Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Über griechische und römische Verfluchungstafeln

Während sich nun die bisher besprochnen Verfluchungen ganz auf dem
Boden des griechischen Götterglaubens halten, weisen andre in immer zu¬
nehmendem Maße den Charakter der Religionsmengerei auf, die für den Be¬
ginn des Sinkens des Heidentums so bezeichnend ist, wobei sich vor allem
orientalische Kulte immer mehr bemerklich machen. Derartige Tafeln sind ge¬
funden worden in Rom, Puteoli, Cumae, Alexandria, Karthago, Hadrumetum,
Cypern. Sie sind zum Teil sehr ausführlich und enthalten häufig die in der
Magie und später im Gnostizismns sehr beliebte "ephesische Schrift." Die
LxnoÄg. Kraininatg, waren schon den alten Komikern bekannt; ihr Name wurde
verschieden erklärt; die eiuen behaupteten, er käme von den an der Statue der
ephesischen Artemis angebrachten Buchstaben her, die andern wußten von einem
Athleten ans Ephesus zu berichten, der sich durch solche Zauberschrift den
Sieg in den Wettspielen verschafft habe. Als Beispiel diene, was der Lexiko¬
graph Hesychius anführt: gslcion KatWliion lix wtrax clÄmnamensus fühlen.
Dieses Beispiel bringt die beiden Hauptarten der ephesischen Schrift: die einen
Worte sind nämlich ganz sinnlos, sollen möglichst abenteuerlich und fremdartig
klingen (wie etwa bei uns Hokus Pokus oder Berücke Berlocke), die andern ent¬
halten Worte, die einen gewissen Sinn gehabt haben mögen, aber in merkwürdiger
Zusammensetzung, wobei griechische Stämme mit fremden, besonders ägyptischen
und semitischen, verbunden sind. So entsteh" denn solche Wortungeheuer,
wie Lanabisaphlcin oder Semasilcunps usw. Das häufigste ist freilich, zumal
in späterer Zeit, eine bloße Zusammensetzung von Buchstaben mit möglichst
vielen Konsonanten und einem und demselben Vokal; so ist Abrasax gebildet,
woraus dann das üblichere Abraxas wurde, so auch Abracadabra und manches
andre, was in den Gnostizismus und später in die Kabbala des Mittelalters
übergegangen ist/")

Die Gottheiten, die in diesen Tafeln angerufen werden, sind teilweise die
griechischen, besonders Hermes, Hades, Persephone, Ge, Hekate; aber neben
ihren verständlichen Namen führen sie seltsame geheime Bezeichnungen: so heißt
Pluton "Hyesemegadon," Persephone "Zaudachthumci," Kore "Ereschigal" usw.
Ganz besonders zeigt sich aber der religiöse Synkretismus in den übrigen
Gottheiten, unter denen zumal die Dämonen eine wichtige Rolle spielen. Die
Dämonen waren in der ältesten Mythologie noch göttergleiche Wesen; bei
Hesiod sind sie oberirdische Wächter, die Seelen der Menschen aus dem
goldnen Zeitalter; später nehmen sie in der Regel eine Art Zwischenstufe
zwischen Göttern und Menschen ein, und gegen Ausgang des Heidentums sind
es schlechtweg die Seelen der Verstorbnen. Als solche erscheinen sie dann in
diesen Tafeln; auf den chprischen werden sie gleich zu Anfang in formelhaften



") Über Hxliosi-i, M-i-mena-eg, handelt Wesselu in einem Wiener Programm von 1886-
über AbrciWs Alb, Dieterich in seinem so betitelten Buche, Leipzig, 18!11,
Über griechische und römische Verfluchungstafeln

Während sich nun die bisher besprochnen Verfluchungen ganz auf dem
Boden des griechischen Götterglaubens halten, weisen andre in immer zu¬
nehmendem Maße den Charakter der Religionsmengerei auf, die für den Be¬
ginn des Sinkens des Heidentums so bezeichnend ist, wobei sich vor allem
orientalische Kulte immer mehr bemerklich machen. Derartige Tafeln sind ge¬
funden worden in Rom, Puteoli, Cumae, Alexandria, Karthago, Hadrumetum,
Cypern. Sie sind zum Teil sehr ausführlich und enthalten häufig die in der
Magie und später im Gnostizismns sehr beliebte „ephesische Schrift." Die
LxnoÄg. Kraininatg, waren schon den alten Komikern bekannt; ihr Name wurde
verschieden erklärt; die eiuen behaupteten, er käme von den an der Statue der
ephesischen Artemis angebrachten Buchstaben her, die andern wußten von einem
Athleten ans Ephesus zu berichten, der sich durch solche Zauberschrift den
Sieg in den Wettspielen verschafft habe. Als Beispiel diene, was der Lexiko¬
graph Hesychius anführt: gslcion KatWliion lix wtrax clÄmnamensus fühlen.
Dieses Beispiel bringt die beiden Hauptarten der ephesischen Schrift: die einen
Worte sind nämlich ganz sinnlos, sollen möglichst abenteuerlich und fremdartig
klingen (wie etwa bei uns Hokus Pokus oder Berücke Berlocke), die andern ent¬
halten Worte, die einen gewissen Sinn gehabt haben mögen, aber in merkwürdiger
Zusammensetzung, wobei griechische Stämme mit fremden, besonders ägyptischen
und semitischen, verbunden sind. So entsteh» denn solche Wortungeheuer,
wie Lanabisaphlcin oder Semasilcunps usw. Das häufigste ist freilich, zumal
in späterer Zeit, eine bloße Zusammensetzung von Buchstaben mit möglichst
vielen Konsonanten und einem und demselben Vokal; so ist Abrasax gebildet,
woraus dann das üblichere Abraxas wurde, so auch Abracadabra und manches
andre, was in den Gnostizismus und später in die Kabbala des Mittelalters
übergegangen ist/")

Die Gottheiten, die in diesen Tafeln angerufen werden, sind teilweise die
griechischen, besonders Hermes, Hades, Persephone, Ge, Hekate; aber neben
ihren verständlichen Namen führen sie seltsame geheime Bezeichnungen: so heißt
Pluton „Hyesemegadon," Persephone „Zaudachthumci," Kore „Ereschigal" usw.
Ganz besonders zeigt sich aber der religiöse Synkretismus in den übrigen
Gottheiten, unter denen zumal die Dämonen eine wichtige Rolle spielen. Die
Dämonen waren in der ältesten Mythologie noch göttergleiche Wesen; bei
Hesiod sind sie oberirdische Wächter, die Seelen der Menschen aus dem
goldnen Zeitalter; später nehmen sie in der Regel eine Art Zwischenstufe
zwischen Göttern und Menschen ein, und gegen Ausgang des Heidentums sind
es schlechtweg die Seelen der Verstorbnen. Als solche erscheinen sie dann in
diesen Tafeln; auf den chprischen werden sie gleich zu Anfang in formelhaften



") Über Hxliosi-i, M-i-mena-eg, handelt Wesselu in einem Wiener Programm von 1886-
über AbrciWs Alb, Dieterich in seinem so betitelten Buche, Leipzig, 18!11,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0493" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230925"/>
          <fw type="header" place="top"> Über griechische und römische Verfluchungstafeln</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1654"> Während sich nun die bisher besprochnen Verfluchungen ganz auf dem<lb/>
Boden des griechischen Götterglaubens halten, weisen andre in immer zu¬<lb/>
nehmendem Maße den Charakter der Religionsmengerei auf, die für den Be¬<lb/>
ginn des Sinkens des Heidentums so bezeichnend ist, wobei sich vor allem<lb/>
orientalische Kulte immer mehr bemerklich machen. Derartige Tafeln sind ge¬<lb/>
funden worden in Rom, Puteoli, Cumae, Alexandria, Karthago, Hadrumetum,<lb/>
Cypern. Sie sind zum Teil sehr ausführlich und enthalten häufig die in der<lb/>
Magie und später im Gnostizismns sehr beliebte &#x201E;ephesische Schrift." Die<lb/>
LxnoÄg. Kraininatg, waren schon den alten Komikern bekannt; ihr Name wurde<lb/>
verschieden erklärt; die eiuen behaupteten, er käme von den an der Statue der<lb/>
ephesischen Artemis angebrachten Buchstaben her, die andern wußten von einem<lb/>
Athleten ans Ephesus zu berichten, der sich durch solche Zauberschrift den<lb/>
Sieg in den Wettspielen verschafft habe. Als Beispiel diene, was der Lexiko¬<lb/>
graph Hesychius anführt: gslcion KatWliion lix wtrax clÄmnamensus fühlen.<lb/>
Dieses Beispiel bringt die beiden Hauptarten der ephesischen Schrift: die einen<lb/>
Worte sind nämlich ganz sinnlos, sollen möglichst abenteuerlich und fremdartig<lb/>
klingen (wie etwa bei uns Hokus Pokus oder Berücke Berlocke), die andern ent¬<lb/>
halten Worte, die einen gewissen Sinn gehabt haben mögen, aber in merkwürdiger<lb/>
Zusammensetzung, wobei griechische Stämme mit fremden, besonders ägyptischen<lb/>
und semitischen, verbunden sind. So entsteh» denn solche Wortungeheuer,<lb/>
wie Lanabisaphlcin oder Semasilcunps usw. Das häufigste ist freilich, zumal<lb/>
in späterer Zeit, eine bloße Zusammensetzung von Buchstaben mit möglichst<lb/>
vielen Konsonanten und einem und demselben Vokal; so ist Abrasax gebildet,<lb/>
woraus dann das üblichere Abraxas wurde, so auch Abracadabra und manches<lb/>
andre, was in den Gnostizismus und später in die Kabbala des Mittelalters<lb/>
übergegangen ist/")</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1655" next="#ID_1656"> Die Gottheiten, die in diesen Tafeln angerufen werden, sind teilweise die<lb/>
griechischen, besonders Hermes, Hades, Persephone, Ge, Hekate; aber neben<lb/>
ihren verständlichen Namen führen sie seltsame geheime Bezeichnungen: so heißt<lb/>
Pluton &#x201E;Hyesemegadon," Persephone &#x201E;Zaudachthumci," Kore &#x201E;Ereschigal" usw.<lb/>
Ganz besonders zeigt sich aber der religiöse Synkretismus in den übrigen<lb/>
Gottheiten, unter denen zumal die Dämonen eine wichtige Rolle spielen. Die<lb/>
Dämonen waren in der ältesten Mythologie noch göttergleiche Wesen; bei<lb/>
Hesiod sind sie oberirdische Wächter, die Seelen der Menschen aus dem<lb/>
goldnen Zeitalter; später nehmen sie in der Regel eine Art Zwischenstufe<lb/>
zwischen Göttern und Menschen ein, und gegen Ausgang des Heidentums sind<lb/>
es schlechtweg die Seelen der Verstorbnen. Als solche erscheinen sie dann in<lb/>
diesen Tafeln; auf den chprischen werden sie gleich zu Anfang in formelhaften</p><lb/>
          <note xml:id="FID_113" place="foot"> ") Über Hxliosi-i, M-i-mena-eg, handelt Wesselu in einem Wiener Programm von 1886-<lb/>
über AbrciWs Alb, Dieterich in seinem so betitelten Buche, Leipzig, 18!11,</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0493] Über griechische und römische Verfluchungstafeln Während sich nun die bisher besprochnen Verfluchungen ganz auf dem Boden des griechischen Götterglaubens halten, weisen andre in immer zu¬ nehmendem Maße den Charakter der Religionsmengerei auf, die für den Be¬ ginn des Sinkens des Heidentums so bezeichnend ist, wobei sich vor allem orientalische Kulte immer mehr bemerklich machen. Derartige Tafeln sind ge¬ funden worden in Rom, Puteoli, Cumae, Alexandria, Karthago, Hadrumetum, Cypern. Sie sind zum Teil sehr ausführlich und enthalten häufig die in der Magie und später im Gnostizismns sehr beliebte „ephesische Schrift." Die LxnoÄg. Kraininatg, waren schon den alten Komikern bekannt; ihr Name wurde verschieden erklärt; die eiuen behaupteten, er käme von den an der Statue der ephesischen Artemis angebrachten Buchstaben her, die andern wußten von einem Athleten ans Ephesus zu berichten, der sich durch solche Zauberschrift den Sieg in den Wettspielen verschafft habe. Als Beispiel diene, was der Lexiko¬ graph Hesychius anführt: gslcion KatWliion lix wtrax clÄmnamensus fühlen. Dieses Beispiel bringt die beiden Hauptarten der ephesischen Schrift: die einen Worte sind nämlich ganz sinnlos, sollen möglichst abenteuerlich und fremdartig klingen (wie etwa bei uns Hokus Pokus oder Berücke Berlocke), die andern ent¬ halten Worte, die einen gewissen Sinn gehabt haben mögen, aber in merkwürdiger Zusammensetzung, wobei griechische Stämme mit fremden, besonders ägyptischen und semitischen, verbunden sind. So entsteh» denn solche Wortungeheuer, wie Lanabisaphlcin oder Semasilcunps usw. Das häufigste ist freilich, zumal in späterer Zeit, eine bloße Zusammensetzung von Buchstaben mit möglichst vielen Konsonanten und einem und demselben Vokal; so ist Abrasax gebildet, woraus dann das üblichere Abraxas wurde, so auch Abracadabra und manches andre, was in den Gnostizismus und später in die Kabbala des Mittelalters übergegangen ist/") Die Gottheiten, die in diesen Tafeln angerufen werden, sind teilweise die griechischen, besonders Hermes, Hades, Persephone, Ge, Hekate; aber neben ihren verständlichen Namen führen sie seltsame geheime Bezeichnungen: so heißt Pluton „Hyesemegadon," Persephone „Zaudachthumci," Kore „Ereschigal" usw. Ganz besonders zeigt sich aber der religiöse Synkretismus in den übrigen Gottheiten, unter denen zumal die Dämonen eine wichtige Rolle spielen. Die Dämonen waren in der ältesten Mythologie noch göttergleiche Wesen; bei Hesiod sind sie oberirdische Wächter, die Seelen der Menschen aus dem goldnen Zeitalter; später nehmen sie in der Regel eine Art Zwischenstufe zwischen Göttern und Menschen ein, und gegen Ausgang des Heidentums sind es schlechtweg die Seelen der Verstorbnen. Als solche erscheinen sie dann in diesen Tafeln; auf den chprischen werden sie gleich zu Anfang in formelhaften ") Über Hxliosi-i, M-i-mena-eg, handelt Wesselu in einem Wiener Programm von 1886- über AbrciWs Alb, Dieterich in seinem so betitelten Buche, Leipzig, 18!11,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/493
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/493>, abgerufen am 28.09.2024.