Und doch stand Abeken den großen Ereignissen, an denen er mitwirkte, keineswegs ohne innere Teilnahme gegenüber, im Gegenteil! Das lebhafteste Interesse nahm er an den zahlreichen, bedeutenden Persönlichkeiten, die während dieser fünf Wintermonate in Versailles beim Kanzler aus- und eingingen. Den Großherzog von Baden nennt er „einen der besten Menschen, die es giebt, und der sehr viel Gutes hier bewirkt hat." In dem päpstlichen Nuntius Chigi begrüßte er einen alten Bekannten aus Rom, Thiers erschien ihm als „ein seiner, kluger, echt französischer, ja altfranzösischer Kopf"; er empfand bei den Friedensverhandlungen menschliche Teilnahme mit ihm und Favre, „diesen beiden armen Leuten." „Aber, so schrieb er am einsamen Weihnachtsabend 1870 seiner Frau, es ist doch ein Glück, daß man mitarbeiten durfte an dieser großen Zeit." Er freute sich besonders herzlich über den Abschluß mit Bayern,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/538
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/538>, abgerufen am 28.09.2024.