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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Döllingers Jugend

Gespenstes, dies waren die Früchte seiner Ratschläge." Immerhin waren diese
Geschichten dem Könige nicht angenehm; Döllinger fiel in Ungnade und wäre
beinahe von München fortgegangen. Sehr scharfe Angriffe wurden in den
Blättern für litterarische Unterhaltung anläßlich der erwähnten Rektoratsrede
gegen die "Kongregation" gerichtet. In der neuern Zeit, so begann der
Münchner Korrespondent des Blattes, "wird unsre politische Luft von den
Schwingen des Zeitgeistes zwar merklich, unter Begünstigung von oben, in
Bewegung gesetzt; indessen wirbelt zugleich ein schwarzer, supranaturalistischer
Staub auf uns zu, den die Freunde des AufHaltens und des Rückschreitens
mit breiten Hufen aufgestampft haben." Die frömmelnden Feinde suchten durch
den Vorwand, als bestünde keine Kongregation, dem Fürsten und dem auf¬
geklärten Teil des Publikums jede kräftige Maßregel gegen die Anmaßung der
Sektierer als unnötig vorzustellen und den Eifer gegen die Jesuiten als Ge-
spensterseherei verdächtig zu machen. "Die Mitglieder der Gesellschaft, die in
Bayern der Jesuiten alte Arbeit wieder aufnehmen, sind freilich in keinem
Staatshandbuche als Kongregationisten aufgeführt; sie tragen nicht das Kleid
der Schüler des Ignaz von Loyola, haben noch keine Klöster, keine avouierte
Oberhäupter. Ist es aber darum weniger gewiß, daß bei uns eine durch
jesuitische Grundsätze eng verbundne geheime Gesellschaft mit den französischen
Kongregationisten in Verkehr und Briefwechsel steht, und daß sie als eine
überall vorhandene und nirgends zu findendes Partei sich zur Aufgabe gemacht,
den durch den König beschützten Geist des Aufstrebens in die Tiefe des blinden
Glaubens zurückzuführen? usw." Mit den Franzosen hatte es seine Richtigkeit,
nur daß die französischen Freunde Döllingers. Lamennais, Lacordaire, Mon-
talembert, Männer waren, die je länger je mehr in Gegensatz zu Rom und
den Jesuiten gerieten. Lamennais empfing die Nachricht von seiner Ver¬
urteilung durch die Encyklika Nir-ni vos in München. Jesuitenfreund aber
ist Döllinger niemals gewesen. Nicht daß er die bekannten Räubergeschichten
geglaubt Hütte, auch von dem, was er ihnen später selbst nachgesagt hat, wußte
er in jener Zeit noch nichts, nahm sie sogar, wenn dergleichen vorgebracht
wurde, in Schutz. Aber er fand, daß die ältern Jesuiten von Freund und
Feind überschätzt würden, daß die wiederhergestellten überhaupt noch nichts
geleistet hätten, und daß ihre Schulen schlecht seien, und er führte die Sehnsucht
vieler Katholiken nach ihnen, soweit sie nicht unverständige Schwärmerei sei,
auf Faulheit zurück; weil man sich selbst zu thun scheue, was nötig sei, um
den Katholizismus wieder zu beleben und ihm Achtung zu verschaffen, wolle
Man die Jesuiten hereinrufen, die das Erforderliche schon besorgen würden.



Es ist das Pech der Leute, die alle ihnen unbequemen Erscheinungen auf Nerschwö-
rungen und geheime Gesellschaften zurückführen, statt auf die natürlichen Ursachen, daß sie das
Gesuchte: eine polizeilich beobachtete, feierliche Sitzung, niemals finden.
Grenzboten II 1809 litt
Döllingers Jugend

Gespenstes, dies waren die Früchte seiner Ratschläge." Immerhin waren diese
Geschichten dem Könige nicht angenehm; Döllinger fiel in Ungnade und wäre
beinahe von München fortgegangen. Sehr scharfe Angriffe wurden in den
Blättern für litterarische Unterhaltung anläßlich der erwähnten Rektoratsrede
gegen die „Kongregation" gerichtet. In der neuern Zeit, so begann der
Münchner Korrespondent des Blattes, „wird unsre politische Luft von den
Schwingen des Zeitgeistes zwar merklich, unter Begünstigung von oben, in
Bewegung gesetzt; indessen wirbelt zugleich ein schwarzer, supranaturalistischer
Staub auf uns zu, den die Freunde des AufHaltens und des Rückschreitens
mit breiten Hufen aufgestampft haben." Die frömmelnden Feinde suchten durch
den Vorwand, als bestünde keine Kongregation, dem Fürsten und dem auf¬
geklärten Teil des Publikums jede kräftige Maßregel gegen die Anmaßung der
Sektierer als unnötig vorzustellen und den Eifer gegen die Jesuiten als Ge-
spensterseherei verdächtig zu machen. „Die Mitglieder der Gesellschaft, die in
Bayern der Jesuiten alte Arbeit wieder aufnehmen, sind freilich in keinem
Staatshandbuche als Kongregationisten aufgeführt; sie tragen nicht das Kleid
der Schüler des Ignaz von Loyola, haben noch keine Klöster, keine avouierte
Oberhäupter. Ist es aber darum weniger gewiß, daß bei uns eine durch
jesuitische Grundsätze eng verbundne geheime Gesellschaft mit den französischen
Kongregationisten in Verkehr und Briefwechsel steht, und daß sie als eine
überall vorhandene und nirgends zu findendes Partei sich zur Aufgabe gemacht,
den durch den König beschützten Geist des Aufstrebens in die Tiefe des blinden
Glaubens zurückzuführen? usw." Mit den Franzosen hatte es seine Richtigkeit,
nur daß die französischen Freunde Döllingers. Lamennais, Lacordaire, Mon-
talembert, Männer waren, die je länger je mehr in Gegensatz zu Rom und
den Jesuiten gerieten. Lamennais empfing die Nachricht von seiner Ver¬
urteilung durch die Encyklika Nir-ni vos in München. Jesuitenfreund aber
ist Döllinger niemals gewesen. Nicht daß er die bekannten Räubergeschichten
geglaubt Hütte, auch von dem, was er ihnen später selbst nachgesagt hat, wußte
er in jener Zeit noch nichts, nahm sie sogar, wenn dergleichen vorgebracht
wurde, in Schutz. Aber er fand, daß die ältern Jesuiten von Freund und
Feind überschätzt würden, daß die wiederhergestellten überhaupt noch nichts
geleistet hätten, und daß ihre Schulen schlecht seien, und er führte die Sehnsucht
vieler Katholiken nach ihnen, soweit sie nicht unverständige Schwärmerei sei,
auf Faulheit zurück; weil man sich selbst zu thun scheue, was nötig sei, um
den Katholizismus wieder zu beleben und ihm Achtung zu verschaffen, wolle
Man die Jesuiten hereinrufen, die das Erforderliche schon besorgen würden.



Es ist das Pech der Leute, die alle ihnen unbequemen Erscheinungen auf Nerschwö-
rungen und geheime Gesellschaften zurückführen, statt auf die natürlichen Ursachen, daß sie das
Gesuchte: eine polizeilich beobachtete, feierliche Sitzung, niemals finden.
Grenzboten II 1809 litt
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[0529] Döllingers Jugend Gespenstes, dies waren die Früchte seiner Ratschläge." Immerhin waren diese Geschichten dem Könige nicht angenehm; Döllinger fiel in Ungnade und wäre beinahe von München fortgegangen. Sehr scharfe Angriffe wurden in den Blättern für litterarische Unterhaltung anläßlich der erwähnten Rektoratsrede gegen die „Kongregation" gerichtet. In der neuern Zeit, so begann der Münchner Korrespondent des Blattes, „wird unsre politische Luft von den Schwingen des Zeitgeistes zwar merklich, unter Begünstigung von oben, in Bewegung gesetzt; indessen wirbelt zugleich ein schwarzer, supranaturalistischer Staub auf uns zu, den die Freunde des AufHaltens und des Rückschreitens mit breiten Hufen aufgestampft haben." Die frömmelnden Feinde suchten durch den Vorwand, als bestünde keine Kongregation, dem Fürsten und dem auf¬ geklärten Teil des Publikums jede kräftige Maßregel gegen die Anmaßung der Sektierer als unnötig vorzustellen und den Eifer gegen die Jesuiten als Ge- spensterseherei verdächtig zu machen. „Die Mitglieder der Gesellschaft, die in Bayern der Jesuiten alte Arbeit wieder aufnehmen, sind freilich in keinem Staatshandbuche als Kongregationisten aufgeführt; sie tragen nicht das Kleid der Schüler des Ignaz von Loyola, haben noch keine Klöster, keine avouierte Oberhäupter. Ist es aber darum weniger gewiß, daß bei uns eine durch jesuitische Grundsätze eng verbundne geheime Gesellschaft mit den französischen Kongregationisten in Verkehr und Briefwechsel steht, und daß sie als eine überall vorhandene und nirgends zu findendes Partei sich zur Aufgabe gemacht, den durch den König beschützten Geist des Aufstrebens in die Tiefe des blinden Glaubens zurückzuführen? usw." Mit den Franzosen hatte es seine Richtigkeit, nur daß die französischen Freunde Döllingers. Lamennais, Lacordaire, Mon- talembert, Männer waren, die je länger je mehr in Gegensatz zu Rom und den Jesuiten gerieten. Lamennais empfing die Nachricht von seiner Ver¬ urteilung durch die Encyklika Nir-ni vos in München. Jesuitenfreund aber ist Döllinger niemals gewesen. Nicht daß er die bekannten Räubergeschichten geglaubt Hütte, auch von dem, was er ihnen später selbst nachgesagt hat, wußte er in jener Zeit noch nichts, nahm sie sogar, wenn dergleichen vorgebracht wurde, in Schutz. Aber er fand, daß die ältern Jesuiten von Freund und Feind überschätzt würden, daß die wiederhergestellten überhaupt noch nichts geleistet hätten, und daß ihre Schulen schlecht seien, und er führte die Sehnsucht vieler Katholiken nach ihnen, soweit sie nicht unverständige Schwärmerei sei, auf Faulheit zurück; weil man sich selbst zu thun scheue, was nötig sei, um den Katholizismus wieder zu beleben und ihm Achtung zu verschaffen, wolle Man die Jesuiten hereinrufen, die das Erforderliche schon besorgen würden. Es ist das Pech der Leute, die alle ihnen unbequemen Erscheinungen auf Nerschwö- rungen und geheime Gesellschaften zurückführen, statt auf die natürlichen Ursachen, daß sie das Gesuchte: eine polizeilich beobachtete, feierliche Sitzung, niemals finden. Grenzboten II 1809 litt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/529>, abgerufen am 28.09.2024.