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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Heinrich Abeken

ich dem König gar nicht vortragen" und ging sofort zu dem soeben eingetroffnen
Grafen Eulenburg, dann mit diesem zum König. Als er diesem meldete, er
habe eine Depesche von Werther, sie sei aber nicht geeignet, dem König von
Preußen vorgetragen zu werden, bemerkte dieser ruhig: "Nun, dann nehmen
Sie an, wir seien für einige Zeit Privatleute," und ließ sie sich vorlesen. So
siel die Entscheidung am 13. Juli. In Abekens Hand zuerst kam morgens auf
der Brunnenpromenade das Extrablatt der Kölnischen Zeitung mit der Pariser
Nachricht vom Rücktritte Leopolds; er gab es dem Flügeladjutanten Prinz
Anton Nadziwill, um es Benedetti mitzuteilen, worauf dieser den Anlaß be¬
nutzte, "um Se. Majestät den König anzureden und ihm die unverschämten
Vorschläge wegen einer Garantie zu machen"; dann gab der König am vier¬
zehnten das Blatt Abeken, der es mit seinen handschriftlichen Bemerkungen auf¬
bewahrt hat. Nachmittags 3 Uhr 50 Minuten endlich richtete er auf Befehl
des Königs an Graf Bismarck die berühmte Emser Depesche, die dieser dann
zu der wirksamen Fanfarenform zusammenstrich. Trotzdem glaubte man in der
Umgebung des Königs noch nicht so dicht vor dem Kriege zu stehen. Da
befahl der Monarch am Vormittag des 14. Juli, nach dem Eingange der Bis-
marckschen Depesche, die Abreise für den 15. Juli. Die Fahrt glich einem
Triumphzuge, Abeken aber saß schon von Limburg ab im Salonwagen des
Königs, um die an jeder Station ein- und ausgehenden Depeschen zu bewältigen.
Es bezeichnet die fürsorgliche Güte des Königs, auch in Kleinigkeiten, daß er
selbst beim Frühstück für Abeken und seine beiden Hofrüte Butterbrode auf die
Gabel spießte und sie ihnen hinüberreichen ließ. Bei der Ankunft in Berlin
dankte er Abeken mit herzlichen Worten für treue Dienste in schwerer Zeit und
drückte ihm eine Ordensdekoration in die Hand.

Vierzehn Tage später, am 30. Juli, reiste Abeken im Gefolge des Königs
und Bismarcks nach Mainz auf den Kriegsschauplatz ab. In dieser nunmehr
doppelt wichtigen Stellung hat er den ganzen Krieg mitgemacht und darüber
fast Tag für Tag an seine Frau in einer Fülle der anziehendsten Briefe be¬
richtet, die allerdings über politische Dinge offenbar viel weniger sagen, als
er wußte. Sie bilden die interessanteste Parallele zu den Tagebuchblättern
von M. Busch, der sich fast täglich mit ihm berührte; aber wenn Abekens
Briefe auch geistvoll, fein und vornehm sind, so berichtet Busch meist weit ein¬
gehender und drastischer.

Von den großen Schlachten hat Abeken, obwohl trotz seiner 61 Jahre
ein rüstiger Reiter, weniger gesehen als Busch. Am 15. August sah er vor
Metz nur die Staubwolken der abziehenden französischen Armee, am 17. das
schreckliche Schlachtfeld von Mars-la-Tour; am 18. war er in Pont-ä-Moussou
zurückgeblieben. Erst die Schlacht von Beaumont am 30. August konnte er
wenigstens aus der Entfernung beobachten, "ein ernstes großartiges Schauspiel."
Dagegen hatte er am 1. September in Vendresse, mehrere Meilen vom Schlacht-


Heinrich Abeken

ich dem König gar nicht vortragen" und ging sofort zu dem soeben eingetroffnen
Grafen Eulenburg, dann mit diesem zum König. Als er diesem meldete, er
habe eine Depesche von Werther, sie sei aber nicht geeignet, dem König von
Preußen vorgetragen zu werden, bemerkte dieser ruhig: „Nun, dann nehmen
Sie an, wir seien für einige Zeit Privatleute," und ließ sie sich vorlesen. So
siel die Entscheidung am 13. Juli. In Abekens Hand zuerst kam morgens auf
der Brunnenpromenade das Extrablatt der Kölnischen Zeitung mit der Pariser
Nachricht vom Rücktritte Leopolds; er gab es dem Flügeladjutanten Prinz
Anton Nadziwill, um es Benedetti mitzuteilen, worauf dieser den Anlaß be¬
nutzte, „um Se. Majestät den König anzureden und ihm die unverschämten
Vorschläge wegen einer Garantie zu machen"; dann gab der König am vier¬
zehnten das Blatt Abeken, der es mit seinen handschriftlichen Bemerkungen auf¬
bewahrt hat. Nachmittags 3 Uhr 50 Minuten endlich richtete er auf Befehl
des Königs an Graf Bismarck die berühmte Emser Depesche, die dieser dann
zu der wirksamen Fanfarenform zusammenstrich. Trotzdem glaubte man in der
Umgebung des Königs noch nicht so dicht vor dem Kriege zu stehen. Da
befahl der Monarch am Vormittag des 14. Juli, nach dem Eingange der Bis-
marckschen Depesche, die Abreise für den 15. Juli. Die Fahrt glich einem
Triumphzuge, Abeken aber saß schon von Limburg ab im Salonwagen des
Königs, um die an jeder Station ein- und ausgehenden Depeschen zu bewältigen.
Es bezeichnet die fürsorgliche Güte des Königs, auch in Kleinigkeiten, daß er
selbst beim Frühstück für Abeken und seine beiden Hofrüte Butterbrode auf die
Gabel spießte und sie ihnen hinüberreichen ließ. Bei der Ankunft in Berlin
dankte er Abeken mit herzlichen Worten für treue Dienste in schwerer Zeit und
drückte ihm eine Ordensdekoration in die Hand.

Vierzehn Tage später, am 30. Juli, reiste Abeken im Gefolge des Königs
und Bismarcks nach Mainz auf den Kriegsschauplatz ab. In dieser nunmehr
doppelt wichtigen Stellung hat er den ganzen Krieg mitgemacht und darüber
fast Tag für Tag an seine Frau in einer Fülle der anziehendsten Briefe be¬
richtet, die allerdings über politische Dinge offenbar viel weniger sagen, als
er wußte. Sie bilden die interessanteste Parallele zu den Tagebuchblättern
von M. Busch, der sich fast täglich mit ihm berührte; aber wenn Abekens
Briefe auch geistvoll, fein und vornehm sind, so berichtet Busch meist weit ein¬
gehender und drastischer.

Von den großen Schlachten hat Abeken, obwohl trotz seiner 61 Jahre
ein rüstiger Reiter, weniger gesehen als Busch. Am 15. August sah er vor
Metz nur die Staubwolken der abziehenden französischen Armee, am 17. das
schreckliche Schlachtfeld von Mars-la-Tour; am 18. war er in Pont-ä-Moussou
zurückgeblieben. Erst die Schlacht von Beaumont am 30. August konnte er
wenigstens aus der Entfernung beobachten, „ein ernstes großartiges Schauspiel."
Dagegen hatte er am 1. September in Vendresse, mehrere Meilen vom Schlacht-


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[0536] Heinrich Abeken ich dem König gar nicht vortragen" und ging sofort zu dem soeben eingetroffnen Grafen Eulenburg, dann mit diesem zum König. Als er diesem meldete, er habe eine Depesche von Werther, sie sei aber nicht geeignet, dem König von Preußen vorgetragen zu werden, bemerkte dieser ruhig: „Nun, dann nehmen Sie an, wir seien für einige Zeit Privatleute," und ließ sie sich vorlesen. So siel die Entscheidung am 13. Juli. In Abekens Hand zuerst kam morgens auf der Brunnenpromenade das Extrablatt der Kölnischen Zeitung mit der Pariser Nachricht vom Rücktritte Leopolds; er gab es dem Flügeladjutanten Prinz Anton Nadziwill, um es Benedetti mitzuteilen, worauf dieser den Anlaß be¬ nutzte, „um Se. Majestät den König anzureden und ihm die unverschämten Vorschläge wegen einer Garantie zu machen"; dann gab der König am vier¬ zehnten das Blatt Abeken, der es mit seinen handschriftlichen Bemerkungen auf¬ bewahrt hat. Nachmittags 3 Uhr 50 Minuten endlich richtete er auf Befehl des Königs an Graf Bismarck die berühmte Emser Depesche, die dieser dann zu der wirksamen Fanfarenform zusammenstrich. Trotzdem glaubte man in der Umgebung des Königs noch nicht so dicht vor dem Kriege zu stehen. Da befahl der Monarch am Vormittag des 14. Juli, nach dem Eingange der Bis- marckschen Depesche, die Abreise für den 15. Juli. Die Fahrt glich einem Triumphzuge, Abeken aber saß schon von Limburg ab im Salonwagen des Königs, um die an jeder Station ein- und ausgehenden Depeschen zu bewältigen. Es bezeichnet die fürsorgliche Güte des Königs, auch in Kleinigkeiten, daß er selbst beim Frühstück für Abeken und seine beiden Hofrüte Butterbrode auf die Gabel spießte und sie ihnen hinüberreichen ließ. Bei der Ankunft in Berlin dankte er Abeken mit herzlichen Worten für treue Dienste in schwerer Zeit und drückte ihm eine Ordensdekoration in die Hand. Vierzehn Tage später, am 30. Juli, reiste Abeken im Gefolge des Königs und Bismarcks nach Mainz auf den Kriegsschauplatz ab. In dieser nunmehr doppelt wichtigen Stellung hat er den ganzen Krieg mitgemacht und darüber fast Tag für Tag an seine Frau in einer Fülle der anziehendsten Briefe be¬ richtet, die allerdings über politische Dinge offenbar viel weniger sagen, als er wußte. Sie bilden die interessanteste Parallele zu den Tagebuchblättern von M. Busch, der sich fast täglich mit ihm berührte; aber wenn Abekens Briefe auch geistvoll, fein und vornehm sind, so berichtet Busch meist weit ein¬ gehender und drastischer. Von den großen Schlachten hat Abeken, obwohl trotz seiner 61 Jahre ein rüstiger Reiter, weniger gesehen als Busch. Am 15. August sah er vor Metz nur die Staubwolken der abziehenden französischen Armee, am 17. das schreckliche Schlachtfeld von Mars-la-Tour; am 18. war er in Pont-ä-Moussou zurückgeblieben. Erst die Schlacht von Beaumont am 30. August konnte er wenigstens aus der Entfernung beobachten, „ein ernstes großartiges Schauspiel." Dagegen hatte er am 1. September in Vendresse, mehrere Meilen vom Schlacht-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/536>, abgerufen am 28.09.2024.