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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Deutschlands Lxportbedürfnis

unsers Erachtens über das Ziel hinausgeschossen. Nicht uur die Thatsache, daß
in der Periode 1882 bis 1895 unser Export verkümmert ist, während die
Produktion ungeheuer zugenommen hat, glaubt er mit den Zahlen beweisen
zu können, sondern er formuliert, auf sie gestützt, ein ökonomisches Gesetz, das
Gesetz der "fallenden Exportquote."

Sehen wir zu, was er am 16. März darüber gesagt hat. Er scheint
uns in jedem Satz ein klassisches Beispiel dafür gegeben zu haben, wie es die
"exakte" Forschung nicht machen soll. Er schreibt nämlich folgendes: Eine
genaue Prüfung der gewerblichen Entwicklung in den verschiednen Ländern
lehre, daß in den Anfängen des Kapitalismus der Export gewerblicher Er-
zeugnisse eine überwiegende Stellung im Wirtschaftsleben der einzelnen Nation
einnehme und erst in dem Maße aus dieser Stellung verdrängt werde, wie
die wirtschaftliche Entwicklung fortschreite. Die kontinentalen Länder Europas,
vor allem Deutschland, hätten bis Mitte der achtziger Jahre hinein den
Schwerpunkt ihrer industriellen Entwicklung thatsächlich in der Exportindustrie
mehr oder weniger gehabt. Es wäre das die "Periode der Internationalisie-
rung des gewerblichen Kapitalismus" gewesen, der min seit einigen Jahrzehnten
die "Periode der Nationalisierung" gefolgt sei. Zumal für Deutschland sei
diese Periodenfvlge evident. Von dem märchenhaften industriellen Aufschwung
der letzten Jahrzehnte sei nur ein geringer Teil dem Export zu gute gekommen:
ein wachsender Löwenanteil entfalte aus leicht erkennbaren Gründen auf den
Jnlcmdskonsum.

Das alles wird einzig und allein durch den Hinweis auf die mchr-
erwühnten Zahlen von 1882 und 1895 erwiesen, soweit es Deutschland angeht,
d. h. es wird ohne jene thatsächliche Unterlage gelassen. Und welches sind
seine Gründe für die Steigerung des Jnlcmdkonsums? "Die stoffverarbeitende
Thätigkeit, sagt er, muß unabweislich aus folgenden Gründen einen immer
breitern Spielraum in jeder Kulturnation einnehmen, mag nun der Export
eine Rolle spielen oder nicht: erstens wegen der noch immer fortschreitenden
Einschränkung der längst noch nicht verschwundnen hausgewerblichen Eigen¬
produktion; zweitens wegen der zunehmenden Ansprüche an den Konsum des
Lebens . . .; drittens weil es in fortschreitendem Maße gelingt, die von der
Landwirtschaft zu liefernden Rohstoffe nicht nur immer mannigfaltiger und
reicher zu verarbeiten, sondern auch zu ersetzen..."

Der Artikel schließt unmittelbar darauf mit folgenden Sätzen: "Übergang
zum "Industriestaat", wenn es schon bei dem schiefen Ausdruck sein Bewenden
haben soll, ja; denn es bedeutet Kulturmenschwerdung schlechthin; zum "Export-
mdustriestaat" nicht notwendig, thatsächlich nicht. Würde sich unser Export
noch langsamer im Verhältnis zur Gesamtwirtschaft entfalten, so wäre es eine
auffallende und ungesunde Erscheinung. Das, was wir davon haben und in
dem bisherigen Tempo fortschreitend bekommen werden, ist das Mindeste, was


Deutschlands Lxportbedürfnis

unsers Erachtens über das Ziel hinausgeschossen. Nicht uur die Thatsache, daß
in der Periode 1882 bis 1895 unser Export verkümmert ist, während die
Produktion ungeheuer zugenommen hat, glaubt er mit den Zahlen beweisen
zu können, sondern er formuliert, auf sie gestützt, ein ökonomisches Gesetz, das
Gesetz der „fallenden Exportquote."

Sehen wir zu, was er am 16. März darüber gesagt hat. Er scheint
uns in jedem Satz ein klassisches Beispiel dafür gegeben zu haben, wie es die
»exakte" Forschung nicht machen soll. Er schreibt nämlich folgendes: Eine
genaue Prüfung der gewerblichen Entwicklung in den verschiednen Ländern
lehre, daß in den Anfängen des Kapitalismus der Export gewerblicher Er-
zeugnisse eine überwiegende Stellung im Wirtschaftsleben der einzelnen Nation
einnehme und erst in dem Maße aus dieser Stellung verdrängt werde, wie
die wirtschaftliche Entwicklung fortschreite. Die kontinentalen Länder Europas,
vor allem Deutschland, hätten bis Mitte der achtziger Jahre hinein den
Schwerpunkt ihrer industriellen Entwicklung thatsächlich in der Exportindustrie
mehr oder weniger gehabt. Es wäre das die „Periode der Internationalisie-
rung des gewerblichen Kapitalismus" gewesen, der min seit einigen Jahrzehnten
die „Periode der Nationalisierung" gefolgt sei. Zumal für Deutschland sei
diese Periodenfvlge evident. Von dem märchenhaften industriellen Aufschwung
der letzten Jahrzehnte sei nur ein geringer Teil dem Export zu gute gekommen:
ein wachsender Löwenanteil entfalte aus leicht erkennbaren Gründen auf den
Jnlcmdskonsum.

Das alles wird einzig und allein durch den Hinweis auf die mchr-
erwühnten Zahlen von 1882 und 1895 erwiesen, soweit es Deutschland angeht,
d. h. es wird ohne jene thatsächliche Unterlage gelassen. Und welches sind
seine Gründe für die Steigerung des Jnlcmdkonsums? „Die stoffverarbeitende
Thätigkeit, sagt er, muß unabweislich aus folgenden Gründen einen immer
breitern Spielraum in jeder Kulturnation einnehmen, mag nun der Export
eine Rolle spielen oder nicht: erstens wegen der noch immer fortschreitenden
Einschränkung der längst noch nicht verschwundnen hausgewerblichen Eigen¬
produktion; zweitens wegen der zunehmenden Ansprüche an den Konsum des
Lebens . . .; drittens weil es in fortschreitendem Maße gelingt, die von der
Landwirtschaft zu liefernden Rohstoffe nicht nur immer mannigfaltiger und
reicher zu verarbeiten, sondern auch zu ersetzen..."

Der Artikel schließt unmittelbar darauf mit folgenden Sätzen: „Übergang
zum »Industriestaat«, wenn es schon bei dem schiefen Ausdruck sein Bewenden
haben soll, ja; denn es bedeutet Kulturmenschwerdung schlechthin; zum »Export-
mdustriestaat« nicht notwendig, thatsächlich nicht. Würde sich unser Export
noch langsamer im Verhältnis zur Gesamtwirtschaft entfalten, so wäre es eine
auffallende und ungesunde Erscheinung. Das, was wir davon haben und in
dem bisherigen Tempo fortschreitend bekommen werden, ist das Mindeste, was


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/515>, abgerufen am 28.09.2024.