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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Deutschlands Gxportbediirfins

etwa bis 7 Milliarden mit einem Ertrage von über 400 Millionen.
Dazu kämen noch die im europäischen Ausland arbeitenden Kapitalien, Mau
könne wohl annehmen, daß wir mit den Erträgen dieser im Ausland angelegten
Kapitalmacht den jetzigen Einnahmeüberschuß zu bezahlen imstande wären.

Es ist klar, daß diese Erträgnisse unsrer im Ausland angelegten Kapitalien,
überhaupt des gesamten Auslandsgeschäfts, das wir außer dem Warenexport
betreiben, die Konsumtionskraft des deutschen Markes ganz beträchtlich zu
steigern geeignet sind und uus nicht nur die importierten Nahrungsmittel be¬
zahlen helfen, sondern auch mehr Industriearbeiter für unsern eignen Bedarf
arbeiten zu lassen gestatten, als wir ohne sie beschäftigen könnten. Aber ab¬
gesehen von der argen Unzuverlüssigkeit jeder Schätzung dieser Auslandserträg¬
nisse erscheint es uns denn doch ohne strikten Beweis, der nicht zu erbringen
ist, ganz unzulässig, Deutschland auch nur annähernd mit England als "über¬
sättigt mit Kapitalien" auf dieselbe Stufe zu stellen, oder auch nur annähernd
unsre ertragreich im Ausland arbeitenden Kapitalien mit denen Englands zu
vergleichen. Was sich England erlauben kann, könne" wir uns noch lange
nicht erlauben, wenn England eine fallende Exportquote noch länger ruhig an¬
sehen darf, so dürfen wir das deshalb nicht gleichfalls. Und doch haben wir
unsre Judustriearbeiterschaft in dreizehn Jahren um 35 Prozent vermehrt,
England in zehn Jahren nur um 13 Prozent.

Die Frage unsrer passiven Handelsbilanz wollen wir hier gar nicht einmal
streifen. Es wäre aber sehr zu beklagen, wenn man aus der Thatsache, daß
unsre Einfuhr viel schneller wächst als unsre Ausfuhr, ohne weiteres folgerte:
wir "müssen" es doch dazu haben, unsre im Auslande arbeitenden Kapitalien
"müssen" sich doch so vermehrt haben und so viel mehr abwerfen, daß wir uns
einen so überaus opulenten innern Markt erlauben können. Sollte sich hier viel¬
leicht eine neue Fabelbildung vorbereiten? Sie müßte schließlich darauf hinaus¬
laufen, daß wir gleichsam über Nacht aus armen Schluckern schwer reiche Leute
geworden sind. In welcher Periode unsrer Wirtschasts- und Handelsgeschichte
könnte sich denn das Wunder zugetragen haben? Vom Dreißigjährigen Kriege
bis zu den Freiheitskriegen sicher nicht. Aber auch von da bis zur Gründung
des neuen Deutschen Reichs, so erfreulich sich auch in dieser Periode die deutsche
Industrie, der deutsche Handel und die deutsche Landwirtschaft entwickelt haben,
ist Deutschland doch nicht aus der Reihe der armen Länder in die der reichen
übergegangen, ist es doch namentlich nicht zu einer Übersättigung mit Kapitalien
gelangt, die zu umfangreichen Anlagen im Auslande geführt hätten. Mit den
achtziger Jahren soll nun aber schon der Zustand der Übersättigung erreicht ge¬
wesen und das Gesetz von der sinkenden Exportquote wirksam geworden sein.
Sind es etwa gar gerade die siebziger Jahre gewesen, die uns so reich gemacht
haben? Es erscheint uns sehr wünschenswert, daß sich die "exakten" Forschungen
der modernen Nationalökonomen auch einmal dieser Frage zuwenden. Vorläufig
bestreikn wir jede Möglichkeit, daß Deutschland in einer jedenfalls knapp auf

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Deutschlands Gxportbediirfins

etwa bis 7 Milliarden mit einem Ertrage von über 400 Millionen.
Dazu kämen noch die im europäischen Ausland arbeitenden Kapitalien, Mau
könne wohl annehmen, daß wir mit den Erträgen dieser im Ausland angelegten
Kapitalmacht den jetzigen Einnahmeüberschuß zu bezahlen imstande wären.

Es ist klar, daß diese Erträgnisse unsrer im Ausland angelegten Kapitalien,
überhaupt des gesamten Auslandsgeschäfts, das wir außer dem Warenexport
betreiben, die Konsumtionskraft des deutschen Markes ganz beträchtlich zu
steigern geeignet sind und uus nicht nur die importierten Nahrungsmittel be¬
zahlen helfen, sondern auch mehr Industriearbeiter für unsern eignen Bedarf
arbeiten zu lassen gestatten, als wir ohne sie beschäftigen könnten. Aber ab¬
gesehen von der argen Unzuverlüssigkeit jeder Schätzung dieser Auslandserträg¬
nisse erscheint es uns denn doch ohne strikten Beweis, der nicht zu erbringen
ist, ganz unzulässig, Deutschland auch nur annähernd mit England als „über¬
sättigt mit Kapitalien" auf dieselbe Stufe zu stellen, oder auch nur annähernd
unsre ertragreich im Ausland arbeitenden Kapitalien mit denen Englands zu
vergleichen. Was sich England erlauben kann, könne» wir uns noch lange
nicht erlauben, wenn England eine fallende Exportquote noch länger ruhig an¬
sehen darf, so dürfen wir das deshalb nicht gleichfalls. Und doch haben wir
unsre Judustriearbeiterschaft in dreizehn Jahren um 35 Prozent vermehrt,
England in zehn Jahren nur um 13 Prozent.

Die Frage unsrer passiven Handelsbilanz wollen wir hier gar nicht einmal
streifen. Es wäre aber sehr zu beklagen, wenn man aus der Thatsache, daß
unsre Einfuhr viel schneller wächst als unsre Ausfuhr, ohne weiteres folgerte:
wir „müssen" es doch dazu haben, unsre im Auslande arbeitenden Kapitalien
„müssen" sich doch so vermehrt haben und so viel mehr abwerfen, daß wir uns
einen so überaus opulenten innern Markt erlauben können. Sollte sich hier viel¬
leicht eine neue Fabelbildung vorbereiten? Sie müßte schließlich darauf hinaus¬
laufen, daß wir gleichsam über Nacht aus armen Schluckern schwer reiche Leute
geworden sind. In welcher Periode unsrer Wirtschasts- und Handelsgeschichte
könnte sich denn das Wunder zugetragen haben? Vom Dreißigjährigen Kriege
bis zu den Freiheitskriegen sicher nicht. Aber auch von da bis zur Gründung
des neuen Deutschen Reichs, so erfreulich sich auch in dieser Periode die deutsche
Industrie, der deutsche Handel und die deutsche Landwirtschaft entwickelt haben,
ist Deutschland doch nicht aus der Reihe der armen Länder in die der reichen
übergegangen, ist es doch namentlich nicht zu einer Übersättigung mit Kapitalien
gelangt, die zu umfangreichen Anlagen im Auslande geführt hätten. Mit den
achtziger Jahren soll nun aber schon der Zustand der Übersättigung erreicht ge¬
wesen und das Gesetz von der sinkenden Exportquote wirksam geworden sein.
Sind es etwa gar gerade die siebziger Jahre gewesen, die uns so reich gemacht
haben? Es erscheint uns sehr wünschenswert, daß sich die „exakten" Forschungen
der modernen Nationalökonomen auch einmal dieser Frage zuwenden. Vorläufig
bestreikn wir jede Möglichkeit, daß Deutschland in einer jedenfalls knapp auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/518>, abgerufen am 28.09.2024.